An Rachel Ruyschs Stillleben kann man sich nicht sattsehen. Erstmals ist die Amsterdamer Malerin jetzt in einer großen Schau zu erleben. Die Pinakothek taucht ein in eine Welt zwischen Kunst und Naturwissenschaft
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21.11.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 233
Während ihre Schwester Anna nach der Eheschließung mit dem Farbenhändler Isaak Hellenbroek den Pinsel aus der Hand legt, und das ist ein Jammer, gibt es bei Rachel keine familienbedingten Zäsuren. Im Gegenteil. 1693 heiratet sie ihren Kollegen Juriaen Pool und malt unverdrossen weiter, trotz der immerhin zehn Kinder, die sie zur Welt bringt. Ohne Zweifel zieht das Paar an einem Strang, zumal der charmante Sohn eines früh verstorbenen Silberschmieds schon vor der Liebeshochzeit eingesehen haben dürfte, dass seine Karrieremöglichkeiten begrenzt sind. Rachel läuft in den späten 1690er-Jahren immer mehr zur Hochform auf. Ihre Sträuße gewinnen etwas Lockeres, als hätte sie ein Garten just in dieser Kombination hervorgebracht – duftig zart und fast schon im Begriff zu vergehen.
Das Blumenstück aus Wien und mehr noch die ebenso um 1700 angelegte Vase mit Blumen aus Den Haag kommen mit wenigen besonders feinen Blüten aus, die alle im Einzelnen studiert und bestaunt sein wollen. Selbst diese zurückhaltenden Arbeiten funktionieren wie alle Gemälde Ruyschs auf zwei Ebenen: Der Gesamteindruck wird von einem Arrangement aus Blüten, Pflanzen und Früchten dominiert, während sich in den Kelchen und auf Blättern eine kaum fassbar detaillierte Welt offenbart.
Mit den Altvorderen Jan Davidsz. de Heem und Balthasar van der Ast oder der über 30 Jahre älteren Maria van Oosterwijck kann sich die junge Frau längst messen. Dass Ruysch 1701 erstes weibliches Mitglied der Künstlergesellschaft Confrerie Pictura in Den Haag wird, zeigt die Anerkennung, der sie mit ihren immer anspruchsvolleren Blumenbildern mehr als gerecht wird. Die Kunden stehen Schlange und warten geduldig, pro Jahr kann sie höchstens zwei Gemälde bewältigen. Mehr ist bei ihrem filigranen Pinselstrich nicht drin. Von 1708 an gelangt dann noch weniger auf den freien Markt, denn Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz ernennt Ruysch zur Hofkünstlerin. Übrigens 13 Jahre, nachdem er ihre Werke zum ersten Mal beim Besuch des „Ruyschianum“ in Amsterdam bewunderte.
Sie wird von der Residenzpflicht befreit, auch das deutet darauf, dass sie gewisse Bedingungen stellen kann. Doch Ruysch schmeichelt das Amt, unter Johann Wilhelm und seiner Frau Anna Maria Luisa de’ Medici erlebt Düsseldorf eine Zeit der kulturellen Blüte, ihre Kunstsammlungen zählen zu den herausragenden in Europa. Da reiht sich auch die „Amsterdamse Pallas“ keineswegs widerwillig ein und erreicht zugleich eine internationale Beachtung.
Man hebt sich gegenseitig, der Kurfürst übernimmt sogar die Patenschaft von Ruyschs jüngstem Sohn, der Jan Willem genannt wird – wie sonst. Sie ist bei der Geburt bereits 47 und soll bald darauf für die Hofgalerie porträtiert werden. Doch der mit ihr engagierte Ehemann malt sich selbst sowie das Patenkind mit ins Bild und unterstreicht damit den Status quo: Im Zentrum sitzt seine Frau, die den Kopf im Gestus melancholicus auf ihren Arm stützt. Sie ist die souveräne Künstlerin, die nichts mehr beweisen muss. Er bleibt im Hintergrund und verweist auf die Staffelei mit einem ihrer Stillleben, während der kleine Jan Willem eine goldene Medaille mit dem Konterfei des Kurfürsten hält. Der hat die Vollendung des Familienporträts 1716 nicht mehr erlebt, die verlorene Festanstellung ist für Ruysch dennoch kein Nachteil. An Aufträgen mangelt es auch jetzt nicht.
Lediglich der immense Lotteriegewinn lässt sie nach 1723 für ein paar Jahre innehalten, zudem ändert sich der Geschmack des Publikums. Bis 1738 sind keine Werke datiert, in Pools Nachlass ist dagegen von einem Obststück und einem Blumenstrauß aus dieser Zeit die Rede. Tatsächlich erfindet sich Rachel Ruysch noch einmal neu. Das heißt, sie besinnt sich wieder auf die kleinen Blumensträußchen ihrer Anfänge, verzichtet aber auf das dramatisierende Hell-Dunkel zugunsten einer einheitlichen Beleuchtung und wählt wie ihr Kollege Jan van Huysum einen freundlichen Fond. Dieses Gleiten ins Rokokohafte geht bei ihr mit einer überprononcierten bonbonfarbenen Palette einher, und das Ergebnis wirkt künstlich.
Dabei war sie doch immer so besonders nah dran an der Natur. „Nature into Art“ lautet deshalb der Titel der ersten großen Ausstellung, die sich ab Ende November eingehend mit dem Schaffen Ruyschs auseinandersetzt: erst in der Alten Pinakothek in München, dann im Toledo Museum of Art in Ohio und anschließend Boston. Ruyschs Kunstprinzip ist damit auf einen kurzen Nenner gebracht und wird auch zum Programm. Denn neben der Einbettung ihres Œuvres in die Malerei der Zeit und der Vorbilder setzt Kurator Bernd Ebert auf einen fundierten Vergleich mit den naturwissenschaftlichen Präparaten, Objekten und Instrumenten. „Man darf hier durchaus an die Wunderkammer ihres Vaters denken“, erklärt der Sammlungsleiter für die holländische und deutsche Barockmalerei. Das führt vor Augen, wie unglaublich nah Rachel Ruysch an der damals aktuellen Forschung gemalt hat. Für Botaniker und Zoologen ist das bis heute verblüffend.
Auf der anderen Seite werden Kohlrosen und Ringelblumen, Pfirsiche und Gräser von einer genuinen Künstlerin wiedergegeben, die sich der Tradition der holländischen Stilllebenmalerei bewusst ist. Nach dem Zurschaustellen der Vergänglichkeit zwischen überbordenden Banketten und ausgeblasenen Kerzen schlägt sie konsequenter als van Aelst und van Schrieck neue Wege ein. Sie nimmt den Überlebenskampf in ihre Bilder auf, das Fressen-und-Gefressen-Werden. Die Eroberung fremder Kontinente ist nichts anderes, nur eben in einer ganz anderen, fatalen Dimension. Man kann sich damit auseinandersetzen, muss es aber nicht. Denn natürlich laden Rachel Ruyschs Blumenraffinessen nicht zuletzt dazu ein, der nicht immer freudvollen Welt abhandenzukommen.
„Rachel Ruysch. Nature into Art“,
Alte Pinakothek, München
26. November bis 16. März 2025