Sheila Hicks

Die Lebensfäden

Zwei Ausstellungen in Bottrop und Düsseldorf widmen sich dem 70 Jahre währenden Schaffen der großen Textilkünstlerin Sheila Hicks

Von Simone Sondermann
16.01.2025

Das Flugzeugteil passte nicht ins Museum. Dabei hätte das MoMA das einzige erhaltene Exemplar gern ausgeliehen. Doch es war schlicht zu groß. Sheila Hicks stickte es Ende der 1960er-Jahre in ihrem Pariser Atelier von Hand aus chinesischer Wildseide: eine riesige Wandverkleidung für die Bar der neuen Boeing 747. Neunzehn Stück gab es mal davon.

Der Auftrag für Air France war nicht der einzige Ausflug von Sheila Hicks ins Interiordesign, wie eine Ausstellung in Bottrop zeigt. Grenzen zwischen künstlerischen Disziplinen, zwischen Freiem und Angewandtem, gelten für sie bis heute nicht. Sie hat ihr Material, das Textil, früh daraus befreit. Einer der hellen, angenehm proportionierten Räume im 2022 eröffneten Anbau vom Josef Albers Museum des Museumszentrums Quadrat ist ihren Arbeiten an der Schnittstelle zu Baukunst und Design gewidmet. Hier sind etwa Prototypen der golden schimmernden Stick-Medaillons zu sehen, die seit 1967 wabengleich eine Saalwand in der Ford Foundation in New York bedecken. Ein Jahr lang hatte Hicks daran gearbeitet. Nachdem das Material im Laufe der Zeit verschlissen war, wurde die Arbeit 2014 noch einmal erstellt und reinstalliert.

„Au-delà“ (2017) von Sheila Hicks in Bottrop
„Au-delà“ (2017) von Sheila Hicks in Bottrop.© VG Bild-Kunst, Bonn 2025 – Courtesy of the artist, galerie frank elbaz and the Musée d’Art Moderne de Paris, Foto: Pierre Antoine

Die Offenheit fürs Angewandte hat sie mit ihrem einstigen Lehrer Josef Albers gemein. Doch vor allem lernte sie bei dem einstigen Bauhäusler die intensive, forschende Beschäftigung mit Farbe. Sie studierte in den 1950er-Jahren bei ihm an der Yale University, zunächst als Malerin. Ihre frühen Gemälde, ins Gestische reichende Landschaften, mit ungewohnten Perspektiven und von intensiver Farbigkeit, sind nun erstmals in dieser Fülle in einer Ausstellung zu sehen, einige von ihnen wurden noch nie gezeigt.

Hicks’ Faszination für Stoffe begann noch während des Studiums, Anstoß gab ein Kurs über präkolumbische Textilkunst des Kunsthistorikers George Kubler. Josef Albers ermutigte sie auf diesem neuen Weg. Dazu gehört auch ein Lehrauftrag in Chile, den er seiner Studentin vermittelte. Die Begegnung mit der textilen Handwerkskunst in Lateinamerika hat Hicks’ künstlerischen Horizont enorm erweitert, immer wieder hat sie später lokale Textiltraditionen und -techniken in ihr Werk einfließen lassen. Auf den Schwarz-Weiß-Fotos, die sie auf der Chilereise aufnahm, fällt ihr Blick für Strukturen, Muster auf. Vieles davon fand Eingang in ihre eigenen Arbeiten. In die frühen Jahre fällt auch die Begegnung mit Anni Albers, der großen Bauhaus-Weberin. Deren Schülerin wurde sie nicht, erzählt Linda Walther, die Direktorin des Museumszentrums Quadrat. Schon damals war der Umgang der jungen Amerikanerin mit Faden und Stoff ein ganz eigener – freier, experimenteller als die Bauhaus-Tradition und bald auch losgelöst vom Webstuhl.

Was das heißt, lässt sich nun in der Ausstellung erleben. Hicks stickt, webt, umwickelt, sie bildet Stränge oder türmt Stoffballen zu skulpturalen Gebilden, schnürt sie zu Knäueln, den boules, drappiert sie an der Wand. In den rund 70 Jahren ihres Schaffens entstanden abstrakte Stoffgemälde, die an Mark Rothko oder Gerhard Richter erinnern, raffiniert geschlitzte Wandbehänge, die so aussehen, als sei Lucio Fontana unter die Weber gegangen, oder solche mit herausquellenden Fäden, die an einen Torbogen in Marokko erinnern. Über ein Seil gehängte bunt gemusterte Stoffwürste geben ein Porträt ihrer Studienklasse in Yale, das bunte Mit- und Nebeneinander, die Nähe und Verschiedenheit, festgehalten in Faser. Hicks’ künstlerische Sprache ist ebenso persönlich wie abstrakt, ebenso verwurzelt wie global, sie verknüpft traditionelle Textilkunst diverser Kulturen mit der westlichen Moderne.

„Labyrinthe du paradis“ von Sheila Hicks (2024)
„Labyrinthe du paradis“ von Sheila Hicks (2024) ist in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen. © VG Bild-Kunst, Bonn 2025 Foto: Claire Dorn

Dass Sheila Hicks nun parallel in zwei Ausstellungen in Deutschland zu erleben ist, war zunächst nicht geplant. Unabhängig voneinander wollten Linda Walther vom Museumszentrum Quadrat und Gregor Jansen, der scheidende Direktor der Kunsthalle Düsseldorf, ihr eine Schau widmen. Sich zusammenzutun war die Idee der heute 90-jährigen Künstlerin. Während in Bottrop nun eine Retrospektive Hicks’ künstlerischen Weg von ihren Anfängen bis heute nachvollziehbar macht, liegt in den größeren Räumen der Düsseldorfer Kunsthalle der Fokus auf dem neueren Werk. Dort ist Platz für Arbeiten wie „Saffron Sentinel“, bei der sich die Stoffballen vor den Betrachtenden meterhoch auftürmen, oder für einen Wasserfall aus ockerfarbener und gelber Wolle, der sich von der Empore in den sogenannten Kinosaal der brutalistischen Architektur ergießt. Manches entstand ortsspezifisch, typisch für Hicks’ Arbeitsweise. Leicht zu übersehen ist „Left“: Ein paar Deko-Stoffe, die Hicks in der Kunsthalle fand, knubbeln sich nun in einer Ecke unter dem Feuerlöscher.

Teile einer Werkserie, die berührend zeigt, wie das Textile den Lebensfaden von Sheila Hicks immer weiterspinnt, sind in Bottrop und in Düsseldorf zu sehen. Seit Jahr und Tag begleitet sie ein Handwebstuhl. Damit fertigt sie die „Minimes“ wie eine Art Tagebuch. Sie webt hinein, was ihr begegnet: Muscheln, Perlen, Knochen, Glänzendes, Feines, Grobes. Eines der kleinen Stoffbilder, es hängt in Bottrop, ist ein Selbstporträt: ein lila-gelb-oranges, lockiges Wirrwarr aus Seide, überbordend und scheinbar chaotisch. Schöner hätte sie ihren kreativen Kopf nicht darstellen können. 

Service

AUSSTELLUNG

„Sheila Hicks“

im Museumszentrum Quadrat, Bottrop

bis zum 23. Februar

quadrat.bottrop.de

Service

AUSSTELLUNG

„Sheila Hicks“

in der Kunsthalle Düsseldorf

bis zum 23. Februar

kunsthalle-duesseldorf.de

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