Architekturbiennale 2021

Heiter bis wolkig im Cloud-Pavillon

Für die diesjährige Architekturbiennale hat das deutsche Kuratorenteam einen digitalen Pavillon geschaffen, der weltweit begehbar ist. Unsere Venedigkorrespondentin hat den Cloud-Pavillon besucht

Von Petra Schaefer
21.05.2021

Wie werden wir gemeinsam leben? Oder auch: „How will we live together?“ Genau das ist die zentrale Frage der 17. Architekturbiennale in Venedig, die gerade unter der Leitung von Hashim Sakis eröffnet. Die Antwort des Deutschen Pavillons lautet mit zwei Herzchen-Emoticons sinngemäß „heiter, nach einer existenziellen Krise“. Die Erzählung „2038 – The New Serenity“ geht nach den problematischen 2020er-Jahren von einer Utopie des friedlichen Zusammenlebens in nicht allzu ferner Zukunft aus.

Der Pavillon ist in die Cloud kopiert

Man muss nicht nach Venedig reisen, um den deutschen Beitrag zu sehen. Denn weil unklar war, ob die pandemiebedingten Reiseeinschränkungen ein Publikum vor Ort ermöglichen würden, hat das Kuratorenteam eine digitale Kopie erstellt: den Cloud-Pavillon. Über die – weltweit gratis nutzbare – Open-Source-Plattform Google Arts & Culture erhält man Zutritt zum virtuell gestalteten 3D-Pavillon und kann dort alle Inhalte abrufen. Diese radikale Online-Vermittlung, die im Visionsjahr 2038 vermutlich alltäglich sein wird, ist in der Gegenwart noch so zukunftsgewandt, dass nicht alle in der Lage sind, darauf zuzugreifen. Wer mit seinem digitalen Endgerät nicht die neuste App herunterladen kann, steht vor verschlossenen „Türen“.

Der Deutsche Pavillon auf der realen 17. Architekturbiennale im Pandemiejahr 2021: Die Giardini in Venedig sind während der Eröffnungstage kaum gefüllt. © Petra Schaefer
Der Deutsche Pavillon auf der realen 17. Architekturbiennale im Pandemiejahr 2021: Die Giardini in Venedig sind während der Eröffnungstage kaum gefüllt. © Petra Schaefer

Das gilt für die Nutzerinnen und Nutzer auf dem heimischen Sofa ebenso, wie für die Besucherinnen und Besucher vor Ort. In Venedig hat man allerdings den großen Vorteil, sich in dem komplett leeren und – nach der Freilegung weiterer Obergaden – sensationell lichterfüllten Pavillon aufzuhalten, dem die Generalüberholung sichtbar guttut. Diese Raumerfahrung ist so großartig, dass man sich nur ungern auf sein Mobiltelefon konzentriert, auf dem der Pavillon in Miniatur wiedergegeben ist. Auch Cecilia Alemani, Direktorin der nächsten Kunstbiennale, geht nach einem raschen Rundgang weiter, ohne den QR-Code – den Schlüssel zum Cloud-Pavillon – herunterzuladen. Dies ist angesichts von 61 Länderbeiträgen und über 100 Exponaten in der zentralen Ausstellung zwar verständlich, aber bedauerlich, denn das Projekt lohnt eines Blicks, und sei er noch so kurz.

Von 2021 ins Jahr 2038 – und wieder zurück

Im Cloud-Pavillon hat man nämlich über Bildschirme Zugang zu einer Fülle von medialen Formaten wie Filmen, Vorträgen und Performances. Den idealen Einstieg in das ambitionierte und spartenreiche Projekt bietet der Film „Interrail 2038“, der in den letzten Wochen auf dem menschenleeren Giardini-Areal und vor dem Deutschen Pavillon gedreht wurde. Das Video erzählt die fiktive Geschichte von Billie und Vincent, zwei jungen in den 2020er-Jahren geborene Menschen, die im Jahr 2038 mit Hilfe einer „AI-Funktion“, also Künstlicher Intelligenz, über das Leben und die Architektur plaudernd durch eine virtuelle Kopie des Biennale-Geländes unseres Gegenwartsjahres 2021 spazieren. Die beiden 18-Jährigen befinden sich also  in einem ebenso digital erschaffenen Raum wie das Publikum.

Passend zur Krise präsentiert sich der Deutsche Pavillon leer. Die vielfältigen Inhalte des Beitrags lassen sich stattdessen mit dem Handy aus der Cloud herunterladen. © Petra Schaefer
Passend zur Krise präsentiert sich der Deutsche Pavillon leer. Die vielfältigen Inhalte des Beitrags lassen sich stattdessen mit dem Handy aus der Cloud herunterladen. © Petra Schaefer

Die filmische Inszenierung dieser virtuellen Realität hat den Retro-Charme von Robert Zemeckis Kinohit „Zurück in die Zukunft“, wenn Billie erzählt, dass sie „an Gretas 18. Geburtstag“ geboren wurde. (Gemeint ist natürlich die Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg). Und doch führt „Interrail 2038“ mit einer fröhlichen Leichtigkeit an den existenziellen Diskurs heran, der hier nur angerissen und auf dem eigens eingerichteten „History Channel“ von Expertinnen und Experten verhandelt wird. „Wir gehen von der Feststellung aus, dass 2038 alles gut gegangen ist“ so Olaf Grawert, der den postapokalyptischen Beitrag zusammen mit seinem ETH-Kollegen Arno Brandlhuber und dem künstlerischen Direktor des Architekturzentrums CIVA Brüssel Nikolaus Hirsch sowie dem Regisseur Christopher Roth kuratiert hat.

Die Hoffnung, dass alles gut ausgeht

Ausgehend von dieser fiktiven Zukunft sollen Lösungen für ein krisenfreies Zusammenleben gefunden werden, wobei die Architektur eine zentrale Rolle spielt. Dabei werden große Fragen verhandelt, wie die Verwaltung natürlicher Ressourcen und digitalen Plattformen, die Durchsetzbarkeit ethischer Grundsätze wie Solidarität, die Zukunftsfähigkeit politischer Verfassungen und last but not least der Klimaschutz. Um die in den Videos verhandelten Themen zu diskutieren, kann man den Cloud-Pavillon als innovatives Instrument zum Dialog nutzen und sich dort über alle Grenzen hinweg, geografische wie kulturelle, mit anderen Menschen digital austauschen. Der Einstieg beginnt mit der Wahl eines Avatars, der einem per Zufallsgenerator zugeteilt wird – und der einen überraschenden Perspektivwechsel bietet, wenn dieser nicht den eigenen biometrischen Eigenschaften entspricht.

Blick in die Giardini.
Blick in die Giardini. "How will we live together?" fragt die diesjährige Architekturbiennale. © Petra Schaefer

Service

AUSSTELLUNG

„Architekturbiennale 2021“

in Venedig, 

22. Mai bis 21. November 2021

Zum deutschen Pavillon: 2038.xyz / thenewserenity.com

labiennale.org

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