Calouste Gulbenkian Museum

Im Zeichen des Falken

Vor mehr als einem halben Jahrhundert eröffnete in Lissabon Portugals bedeutendstes Museum. Dank seines legendären Stifters Calouste Gulbenkian entstand ein bis heute überzeugender Kunstraum, der die Klarheit der Moderne mit dem Geist des Orients in Einklang bringt

Von Beate Schümann
13.06.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 166

Teppiche liegen wie in den eigenen vier Wänden am Boden, nur dass diese aus dem 16. oder 17. Jahrhundert stammen, extrem gut erhalten und unbezahlbar sind, etwa der schönfarbige Isfahan-Wollteppich aus der Safawiden-Periode, gut acht Meter lang. Vitrinen stehen wie eigenständige Installationen im Raum, inszenieren perfekt geprägte Goldmünzen aus der Zeit Alexanders des Großen, voluminöse Bodenvasen aus chinesischem Porzellan oder die atemberaubende Sammlung von Moscheelampen im mamlukischen Stil. Hauchdünnes vergoldetes und emailliertes Glas wie jenes Exemplar, das einmal dem Wesir Najm al-Din Mahmud ibn Ali ibn Shirwin gehörte. „Der armenische Hintergrund verschaffte Gulbenkian einen besonderen Zugang zur dekorativen Kunst, er liebte Muster, Glanz, Luxus“, erklärt die Kunsthistorikerin, die zuvor an der Tate Britain in London war. Wenn er Kunstgewerbe kaufte, sei er am meisten bei sich gewesen.

Die Anordnung der Abteilungen trennt künstlerische Epochen chronologisch voneinander. Am Übergang vom „Fernen Orient“ zur „Europäischen Kunst“ überrascht eine lange Couch, die vor einem Fenster ins Grüne aufgestellt ist. Lass dich ruhig nieder, heißt das und entspricht einer islamischen Sitte – nur der heiße Tee und die Datteln fehlen. Man sinkt in die bequemen Lederkissen und kann die Natur draußen wie ein Kunstobjekt betrachten.

Danach wechselt man in die Kunst des Mittelalters, zu der Buchdrucke, Diptychen aus Elfenbein, aber auch Gemälde gehören. Darunter befinden sich zwei des Kölner Meisters Stefan Lochner, „Die Darbringung im Tempel“ und die „Stigmatisierung des Heiligen Franziskus“, sowie flämische Malerei mit Vertretern wie Rogier van der Weyden, Peter Paul Rubens, Frans Hals, Anton van Dyck oder Rembrandt.

Wie eine Fata Morgana taucht im nächsten Raum unerwartet vor einem die berühmte Marmorstatue der Diana von Houdon auf, die einmal Katharina der Großen gehört hatte. In die gulbenkiansche Sammlung kam sie, weil der finanzkräftige Mäzen durch seine Ölgeschäfte weltweite Kontakte besaß, auch zur Sowjetunion. So verkaufte sie ihm der geldknappe Moskauer Kreml heimlich aus der Eremitage, zusammen mit zwei erstklassigen Rembrandts: der „Pallas Athene“ und dem „Porträt eines alten Mannes“.

Manet Calouste Gulbenkian Museum
Édouard Manet, „Boy Blowing Bubbles“, 1867, gehört zur Lissabonner Sammlung. © Catarina Gomes Ferreira / Calouste Gulbenkian Museum

Die vollkommene Göttin der Jagd überbrückt geschickt den abrupten Wechsel zum Barock und Rokoko. Die Möbelschau offenbart, wie sehr Gulbenkian vom luxuriösen Lebensstil der französischen Elite fasziniert war. Am liebsten möchte man sich auf dem Kanapee von 1738 des Pariser Meisters Jean Nicolas Blanchard niederlassen. Ja, der Wärter schaut schon, also zieht man weiter in die Silberkammer. Sie vervollständigt den Eindruck ausschweifenden Lebensstils endgültig: Terrinen aus Pariser Manufakturen, Teeservice und Tafelaufsätze, alles sehr üppig dekoriert.

Nach den Altmeistern folgen die Jüngeren bis hin zu den französischen Impressionisten, unter denen sich reichlich Prominenz bewegt. Man macht Halt vor „Frau Lowndes Stone“ von Thomas Gainsborough oder einem der Venedigbilder von Francesco Guardi, wandert weiter zu William Turners „Quillebeuf: Mündung der Seine“ oder einer Winterdarstellung von Jean-François Millet. Édouard Manet fasziniert mit „Junge mit Seifenblasen“ und dem ebenso anmutigen „Knaben mit Kirschen“. Ob bedeutende Werke von Pierre-Auguste Renoir und Edgar Degas oder Skulpturen von Auguste Rodin in Marmor und Bronze: „Die Sammlung ist eine ungewöhnliche Mischung in hoher Qualität“, wertet die Direktorin. „Es gibt nichts Vergleichbares.“

Am Ende des Rundgangs wartet noch eine besondere Attraktion: das Lalique Kabinett. Insgesamt 175 Objekte erstand Gulbenkian vom französischen Juwelier René Lalique, dem bekanntesten Schmuck- und Glaskünstler des Art déco, von denen die schönsten Stücke wie in einem Tempel präsentiert sind. Seine Ideen fand er vielfach im Jugendstil, setzte sie in fantasievolle Diademe, Kämme, Armbänder, Anhänger, Broschen und Haarnadeln um.

Enamelled glass vase Calouste Gulbenkian Museum
Auf der emaillierten Glasvase aus dem 13. oder 14. Jahrhundert sind bunte Schmetterlinge abgebildet. © Catarina Gomes Ferreira / Calouste Gulbenkian Museum

„Überraschend ist“, meint Penelope Curtis, „dass Gulbenkian sich nie ein eigenes Haus und nie portugiesische Kunst gekauft hat.“ Das Gulbenkian-Museum wurde 1983 um einen Bau des englischen Architekten Leslie Martin erweitert. Was heute im Centro de Arte Moderna zu sehen ist, wurde größtenteils nach 1969 von der Stiftung mit dem Ziel angekauft, sowohl portugiesische und internationale Gegenwartskunst zu zeigen. Inzwischen ist die Modernesammlung auf rund 10.500 Stücke angewachsen, britische Positionen der 1950er- und 1960er-Jahre sind stark vertreten, aber auch die iranische und armenische Nachkriegsmoderne kann man hier entdecken. Die portugiesische Kunst von der Moderne bis heute wird mit ihren Spielarten des Expressionismus, Kubismus, Futurismus und Neorealismus großzügig entfaltet und im historischen Kontext nachvollziehbar. Die Künstlerpersönlichkeiten wie José Almada Negreiros (1893–1970), der 1918 jung verstorbene Pionier Amadeo de Souza-Cardoso, die abstrakte Malerin Maria Helena Vieira da Silva (1908–1992) oder die 84-jährige Paula Rego mit ihren starken Bildern weiblicher Erfahrungswelten stehen beispielhaft für das Kunstschaffen Portugals im 20. und 21. Jahrhundert. Derzeit ist das CAM geschlossen, es wird unter der Leitung des japanischen Architekten Kengo Kuma renoviert und erweitert. Die Wiedereöffnung ist noch für dieses Jahr geplant, passend zum 40. Geburtstag des Centro de Arte Moderna.

Das Gulbenkian Museum und das CAM sind durch einen oasenhaften Park verbunden, der von den Landschaftsarchitekten António Viana Barreto und Gonçalo Ribeiro Telles geschaffen wurde. Hohe Bäume spenden Schatten, Büsche bilden intime Nischen zum Besinnen und Entspannen. Die Wege führen an Fischteichen vorbei, Skulpturen wirken, als bewohnten sie den Garten. Kultur und Natur sind permanent verwoben. In einem Café trinkt man eine Bica, wie der Lissabonner Espresso heißt, und nimmt dazu ein Pastel de Nata, das köstliche Sahnetörtchen. Ein Paradiesgarten. Ganz im Geist des Stifters und der Architektur des Orients. 

Service

AUSSTELLUNG

„Flaubert in the Gulbenkian Collection“

Calouste Gulbenkian Museum, Lissabon

bis 20. November 2023

gulbentian.pt

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