Das Werk der Berliner Bildhauerin Alicja Kwade wird weltweit gefeiert – auch und gerade in Japan. Wir sprachen mit ihr über Minimalismus, die Faszination eines Inselreichs, die Setouchi Triennale und Wasser in der Wüste
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29.12.2021
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 194
Sie haben erwähnt, dass die Natur am Seto-Binnenmeer Sie an japanische Holzschnitte erinnert habe. Haben Sie sich viel mit japanischer Kunst auseinandergesetzt?
Nicht genug. Ich habe relativ viele Sammler in Japan und auch in anderen asiatischen Ländern wie China oder Korea, schon seit Langem. Und ich wurde von dort aus immer wieder darauf angesprochen, ob ich mich mit den asiatischen Philosophien, mit Konfuzius oder Ähnlichem beschäftigt habe. Habe ich nie. Ich war dann immer ein bisschen beschämt. Ich habe versucht, mich damit zu beschäftigen, aber das ist natürlich nichts, was man so nebenbei erledigen kann. Ich habe mir sehr viel japanische Kunst angeschaut. Aber es ist natürlich total verblüffend und auch einfach zu erkennen, wie sehr sich diese europäische Mode für Japan und den asiatischen Raum ausgebreitet hat und den Jugendstil und die ganze europäische Kunst immens geprägt hat. Ich hatte bei der Setouchi Triennale ein interessantes Erlebnis. Unser Betreuer des japanischen Kulturinstituts, stets in Anzug und Krawatte, wollte uns auf einmal unbedingt etwas zeigen. Wir fuhren mit dem Auto lange einen Berg hoch. Und dann zeigte er uns den Sonnenuntergang auf Honjima. Er hat fast angefangen zu weinen, weil er es so schön fand. Und dann meinte er, es wären die Europäer gewesen, die den Japanern beigebracht hätten, zu sehen, wie schön ihre Landschaft ist. Es waren ja Bauern, Fischer, die da gelebt haben, die hatten halt andere Sorgen als zu gucken, wie schön ihre Inselwelt ist. Erst durch den Einfluss der Europäer begannen die Japaner, die Landschaft auch in ihrer Kunst um ihrer Ästhetik willen wahrzunehmen. Das war für mich ein sehr interessanter Gedanke.
Und gibt es wiederum einen Einfluss der japanischen Kultur auf Ihre künstlerische Arbeit?
Also ich glaube, es gibt eine gegenseitige Anziehung. Ich habe eine Empfindung für die dortige Ästhetik. Diese resultiert aber auch aus dem Glauben, einer Spiritualität und Philosophie, die ich selbst nicht eingehend kenne. Warum meine Arbeiten in Asien Anklang finden, liegt in dem ihnen innewohnenden Minimalismus, der bei mir aber keinerlei Glaubenshintergründe hat. Meine Arbeiten sind der Versuch einer reduzierten Aussage, um auf den Punkt zu kommen, das haben sie vielleicht mit der japanischen Philosophie gemein. Also gibt es da einen Konsens, ohne dass dieser von mir bewusst gesucht worden wäre. Ich verstehe das formal harmonisch sehr gut. Ich verstehe, wie Proportion oder Dinge gemacht werden. Das interessiert mich sehr. Aber es wäre vermessen zu sagen, dass ich etwa ansatzweise die japanischen Gärten verstehe, wo alles seine genaue Ordnung hat und exakt festgelegt ist, warum man wie den Rechen dreht und wie oft und so weiter.
Im in Japan vorherrschenden Schintoismus sind die Elemente der Natur, aber auch Alltagsdinge, alles, was es gibt, beseelt. Es gibt auch einen Schutzgeist gegen Corona. Können Sie damit etwas anfangen? Glauben Sie an Geister?
Es ist so, wenn man versucht, alles zu untersuchen und nicht weiterkommt, dann gerät man ja in die entmaterialisierte Ebene, also quasi ins Vakuum. Und was dieses Vakuum ist, weiß ich nicht. Ich glaube nicht an Gott oder an Geister in der Form, wie sie mir bisher in verschiedenen Kulturen begegnet sind. Das lehne ich alles ab, das ist mir zu plakativ. Wenn ich der liebe Gott wäre, wäre ich deshalb wirklich beleidigt. (lacht) Aber natürlich ist es so, dass man ja merkt, und damit spielt ja auch ein bisschen meine Ausstellung in der Berlinischen Galerie, dass jegliches Wissen von uns ein Ende hat und alles andere so weit entfernt ist von dem, was unser Gehirn jemals imstande sein wird, wahrzunehmen, dass man gar nicht umhinkommt, sich sicher zu sein, dass da auf jeden Fall etwas ist, was man nicht begreift. Ob man das jetzt Geister nennt oder Gott oder die Unendlichkeit oder die Mathematik, das ist, glaube ich, jedem selbst überlassen. All das führt darauf hinaus, dass man irgendwann nicht mehr folgen kann. Und wenn man nicht mehr folgen kann, entsteht die Abstraktion, und wenn die Abstraktion entsteht, entsteht auch die Leere. Und wenn die Leere entsteht, ist man gedanklich raus.
Noch einmal zurück nach Naoshima: Den großen Kürbis von Yayoi Kusama, der dort steht, hat kürzlich ein schwerer Sturm ins Meer geweht. Sie arbeiten ja sehr viel mit Kunst im öffentlichen Raum und auch im Naturraum. Dieser Raum verändert sich durch den Klimawandel. Denken Sie bei einer Inselwelt wie der im Seto-Binnenmeer daran, dass es die Inseln – wie die Halligen in Norddeutschland – bald nicht mehr geben könnte, weil sie überflutet sind? Spielt das eine Rolle für Ihre Arbeit?
Ja, ich denke daran. Aber ich denke auch genauso daran, dass das mal ein Ozean war, wo ich mich gerade aufhalte. Ich bin nicht pessimistisch und versuche nicht, davor zu warnen, dass alles den Bach runtergeht, sondern ich denke, dass wir Menschen relativ nichtig sind und auf der Erde wenig zu melden haben. Und so wie es mal ein Ozean war, so wird es wieder einer werden, und irgendwann sind wir dann weg von der Landkarte. Ich bin niemand, der versucht, mit der eigenen Arbeit zu belehren. Aber wenn wir uns selber einen Gefallen tun wollen, denken wir besser darüber nach, was wir anrichten. Um uns selbst willen, nicht um der Erde willen, denn der ist es vollkommen egal, ob wir da sind oder nicht, die kommt schon sehr gut klar, auch ohne uns. In der Dimension der Erde sind wir nur ein Augenaufschlag – wir sind da und sind irgendwann nicht mehr da. Deshalb finde ich es interessant, nach vorne wie nach hinten zu denken. Daran habe ich auch gedacht, als ich kürzlich auf einer Reise in der Wüste war. Ich stand da, und es war total leise und wahnsinnig trocken und wahnsinnig heiß. Und man sieht überall Wasser. Es ist einfach überall: Spuren von Wasser. Also ganz eindeutig Flüsse und ausgewaschene Teile und Muscheln. Das sieht so aus, als wäre es noch gar nicht so lange her – für uns scheint es lange her, aber in der Menschheitsgeschichte war es erst vor Kurzem.
Setouchi Triennale
14. April bis 18. Mai,
5. August bis 4. September,
29. September bis 6. November
„In Abwesenheit“,
Berlinische Galerie,
bis 4. April