Etel Adnan im Lenbachhaus

In Arabisch malen

Das Münchner Lenbachhaus widmet der 2021 verstorbenen Malerin und Dichterin Etel Adnan ihre erste Retrospektive in Deutschland. Und feiert so das Werk einer Wandlerin zwischen der westlichen und der arabischen Welt

Von Alexander Hosch
25.10.2022

Wo beginnt die arabische Welt? Selten kann man diese Frage einmal so religionsbefreit beantwortet sehen wie in den weitgehend abstrakten Bildern der Weltenwandlerin Etel Adnan. Die Künstlerin, die letztes Jahr mit 96 Jahren starb, hat in Beirut, Paris und Kalifornien gedichtet und gemalt, es waren die Orte ihres Lebens. Ungebrochene Farben prägen die vielen kleinen und ein paar großen Leinwände, mit Tusche bezeichneten Leporellos, monumentalen Wandteppiche und Papierarbeiten aus den verschiedenen Schaffensphasen ziwschen 1959 und 2021. Die pastos gespachtelten Gemälde aus gelben, grünen, hellblauen, roten, orangen, lila und rosa Kreisen und Rechtecken stehen in leuchtendem Kontrast zu den erdigen Landschaften des Libanon oder des amerikanischen Westens. Nun sind ihre Werke ins Münchner Lenbachhaus eingezogen. Daneben kommt auch der politische Teil des Œuvres in der Schau vor – Adnans Lyrik und die Antikriegsromane, für die sie Morddrohungen bekam.

Etel Adnan (1925–2021) war die Tochter einer christlichen griechischen Mutter und eines vom eigenen Exil geprägten Muslims aus Syrien. Sie wuchs in Beirut auf, das bis 1943 unter französischer Herrschaft stand. Sie unternahm große Reisen von der östlichen in die westliche Welt und immer wieder zurück. Nicht selten waren es Fluchten. Das im Libanon begonnene Philosophiestudium setzte sie zuerst an der Pariser Sorbonne, ab 1955 in den USA – in Harvard und Berkeley – fort. Reisen nach Mexiko und Nordafrika, Kriege, Aufbrüche und eine sich ständig verändernde Geopolitik bildeten den Rahmen für ein multikulturell geprägtes, engagiertes Leben.

Porträt Etel Adnan
Etel Adnan in der Türkei, Winter 1973/74. © Courtesy Estate Etel Adnan und Galerie Lelong & Co. Foto: Simone Fattal

Während sie schon als Kind fasziniert vom Schreiben war, wandte sich Adnan der Malerei erst später zu. Farben und Formen erwiesen sich als guter Ausweg aus einem Dilemma: Der algerische Unabhängigkeitskrieg war für sie zu einer Art Point of no return geworden Sie lebte 1959 längst in Sausalito bei San Francisco, wollte nun aber nicht mehr in der Sprache einer Kolonialmacht arbeiten. „Ich war an diesem Krieg emotional beteiligt, und es machte mich wütend, mich auf Französisch ausdrücken zu müssen.“ So begann sie in Amerika plötzlich abstrakt und vielfarbig zu malen, minimalistische Kompositionen mit großen Rechtecken entstanden, die über der Oberfläche zu schweben schienen. „Ich würde nun in Arabisch malen. Es ist eine wahrhaftige Erleuchtung. Mit wütendem Eifer stürzte ich mich in die Malerei. Ich tauchte ganz in diese neue Sprache ein. Abstrakte Kunst war das Äquivalent des poetischen Ausdrucks.“ In Faltbüchern, sogenannten Leporellos, entwickelte sie in der Folge eine ganz eigenen Kunstform, die Poesie und Malerei, Schreiben und Zeichnen vereinte.

Der Algerienkrieg war indes nur einer der Konflikte der Etel Adnan: der stetig aufflammende Bürgerkrieg im Libanon und die Arabellion nach 2010 waren andere. Sie bewirkten bei ihr Stellung- und Anteilnahmen, Betroffenheit, Verzweiflung. „An Beirut denken, von Palästina träumen, Bagdad vermissen …“, schrieb sie einmal, „… sich daran erinnern, wie unmöglich es ist, jemals vollkommen dort zu sein, wo man ist.“ Wenn sie noch lebte, würde sie wohl ihrem 1980 erschienenen Gedichtzyklus „Arabische Apokalypsen“ (als illuminiertes Exponat mit 50 handgeschriebenen Blättern unter Glas im Kunstbau vertreten) heute einen Teil 2 folgen lassen – mit neuen Kapiteln mindestens über Afghanistan, Iran, Irak, Saudi Arabien und die Türkei.

Die Künstlerin, die zuletzt im 5. Pariser Arrondissement lebte, führte nie eine klassisch bürgerliche Existenz. Vielmehr befand sie sich die meiste Zeit ihres Lebens im Exil. Anfang der 1970er war sie aus Kalifornien nach Beirut zurückgegangen – 1976 jedoch floh sie vor dem Krieg erneut nach Paris. Noch einmal lebte sie danach drei Jahrzehnte in den Vereinigten Staaten. Der Mount Tamalpais bei San Francisco, den sie von ihrem Fenster aus sah, wurde eine Art Leitstern für ihr Werk und für ihr Hauptthema Identität. Seit 2012 lebte sie wieder an der Seine. In Deutschland wurde sie erstmals 2013 richtig berühmt, nach der Documenta 13, zu der Carolyn Christov-Bakargiev sie 2012 einlud. Da war sie schon 87.

Bei aller Abstraktion kann man in den rund 100 in der Münchner Schau gezeigten Kunstwerken häufig extrem reduzierte Landschaften erkennen. Sie unterteilen sich in Horizontlinien, Flurstücke, blaue, pinke oder rote Sonnen, Sträucher, Flüsse, Strände, Schiffe und – sehr schematische – Häuser. Daraus sprechen ein Optimismus und ein Selbstbewusstsein, die in der nicht-figürlichen Bildwelt des Islam sonst fehlen. Und eine Buntheit, die in muslimischen Ländern, wo für Frauen oft nur eine einzige Farbe für Hijab oder Djellaba erlaubt wird, nicht vorgesehen ist. So sind diese Bilder Brüllorgien in leuchtenden Farben, die Adnan „mit ihrem Malmesser direkt aus der Tube sogleich auf der Leinwand verstrich“, wie einmal ein Atelierbesucher beschrieb. Künstlerisch vom Westen geprägt wurde Adnan aber auch: Von der Beat Generation, die sie in der Bay Area traf, von den riesigen Wandbildern der Universität von Mexiko und wohl auch von Bram van Velde, Hans Hofmann und anderen europäischen und amerikanischen Nachkriegsabstrakten.   

Mit dieser großzügig gehängten Schau gelingt dem Lenbachhaus jetzt im Kunstbau eine sehr schöne erste Retrospektive Etel Adnans in Deutschland. Sie wurde in Kooperation mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen organisiert, die sie anschließend in Düsseldorf zeigt, und versammelt neben den Tapisserien und mehreren Filmen einige große und sehr viele kleine abstrakte Gemälde, die in ihrer einmaligen Farbintensität geradezu mystisch wirken und eine kosmische Dimension anklingen lassen. Die langgezogene, sanft geschwungene Architektur des vor 30 Jahren in ein U-Bahn-Zwischengeschoss gelagerten Kunstbaus kommt vor allem den in länglichen Glasvitrinen ausgebreiteten Leporellos bravourös entgegen. Bis 4. Dezember sind parallel im Museum Fünf Kontinente an der Münchner Maximilianstraße elf Werke von Adnans Lebenspartnerin Simone Fattal zu sehen. Die Tonskulpturen stellen unter anderem sumerische Götter darstellen. Auf einer dritten Station der Schau, 2023 im KINDL Berlin, werden Adnans Farbexplosionen dann mit Fattals Bildhauereien gemeinsam gezeigt. 

Einige wenige berühmte Gemälde aus der hauseigenen Blaue-Reiter-Galasammlung ergänzen die Schau dieser noch immer viel zu wenig bekannten Vertreterin der Kunstmoderne. Lenbachhaus-Chef Matthias Mühling erinnerte aus diesem Anlass bei der PK an die große Zuneigung Adnans zu einigen Künstlern des Blauen Reiter. So habe sie in den 1980er-Jahren Wassily Kandinskys Schriften geradezu verschlungen. Am meisten verehrte sie jedoch Paul Klee, besonders dessen kleine Formate. Falls sie dereinst in den Himmel komme, soll Adnan gesagt haben, dann wolle sie da neben Paul Klee sitzen.  

Service

AUSSTELLUNG

„Etel Adnan“

Lenbachhaus, München

Kuratiert von Sébastien Delot in Zusammenarbeit mit Melanie Vietmeier

bis 26. Februar 2023

Zur Startseite