Nationalgalerie Kapstadt

Südafrikas lebende Legende

Die Nationalgalerie in Kapstadt würdigt die südafrikanische Künstlerin Esther Mahlangu mit einer großen Retrospektive

Von Lisa Zeitz
28.03.2024

Die südafrikanische Nationalgalerie in Kapstadt ist ein Gebäude im Kolonialstil, wie er Anfang des 20. Jahrhunderts noch typisch war. Den tempelartigen Eingang über der Freitreppe flankieren weiße Säulen. Seit Kurzem leuchten auf der Fassade rechts und links der Säulen zackige geometrische Muster. Sie kündigen die Retrospektive von Esther Mahlangu an, grasgrün und sonnengelb, hellrosa und tiefblau, rot und orange. Starke schwarze Konturen rahmen die einzelnen Formen und Kompartimente und verleihen ihrer Kunst eine eindringliche Entschiedenheit.

Die Künstlerin Esther Mahlangu in Südafrika
Die Künstlerin Esther Mahlangu vor der von ihr gestalteten Fassade. © Clint Strydom / Esther Mahlangu / BMW

Die Fassadengestaltung ist dem kleinen Haus der Künstlerin in Mpumalanga im Nordosten des Landes nachempfunden. Diese große Spanne von der dörflichen afrikanischen Tradition bis zu den etablierten Institutionen der westlichen Kunstwelt steht bildhaft für die Kunst von Esther Mahlangu. Sie geht mit der Kunst ihrer Ahnen über die überlieferten Medien hinaus, ein Gewinn für die Kunstgeschichte, deren Horizont sich endlich weitet.

Dieses Werk aus dem Jahr 2021 ist Teil der Esther Mahlangu Retrospektive in Kapstadt
Dieses Werk aus dem Jahr 2021 ist Teil der Esther-Mahlangu-Retrospektive in Kapstadt. © Esther Mahlangu / The Melrose Gallery

In Südafrika ist Esther Mahlangu, geboren 1935 in der Nähe von Johannesburg, eine lebende Legende. Zur Ausstellungseröffnung kam sie nach Kapstadt. Es war beeindruckend, die auratische Künstlerin bei der Vernissage hier in der Iziko South African National Gallery zu erleben, in ihrer bunten traditionellen Tracht mit großen Reifen um den Hals, Arme und Beine, dazu weiße Sneakers. Sie spricht Ndebele, kaum Englisch, aber als sie die Anwesenden mit einem lauten, fröhlichen „How are you?“ begrüßte, erntete sie schon Applaus. Mehr wollte sie an diesem Morgen nicht sagen.

Der Titel der Schau, „Then I Knew I Was good at Painting“, spielt auf eine Kindheitserinnerung an. In ihrem Dorf war es Brauch, dass die Mädchen und Frauen die traditionell aus Lehm und Kuhdung gebauten Häuser mit abstrakten Mustern verzieren. Weil sie noch nicht gut genug malen konnte, durfte sie einst nur an der Rückseite des Hauses mitarbeiten. Als sie schließlich an der Fassade mitmachen durfte, wusste sie, dass sie nun eine gute Malerin sei. Da war sie zehn Jahre alt.

In der Ausstellung läuft ein Film, in dem sie interviewt wird: Sie erinnert sich, wie sie mit den Pinseln aus Hühnerfedern schließlich gerade Linien meisterte, und wie wichtig es Jahre später war, die Schwiegereltern mit der Gestaltung der Hauswände zu beeindrucken. Jedes Jahr wurden die Häuser auf diese Weise dekoriert, und in der Regenzeit zerflossen die Muster wieder. Wer hätte zur Zeit der Apartheid gedacht, dass ihre geometrischen Kompositionen einmal an der Fassade der Nationalgalerie leuchten würden?

Esther Mahlangu bei der Gestaltung vom 12. BMW Art Car
Esther Mahlangu bei der Gestaltung des 12. BMW Art Car. © Esther Mahlangu / BMW

Ein Modell ihres bemalten Hauses, umgeben von einer ebenso bemalten Mauer, steht jetzt in der Ausstellung. Daneben hat die junge Kuratorin Nontobeko Ntombela rund 100 andere Werke, Perlenarbeiten, Tapisserien, Leinwandbilder, aber auch Objekte ausgewählt: das größte unter ihnen das BMW Art Car aus dem Jahr 1991. Esther Mahlangu war die erste Frau und die erste Person aus Afrika, die ein Art Car gestaltete. BMW unterstützt nun die Ausstellung und hat auch zur Eröffnung ein Team von Kuratoren und Journalisten zur Pressereise nach Kapstadt eingeladen.

Das von Esther Mahlangu gestaltete BMW Art Cart
Das von Mahlangu in typischem Muster gestaltete Art Cart. © Esther Mahlangu / BMW

Noch vor dem Art Car war für Esther Malangus Wahrnehmung in der Welt ihre Teilnahme an der Pariser Ausstellung „Magiciens de la Terre“ 1989 ausschlaggebend. In Botshabelo, einem Museumsdorf, in dem sie damals lebte, angestellt war und das Ndebele-Kulturerbe vorführte, kontaktiere sie ein Kurator und lud sie nach Frankreich ein. Die Pariser Schau, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die Grenzen des westlichen Kanons zu sprengen und Kunst aus aller Kontinenten zu zeigen, löste für Esther Mahlangu so etwas wie einen Louise-Bourgeois-Effekt aus, denn auch sie fand überregionale Wertschätzung erst im Alter von mehr als fünfzig Jahren und ist jetzt Ende Achtzig weltberühmt. Sie gründete eine Kunstschule und bildet die nächsten Generationen aus.

Ausgestellt ist jetzt auch din leicht angerostetes, gelbes Blechschild im Hof des Museums , das mit ihrer weiten Reise wirbt: „Ndebele Art School for Children Done by Esther Mahlangu The 1st Lady to Visit Over Sea.“ 1992 nahm sie an der Documenta in Kassel teil, es folgten Kollaborationen mit weiteren Marken wie Commes des Garçons. Kürzlich verbrachte sie Zeit im portugiesischen Alentejo, um großartige Wandbilder für ein Restaurant zu schaffen. Längst haben Borstenpinsel die Hühnerfedern abgelöst, sie hat ein Atelier, und anstatt auf Lehm oder Kuhdung malen die Künstlerin und ihre Familie meist auf große Leinwände.

Ein Werk von Esther Mahlangu aus dem Jahr 2023
Ein Werk von Esther Mahlangu aus dem Jahr 2023. © Esther Mahlangu / the Melrose Gallery

Ihr Stil, der sich auf die geometrischen Muster und die leuchtenden Farben ihrer Vorfahren stützt, ist sofort wiedererkennbar. Die dynamischen Formen, das Zickzack, die Pfeile und Dreiecke haben mit ihren Signalfarben eine mitreißende Energie, in ihrer Symmetrie wirken sie manchmal wie abstrakte Rohrschachtests. Die Nationalgalerie zeigt aber auch figürliche Szenen, wie eine Familie vor einem Haus, oder, biografisch für sie von besonderer Bedeutung „Souvenir de Paris“ in erdigen Tönen: Eine afrikanische Hütte, ein Flugzeug, der Eiffelturm stehen als Motive fast collageartig nebeneinander. Die Melrose Gallery aus Johannesburg widmete Mahlangu den ganzen Stand an der Cape Town Art Fair.

Mittlerweile befinden sich Esther Mahlangus Werke in Museen weltweit, und besonders viele Sammlerinnen und Sammler, die selbst afrikanische Wurzeln haben, kaufen ihre Werke, etwa Oprah Winfrey, Naomi Campbell, Trevor Noah, Pharrell Williams oder das Ehepaar Alicia Keys und Swizz Beats – deren Sammlung mit Fokus auf schwarze Kunstschaffende ist derzeit im Brooklyn Museum of Art ausgestellt. Hans Ulrich Obrist hat sie in ihrem Dorf besucht, um diesen Herbst zusammen mit Azu Nwagbogu und Thomas Girst ein Buch über sie zu veröffentlichen. Und es ist keine Überraschung, dass Esther Mahlangu aktuell auch zu den Künstlerinnen und Künstlern des globalen Südens zählt, die der Kurator Adriano Pedrosa für die Hauptausstellung der Venedig-Biennale ausgewählt hat. „Ich spreche Ndebele, ich gehe Ndebele, ich trage Ndebele,“ hat sie einmal gesagt. Es scheint, als ob sie der internationalen Kunstwelt ein paar Worte ihrer Sprache beigebracht hat.

Service

AUSSTELLUNG

„Then I Knew I Was Good at Painting“: Esther Mahlangu. Eine Retrospektive,

Iziko South African National Gallery,

bis 11. August 2024

Zur Startseite