Impressionismus

Lust auf Licht

Das Glitzern des Meeres und sommerliche Strände wurden im 19. Jahrhundert von der Malerei als atmosphärische Motive entdeckt. Eine Bilderreise zu den schönsten Küsten der jüngeren Kunstgeschichte

Von Simon Elson
21.09.2023
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 216

Für Claude Monet war die französische Riviera wichtig. Bereits im Winter, im Dezember 1883, schwärmte er von dem rosafarbenen Strahlen der Region. Er war damals noch kein Superstar, seine erste Einzelausstellung als Vierzigjähriger lag erst ein paar Jahre zurück, er brauchte dringend Geld und musste seinen Motivkreis erweitern. Aber er hatte einen Weg gefunden, genau das, was ihn interessierte, nämlich das Atmosphärische der Landschaft, farblich und lichttechnisch zu erfassen. Sein Atelier, so behauptete dieser Großmeister des Draußenmalens nicht zu Unrecht, sei die Natur. In der Ausstellung in Monaco, kuratiert von der Impressionismus-Expertin Marianne Mathieu und reich an Meisterwerken, gehören die Bilder von der Riviera zu den Kernstücken. Immer mehr fand Monet hier Ende der 1880er-Jahre zu einer Malweise, die auch Zwischentöne des Wetters und des Lichts aufnahm. Er, der so natürlich malen wollte, wie ein Vogel singt, er, der die Farbe sogar im Schatten aufspürte, entdeckte auch die milchigen Schleier des südlichen Himmels beim Blick von den Salis-Gärten aufs Fort Carré: „Antibes, le matin.“ Aber das Dunstige der Morgenstimmung ist nur eine Nuance. Es dominieren dezent kräftige Farben, und wie so oft bei Monet sind sie getupft, flirrend – bei Sorolla dagegen sind sie eher flächig, schlängelnd.

Joaquin Sorolla Segelboot Gemälde
Bei Sorollas „Las velas“ von 1915, ausgestellt im Museo Sorolla, lenkt der Mensch die Natur. © Museo Sorolla and Fundacion Museo Sorolla

Das Fort Carré strahlt wie ein rosa-weißes Paradies im Hintergrund, zwischen ihm und dem Betrachter nur die Bucht: blau-grünes, wie ein Edelstein schimmerndes Wasser, ein Farbton, der sich teils im Blattwerk der Bäume im Vordergrund wiederholt. Wohl kein Maler hat mehr Wasserflächen gemalt, auch Flüsse und Teiche, als Monet. Denn im Wasser kann er alles am besten vermischen: Licht und Luft, Pflanzen und Bäume, Farben und Formen, das alles kommt auch hier in seinen Antibes-Gemälden (wie so oft gibt es bei ihm mehrere) zu einem ewigen Symbol des Südens zusammen. Ob man will oder nicht, muss man auch heute noch sagen: Besser geht es kaum.

Nicht besser, aber anders! Parallel zur Monet’schen Impressionismus-Entwicklung passiert an der niederländischen Küste etwas Spannendes. Das kann man im Potsdamer Museum Barberini nachempfinden, wo die Geschichte des Impressionismus in Holland erstmals für das deutsche Publikum in voller Tiefe zugänglich gemacht wird: von den 1830er-Jahren bis ins 20. Jahrhundert zu Piet Mondrian. Die Maler der sogenannten Haager Schule, die teils im dunklen Wald von Oosterbeek ihr Freilichthandwerk gelernt haben, ziehen um 1870 nach Den Haag. Dort malen sie die flachen deichnahen Polderlandschaften, die Wiesen, Kühe und Windmühlen. Vor allem aber konzentrieren sie sich aufs gleißende Licht. Die Kühe sind für das Licht da, nicht umgekehrt, so fasst es damals nicht nur Maris, sondern auch ein Kritiker sinngemäß zusammen. Vor allem malen die Vertreter der Haager Schule aber auch den Glanz der niederländischen Nordsee. Das Licht strukturiert die Bilder genau wie im Süden, ist gleichzeitig Seele und Körper der Kunst, nur sind es im Norden eine grau glitzernde Helligkeit und ein monochromer Dunst, die mit Monet’schen Farbfeiern wenig gemein haben. Die Niederländer beharren darauf: So scheint die Sonne hier, sagen sie und malen, siehe Maris’ „Fischerboot“, Symphonien aus Grautönen. Schaut man auf dieses Boot, kommt einem unweigerlich die im Norden obligatorische Windjacke in den Sinn – und ob es barfuß in dem spiegelnden Wasser vielleicht etwas kühl wäre? Aber man dürfte auch die frische salzige Brise riechen, die dort weht und die ein Durchatmen ermöglicht, das der stickige (und oft vollere) Süden kaum anbieten kann.

Übrigens darf man niemals sagen, dass Monet kein Grau kennt. Sein „Sur la plage à Trouville“, ein Frühwerk von 1870, zeigt nicht nur mit wenigen, ziemlich harten Strichen Eleganz und Wahnsinn der damaligen Bademode mit ihren Hüten, Hauben, Rüschen, Schirmen. Es zeigt auch den oft bleigrauen Himmel der Normandie am Ärmelkanal – Trouville-sur-Mer, breitengradmäßig nördlicher als München ist ebenfalls in Monaco zu sehen. Monet war ohnehin ein Fan der später als „graue Schule“ bezeichneten Haager, vor allem von Johan Barthold Jongkind, den er für den besten Meeresmaler der Welt hielt. Umgekehrt hatten übrigens auch die Niederländer nicht durchweg vergessen, wo die Farbtuben liegen, wie nicht nur Mesdags gelb-goldener Abendhimmel zeigt. Vor allem Piet Mondrians „Pointillistische Studie“ von 1909, alle genannten Maler und Bilder ebenfalls in Potsdam zu bewundern, ist ein Meisterstück des Lichts am nordischen Meer: Es fängt die blaue Stunde ein, in der Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit, Seele und Welt atmosphärisch zusammenfließen.

Peder Severin Krøyers Skagen Strand Sommer
Badevergnügen legt Peder Severin Krøyers „Sommerabend am Südstrand von Skagen. Anna Ancher und Marie Krøyer“ nicht nahe, doch dafür entschädigt das zarte Licht der blauen Stunde. Es gibt mehrere Versionen des Werks: Die hier abgebildete Studie, zurzeit in Kopenhagen zu sehen, bereitete ein Gemälde vor, das dauerhaft in den Skagens Kunstmuseer hängt. Eine Detailvariante zeigt gerade das Museum Kunst der Westküste. © Die Sammlung Hirschsprung

Die blaue Stunde, vielleicht kann man sie nirgends besser empfinden als an nordischen Meeren. Schaut man sich die Nord-Maler an, hat man häufig den Eindruck, diese blaue Stunde hört überhaupt nicht mehr auf, siehe Max Clarenbachs „Wattenmeer bei Wyck“. Gerade kann man dieses und andere Bilder im wahrscheinlich meeraffinsten Museum Deutschlands sehen, im Museum Kunst der Westküste auf Föhr. „Auf das große Westmeer schauend: Der Kulturraum Nordsee im Wandel“ heißt die Ausstellung, ein Remix der Sammlung, von der Direktorin Ulrike Wolff-Thomsen betreut. Nirgendwo sonst ist man so sehr vom Wasser umgeben wie hier, selbst im Zentrum der kleinen Insel immer nur ein paar Kilometer von der Küste entfernt, und hat doch so viele gute Kunstwerke vor sich. Clarenbach, ein prominenter Vertreter der Düsseldorfer Schule und wiederholter Besucher der Insel Föhr, hat die blau-braune Atmosphäre des Wattenmeers dort so gut verstanden, dass er die Ölstudie schnell auf den Karton werfen konnte. Der glänzende Wattschlick, die hohen Zirruswolken: wenige sichere Striche. Und hinten sieht man die Warften – künstlich aufgeschüttete Hügel, die bei Sturmfluten schützen – der Halligen Langeneß und Oland. Hingetupft sind sie, hingeblinzelt, eins mit dem Dunst der Ferne.

Die säuberliche Signatur unten links könnte Clarenbach noch am meisten Zeit gekostet haben. Wobei das nicht kritisch gemeint ist, im Gegenteil. Die Malerei wird Anfang des 20. Jahrhunderts – das kleine Bild ist 1921/22 entstanden – immer mehr zur Stimmungsprojektion. Stimmt das Gefühl, stimmt auch das Bild, ganz gleich, ob alle Sichtbarkeiten „korrekt“ ausbuchstabiert sind, siehe auch die Nordlicht-Esoterik von Emil Noldes undatiertem Aquarell „Meer mit Segelbooten“, ganz neu im Föhrer Museumsbesitz. Streng genommen ist diese modern-romantische Farblandschaft des Nordsee- und Aquarellspezialisten Nolde keiner Himmelsrichtung zuzuordnen, sondern voll und ganz dem autonomen Reich der Kunst.

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