Donatello in Berlin

Zeitenwender

Ohne Donatello ist die Geburt der Renaissance nicht denkbar. Jetzt schafft es eine Ausstellung in Berlin, den Florentiner Bildhauer auf höchstem Niveau zu zeigen

Von Sebastian Preuss
28.09.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 204

Zwei der berühmtesten Statuen Donatellos empfangen die Besucher im Vorraum der Ausstellung: der Heilige Georg und der androgyne Bronze-David. Es sind Gipsabgüsse, denn die Originale würde das Bargello-Museum in Florenz wohl nie ausleihen. Sie zeugen vom Ruhm des Bildhauers, der im 19. Jahrhundert den Wunsch von Museen in aller Welt anschwellen ließ, seine Kunst wenigstens in Repliken ständig als ästhetische und kunsthistorische Referenz vor Augen zu haben. Zudem erinnern die beiden Kopien dezent daran, dass jede Präsentation des Künstlers, die nicht in Florenz stattfindet, ein Kompromiss sein muss. Denn in der Heimatstadt Donatellos, wo er die meiste Zeit seines langen Lebens (um 1386–1466) arbeitete, befindet sich ein Großteil der ortsfesten Werke, die seine Bedeutung ausmachen: die Kanzelreliefs, die großen Figuren von der Domfassade, die Statuen der Zunftkirche Orsanmichele oder die heldenhafte „Judith“ im Palazzo Vecchio.

In der Berliner Gemäldegalerie wird man aber schnell belehrt: Doch, man kann sehr wohl außerhalb von Florenz beeindruckend vorführen, wie Donatello ab 1410/20 ein neues Menschenbild entwickelte, wie er tief in die Seelenschichten der Figuren eindrang, wie er die antike Bildhauerkunst wiederbelebte, dabei aber nie stehen blieb, sondern unermüdlich anstrebte, den römischen Realismus zu übertreffen und in neue Dimensionen der Weltsicht vorzudringen. Körperlichkeit, Gefühle, menschliches Drama standen für Donatello immer im Zentrum seines Schaffens. Dabei schreckte er gerade im Alter auch nicht davor zurück, die Expressivität ins Hässliche zu treiben und mit rauen, oft unvollendeten Oberflächen die Wirkung noch zu steigern. Der Ausstellungstitel „Donatello. Erfinder der Renaissance“ übertreibt nicht: Er hat die neue Kunst in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts natürlich nicht allein begründet, aber er war einer der wesentlichen Erneuerer und beeinflusste viele Bildhauer und Maler weit über seine Zeit hinaus, bis hin zu Rodin.

Donatello Johannes der Täufer
Johannes der Täufer, schon als Jüngling von seiner Mission beseelt, um 1442. © David von Becker/Staatliche Museen zu Berlin (SMB)

Die Ausstellung wurde nur möglich, weil mit dem Bargello, dem Berliner Bode-Museum und dem Victoria and Albert Museum in London die drei besten Donatello-Sammlungen kooperieren. So triumphiert die Schau gleich zu Beginn mit einem Hauptwerk aus Florenz, dem David aus Marmor, den der Bildhauer (und ausgebildete Goldschmied) 1408/09 mit Anfang zwanzig für einen Strebepfeiler des Domchores schuf. Es ist Donatellos erste große Statue, und man sieht, wie er ihr nach dem Vorbild der Antike ausgreifende Räumlichkeit verleiht. Obwohl David in römischer Gewandung und Haartracht erscheint, steckt in ihm noch einiges an spätgotischer Kurvierung und Stilisierung. Welchen Weg Donatello bei seinen frei stehenden Figuren zurücklegte, zeigt später im Rundgang der um 1442 entstandene Johannes der Täufer aus Marmor. Der Bußprediger erscheint als Jüngling, bereits asketisch vergeistigt. Sein Gesicht ist so beseelt von seiner Mission, sein Körper so sinnlich, dass man sich fragt, ob solche Verlebendigung der toten Materie überhaupt noch zu steigern ist.

Anschaulich wird dies auch bei den nackten, geflügelten Kindern, die Donatello ab 1420 nach dem Vorbild antiker Putten und mit viel Fantasie darstellte. Auf dem Kanzelrelief aus Prato, eine der spektakulärsten Leihgaben, tanzen diese „kleinen Geister“ (spiritelli) ebenso heiter umher wie als Einzelfiguren aus Bronze, gipfelnd im exzentrischen „Amor-Attis“, dessen Hose wie in einer heutigen Sexclubmontur das Geschlecht und das Hinterteil offen lässt. Über die Bedeutung dieser Figur rätselt die Kunstwissenschaft schon seit Generationen.

Donatello Pferdekopf
Der fast zwei Meter hohe Pferdekopf aus Bronze ist das Fragment eines nie vollendeten Reiterdenkmals des Königs von Neapel aus dem Jahr 1456. © Giorgio Albano/ Museo Archeologico Nazionale di Napoli, mit Genehmigung des Ministeriums für Kultur

Ausgeprägt war Donatellos Experimentierlust mit verschiedenen Materialien. Schon als junger Mann schuf er Marienfiguren aus Ton, wobei die Berliner „Mantel-Madonna“ mit ihren Mandelaugen eine fast exotische Schönheit ausstrahlt. Dass die Terrakotta in der Renaissance ein so beliebter Werkstoff wurde, geht maßgeblich auf ihn zurück. Seine schönste Darstellung der innig liebenden Gottesmutter ist und bleibt aber das Marmorrelief der Pazzi-Madonna, Kronjuwel des Bode-Museums. Zudem ist es eines der ersten Werke, in denen die Zentralperspektive konsequent Anwendung fand.

Faszinierend an Donatello ist, wie innovativ er in allen Bereichen war. Neben der Vermenschlichung und psychologischen Durchdringung der Freiskulpturen erfand er das relievo schiacciato, das noch Jahrhunderte nachwirken sollte: das „gequetschte“ Relief, das in nur wenigen Zentimetern durch zarte Schichtungen eine unglaubliche Tiefenwirkung erzielt. In diesem Bildraum bringt Donatello die Szenen zu fast filmischer Präsenz, lässt Menschenmassen hin und her wogen und treibt das Drama des Geschehens auf die Spitze. Besonders mitreißend das Bronzerelief des „Eselswunders“ aus Padua. Es ist überhaupt eine der Sensationen der Ausstellung, dass die dortige Antoniusbasilika zwei Reliefs und das monumentale Bronzekruzifix vom Hochaltar ausgeliehen hat. Noch nie konnte man derart nahe an diese für Donatello so wichtigen Werke herantreten.

Donatello Amor-Attis
Rätselhaft ist der „Amor-Attis“ mit seiner ziemlich aufreizenden Hose, 1435/40. © Bruno Bruchi/Museo Nazionale del Bargello, Firenze, mit Genehmigung des Ministeriums für Kultur

Neville Rowley, der Kurator der Ausstellung, hat die knapp 40 Arbeiten von Donatellos Hand oder aus seiner Werkstatt klug in ein konzentriertes Epochenpanorama aus Skulpturen und vor allem Gemälden der Florentiner Frührenaissance eingebettet. Dadurch wird seine Strahlkraft auf die Zeitgenossen anschaulich, und der kunsthistorische Rang seiner Skulpturen tritt noch deutlicher vor Augen. Besser und schöner lässt sich Donatello, der nicht weniger als die Kunst der Neuzeit auslöste, außerhalb von Florenz nicht darstellen

Service

Ausstellung

„Donatello. Erfinder der Renaissance“,

Gemäldegalerie, Berlin,

bis 8. Januar 2023

smb.museum

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