Das Werk der Berliner Bildhauerin Alicja Kwade wird weltweit gefeiert – auch und gerade in Japan. Wir sprachen mit ihr über Minimalismus, die Faszination eines Inselreichs, die Setouchi Triennale und Wasser in der Wüste
Von
29.12.2021
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 194
Erzählen Sie etwas über die Umgebung. Wie sind Sie auf die Insel gekommen? Welchen Eindruck hat sie auf Sie gemacht?
Gelandet sind wir in Takamatsu. Das ist eine große Industrie- und Hafenstadt, die einzige noch relativ belebte Stadt in der Region. Und von dort sind wir mit der Fähre erst nach Naoshima gefahren, auf diese wunderschöne Museumsinsel, die natürlich spektakulär ist. Nicht nur die Museumsbauten, auch die Landschaft ist der Wahnsinn. Wir waren im Februar dort, es war sehr, sehr stürmisch und trotzdem nicht minder schön. Es ist verblüffend, dass diese Landschaft genauso aussieht wie auf den japanischen Stichen. Dort wächst dieser kleinblättrige japanische Ahorn, der wirklich so zart aussieht, wie in der japanischen Kunst dargestellt. Und man hat dieses Meer, das überwältigend ist. Man sollte sich mindestens zwei, drei Tage zur Erkundung nehmen. Man kann in diesem Museumshotel auch wohnen, und es gibt ein ganz tolles Restaurant. Ich musste ein bisschen lachen, als ich da war, denn es erinnerte mich an einen Woody-Allen-Film, in dem die ganzen Kulturinteressierten aus Europa herumsitzen, bei ihrem Frühstück, mit schwarzen Hornbrillen, Architekten und Künstler, die ein wenig wirkten wie eine Karikatur europäischer Kulturwanderer.
Man kann auf Naoshima ja sogar Seerosengemälde von Claude Monet ansehen, und es gibt eine Kürbisskulptur von Yayoi Kusama.
Ja, das Ganze ist wirklich sehr eindrucksvoll. Von Naoshima ging es dann weiter auf die Insel Honjima, wo ich ausgestellt habe. Das war merkwürdig, denn die Insel wirkte komplett leer. Also da steht ein wunderschönes Haus nach dem anderen, aber man merkt, da ist kaum jemand mehr, da schaut sich auch jeder nach einem um, die älteren Herrschaften, die dort wohnen. Es gibt zwar noch eine Schule, was ein wenig hoffnungsvoll stimmt, aber es gibt insgesamt wenig. Was aber funktioniert und total toll war, und wo man merkt, man kann etwas bewirken, ist die Tatsache, dass während der Triennale wirklich viele Leute dorthin kommen. Ich war an einem Wochenende dort, es kamen viele junge Japaner und auch ausländische Besucher. Man sieht sie dann durch diese kleinen historischen Straßen laufen und die Kunstwerke suchen, mit ihren Kärtchen, die von A nach B führen. Und dadurch passiert wieder etwas. Kleine Lädchen machen auf, die da etwas servieren und so weiter.
Wo haben Sie auf Honjima gewohnt?
Es gibt keine Hotels, sondern nur Bed & Breakfast. Das Kulturinstitut hatte uns einen Betreuer zur Seite gestellt, weil es die Höflichkeit verlangt, dass man von morgens um acht Uhr bis abends acht betreut wird. Dieser führte uns dann in das Haus einer älteren Dame, die uns Unterkunft gewährte. Die Dame war bestimmt um die 80! Es war für uns ein bisschen verstörend, weil sie sofort auf die Knie ging zur Begrüßung. Und ich als Europäerin sehe mich gegenüber einer älteren Dame ja eher niedriger im sozialen Rang, aber es war nicht möglich, sich dagegen zu wehren. Im Zentrum ihres Hauses war ein beheizter Tisch. Diese Häuser sind sehr kalt, weil es ja keine wirkliche Heizung gibt, und die Winter sind doch recht streng. Aber es gibt diese elektrischen Wärmematten. Der Mittelpunkt des Hauses ist immer eine Art Loggia, ein überdachter Innenhof, von dem die Zimmer abgehen. Und dort wird meistens dieser Tisch hingestellt, mit Wärmematten darunter. Dort sitzt man und verbringt den Tag an dem Tisch. Er ist weniger zum Essen gedacht als zum Rumhängen und Teetrinken. (lacht) Gegessen wird an einem anderen Tisch, einem länglichen, unter dem eine Kuhle ist, sodass man etwas tiefer sitzt. Dort hat diese Dame dann Sushi und was weiß ich noch und nöcher aufgetischt.
Was hat Ihnen auf Honjima besonders gut gefallen?
Die Architektur ist einfach wunderschön dort. Und dann entdeckt man auch immer wieder Tempel zwischendrin oder Friedhöfe, religiöse Orte. Auch die Natur ist wahnsinnig schön. Man sieht immer wieder kleine Gärtchen, die sehr sorgfältig betreut werden, wo im Winter noch Rosen wachsen. Das ergibt alles so eine schöne, liebevolle Ordnung. Von da sind wir dann gleich wieder nach Takamatsu und haben den Zug nach Tokio genommen. Dort bin ich auch immer wieder gerne, aber es gibt für mich nicht so viele Unterschiede zu anderen großen Städten. Sie ist halt so, wie große Städte sind, und die sind ja mehr oder weniger alle gleich. Nur dass natürlich die Leute ein bisschen verrückter oder anders sind. Verrückter für uns, von unserer Sicht aus gesehen.