Wayne Thiebaud

Das süße Leben

Wayne Thiebauds Bilder von schönen Menschen und cremigem Gebäck erinnern in der Basler Fondation Beyeler an die Blütezeit der Pop-Art

Von Hans-Joachim Müller
28.03.2023
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 211

Die gut gespielte Naivität der Pop-Art war eine der klügsten Performances der späten Moderne. Sie hat die Zeitkunst, die sich zu befremdlicher Gestik und elitärer Behauptung verstiegen hatte, gleichsam auf den Boden der sinnlichen Lebensdinge zurückgeholt. Das war frech und lustig und befreiend und hat zu den Gitarrenriffs eines Jimi Hendrix ungleich besser gepasst als das tachistische Bildgefasel, das man in den Galerien zu sehen bekam.

So gesehen tut es gut, sich von einem eher milden Pop-Artisten wie Wayne Thiebaud die auch schon wieder betagte Provokation in Erinnerung rufen zu lassen. Tatsächlich ist ja heute kaum mehr vorstellbar, mit welcher Wucht der kritikfreie Pop-Nihilismus auf das kritikmoralisch gefestigte Europa prallte. Wie sie da im Kennedy-Amerika die schiere Affirmation feierten, wie alle kunsttraditionellen Distanzen zur Warenwelt, zur Werbung, zur Mode, zum Konsumismus, zur Unterhaltungsindustrie im subkulturellen Gestus verschmolzen, das war schon denkwürdig und bleibt denkwürdig – auch in seiner musealen Verpackung.

Pop, hat damals der poppige Robert Indiana gesagt, sei ihm wie die plötzliche Rückkehr zum Vater nach 15-jähriger Erkundung der Gebärmutter vorgekommen. Man weiß gar nicht, ob man unter Denk- und Lebensbedingungen des old white man so etwas überhaupt noch zitieren darf. Aber ganz falsch war das intrauterine Bild ja nicht. Gegenüber der unendlich fruchtbaren gebärmütterlichen Abstraktion erschien der unkomplizierte Aufweis der Lebensmittel in der Tat wie ein maskulines Statement. Und tatsächlich blieb die Pop-Art bis auf ganz wenige Ausnahmen reine Männersache.

Man spürt bei allem offensichtlichen Publikumsvergnügen in der Basler Ausstellung allerdings auch die gelinde Irritation angesichts jenes seltsamen Wiederholungszwangs, der den Maler ein unwahrscheinlich langes Leben lang getrieben hat. Wayne Thiebaud ist anders als Roy Lichtenstein nie seines simplen Themas überdrüssig geworden. Und er hat auch nicht die Sophistik seines Kollegen gebraucht, der sein Pendeln zwischen Nähe und Abstand zur Norm einmal so erklärt hat: „In der Parodie ist die Umkehrung beabsichtigt, und ich fühle, dass ich dies in meinen eigenen Arbeiten nicht beabsichtige. Denn was ich angeblich parodiere, missfällt mir gar nicht. In Wirklichkeit bewundere ich die Dinge, die ich scheinbar parodiert habe.“ Keinem Thiebaud-Gebäck ließe sich Parodie nachsagen. Und kein gemaltes Petit Four, das insgeheim Bewunderung verriete. Aber dass sie nach allen Regeln des malerischen Handwerks gebildet sind, das sieht man ihnen noch immer an.

Thiebaud selber beruft sich auf Imagination. „Die Imagination“, sagt er im Interview, „muss sich mit der Erinnerung auseinandersetzen und lernen, dass die Erinnerung nichts Unveränderliches ist. Sie ist nichts, wovon man allzu viel Nutzen hat. Die Erinnerung entwickelt sich vielmehr durch den Mangel an Wissen. Sie ist zwar ein großartiges Ergebnis von Ausdruck und Bewusstsein, doch im Wesentlichen ist es die Imagination, von der man letzten Endes Gebrauch machen kann.“ Erinnerung nichts, wovon man allzu viel Nutzen hat? Die Wiederbegegnung mit Wayne Thiebauds Bildern ist allerschönster Widerspruch dazu. Wie Spielkarten hängen sie an den Wänden. Und wenn uns auch die Spielregeln nicht mehr gar so vertraut sind, dann rufen sie doch noch einmal die Spielfreude der Zeit auf, von der sie erzählen. Und was wäre Imagination anderes als nie ganz aufklärbare Formsuche nach der Erzählung?

Nichts in diesem Werk deutet darauf hin, dass die Erzählung mal bitter werden, dass sie irgendwann abbrechen könnte. Er denke, hat der Maler zuletzt bilanziert, dass darin unsere Hoffnung liege: „uns ein Leben des Vergnügens, der Herausforderung, des Trosts, der Fröhlichkeit zu verschaffen – all der Dinge, die unser Menschsein ausmachen und uns befähigen, freundlich miteinander umzugehen“.

Auch die Studentin auf dem Collegestuhl mit Schreibpult ist so eine Spielkarte. Punkt zwölf Uhr zweiundzwanzig ist das Modell auf Anweisung eingefroren. Noch hatte der Sekundenzeiger sein Ziel nicht erreicht. Seither darf man sich über die Anteile Vergnügen, Herausforderung, Trost und Fröhlichkeit streiten. Und wenn man sagt, nein, in Wahrheit ist es der gelb gerahmte Grauschatten unter ihrem Stuhl, in dem sich des Malers Imagination erfüllt, dann braucht man sich keineswegs vom Thiebaud-Spiel ausgeschlossen zu fühlen.

Service

AUSSTELLUNG

„Wayne Thiebaud“,

Fondation Beyeler, Riehen,

bis 21. Mai

fondationbeyeler.ch

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