Ausstellungen

Otto Mueller als Lehrer in Breslau

Eine Ausstellung im Hamburger Bahnhof beschwört den deutschen Expressionisten als Maler, Mentor und Magier

Von Angela Hohmann
13.02.2019

Vor rot-grünem Hintergrund fixiert ein Mann mit wildem Haarschopf den Betrachter – fast hypnotisch, wie ein Magier. Mit offenem Jackett und Pentagramm um den Hals, Pfeife in der einen Hand, die andere lässig in die Hosentasche gesteckt, gibt sich der Maler Otto Mueller (1874 – 1930) betont unkonventionell. Das Selbstbildnis entstand 1924, als Mueller im niederschlesischen Breslau lehrte. Als Professor an der Kunstakademie faszinierte er dort von 1919 bis zu seinem Tod Kollegen, Schüler, aber auch Intellektuelle, Schriftsteller, Mäzene und Sammler – durch seine Malerei und seine unangepasste Lebensweise.

Breslau, ein vergessenes Zentrum der Avantgarde

Die Ausstellung „Maler. Mentor und Magier. Otto Mueller und sein Netzwerk in Breslau“ im Hamburger Bahnhof richtet den Blick auf diese spannende Zeit im Leben des deutschen Expressionisten, der in der Kunstgeschichte vor allem für seine drei Berliner Jahre als Mitglied der Künstlergruppe „Brücke“ bekannt ist und weniger für sein über zehn Jahre andauerndes Wirken in Breslau. Auch in der Forschung war seine späte Zeit bis dato unterbelichtet, ebenso die Tatsache, dass Breslau in den Zwanzigerjahren ein wichtiges und sehr besonderes Zentrum der Moderne war. Wichtige Strömungen der Avantgarde waren hier vertreten und prominent besetzt: mit Otto Mueller für den Expressionismus, Oskar Moll für die französische Peinture der Akademie Matisse, Carlo Mense und Alexander Kanoldt für die Neue Sachlichkeit sowie Oskar Schlemmer, Georg Muche und Johannes Molzahn für das Bauhaus und sein Umfeld. Sie alle waren zur selben Zeit Lehrer an der Akademie und schufen dort bedeutende Werke: ein beeindruckendes Personal.

Einige davon hängen nun im Hamburger Bahnhof und verdeutlichen die Stil-Vielfalt an der Breslauer Akademie: das „Gehöft mit Esel und Kind“ von Otto Mueller, die wiederentdeckte „Liegende“ von Oskar Moll, die kühl-nüchternen Porträts von Alexander Kanoldt und Carlo Mense, die geometrischen Figurenbilder von Oskar Schlemmer und die abstrakten Farbkompositionen von Johannes Molzahn, die eine echte Entdeckung sind.

Der Mythos um Otto Mueller

An der Biografie Otto Muellers, von dem in der Ausstellung natürlich die meisten Werke zu sehen sind, hangelt sich die Ausstellung lose entlang. In allen möglichen Varianten sieht man schmale nackte Mädchengestalten in Naturlandschaften, die der Künstler mit Leimfarbe auf Leinwand oder Rupfen malte oder auch in Tuschezeichnungen festhielt. Das Motiv beschäftigte ihn schon zu Brücke-Zeiten – für ihn war es der Inbegriff für Freiheit und ein Leben im Einklang mit der Natur.

Otto Mueller umwehte ein Mythos, der bis in die Nachkriegszeit weiterwirkte – und noch darüber hinaus. Er schlug viele in den Bann, vor allem natürlich seine Schüler. Darunter waren auch etliche Frauen wie Grete Jahr-Queißer oder Margarete Schultz. Sie erhielten bei ihm erstmals Zugang zu Aktzeichenkursen. Ehemalige Schüler wie Alexander Camaro und Horst Strempel gingen später nach Berlin und erlebten dort erst in der Nachkriegszeit den Höhepunkt ihrer Karrieren. Andere erlitten das Schicksal der sogenannten „verschollenen Generation“. 1932 wurde die Breslauer Akademie geschlossen, ein Jahr später kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Viele der jungen Malerinnen und Maler, die ihre Laufbahn vielversprechend begonnen hatten, flohen ins Exil, wurden deportiert und ermordet. Wer überlebte, hatte wichtige Jahre verloren und fand nach dem Krieg oft keinen Anschluss mehr.

Ein jüdisches Kulturnetzwerk

Die Ausstellung zeigt auch, wie einflussreich die jüdische Gemeinde für die Kulturszene in Breslau war. Sie war nach Berlin und Frankfurt am Main die drittgrößte der Weimarer Republik. Dementsprechend waren jüdische Sammler und Mäzene entscheidend für das Breslauer Netzwerk der Moderne. Oft kauften sie Werke atelierfrisch von den Akademieprofessoren. Jüdische Künstler wiederum ließen sich stilistisch beeinflussen, beispielsweise Heinrich Tischler, ein Freund Otto Muellers, der die expressionistische Formensprache zur Verarbeitung von Themen im Zusammenhang mit der jüdischen Religion nutzte. Später wurde das jüdische Leben in Breslau durch die Nationalsozialisten – wie anderswo auch – vollständig zerstört. Otto Mueller starb bereits 1930. So musste er nicht mehr miterleben, wie die Nazis ihn diffamierten, mehr als 357 seiner Werke aus deutschen Museen beschlagnahmten und 13 davon 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München an den Pranger stellten.

Service

Ausstellung

„Maler. Mentor und Magier. Otto Mueller und sein Netzwerk in Breslau“,

Hamburger 
Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin
bis 3. März

Dieser Beitrag erschien in

Kunst und Auktionen Nr. 2/2019

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