Auktion bei Leo Spik

Geliebte Wiederkäuer

Das Berliner Auktionshaus Leo Spik versteigert ein Gemälde der französischen Tiermalerin Marie Diéterle aus einer Sammlung mit Kuhbildern 

Von Michael Lassmann
13.06.2025
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 10/25

Sie war auf den jährlichen Schauen des Pariser Salons vertreten, erhielt auf den Weltausstellungen von 1889 und 1900 je eine Bronzemedaille, und drei Jahre vor ihrem Tod wurde sie – damals genderte man noch nicht – zum Ritter der Ehrenlegion ernannt: Die französische Tiermalerin Marie Diéterle hatte in einer reinen Männerdomäne eine deutliche Spur hinterlassen. Doch anders als ihre thematisch breiter aufgestellte Landsmännin Rosa Bonheur ist sie heute vor allem hochspezialisierten Sammlern ein Begriff, denn ihre bevorzugten Modelle waren fast ausschließlich Kühe: die weiße Charolaise, die rote Limousine oder die bunte Pie Noir – in ihren Bildern hat sie wohl alle in ihrer Heimat vorkommenden Rinderrassen festgehalten.

Sie zeigte sie in ihrem natürlichen Lebensraum; nur selten beim Grasen auf der Weide, sondern bevorzugt an der Tränke, entweder einem Bachlauf oder einem kleinen Weiher. Vorgestellt wurden die Tiere meist im Verbund einer kleinen gemischtrassigen Herde, die ihr erlaubte, ihre Körper aus verschiedenen Perspektiven zu erfassen, ihre besonderen Merkmale herauszuarbeiten und gleichzeitig ihr Verhalten untereineinder zu verfolgen. Vor den Hintergrund eines intimen Landschaftsausschnitts gestellt, schienen sie in ihrem geradezu philosophischen Gleichmut eins mit der umgebenden Natur zu sein – eine tonnenschwere Analogie zur Vita contemplativa des ehrwürdigen Aristoteles, und gerade diesem Wesenszug ihrer geliebten Wiederkäuer kam Diéterle in ihren Darstellungen frappierend nahe. Das isolierte Einzelporträt mit dem wissenschaftlichen Anspruch des Zoologen interessierte sie hingegen nicht.

Die Fächlerin stammte aus einer Künstlerfamilie: Ihr Vater, selbst Sohn eines Malers, war der Tier- und Porzellanmaler Émile van Marcke, ihr Großvater mütterlicherseits der Direktor der Porzellanmanufaktur Sèvres. Dort hatte ihr Vater den ebenfalls aus Sèvres stammenenden Constant Troyon kennengelernt, der sein Freund und Lehrer wurde. Zu lesen ist, dass er schon seit den frühen 1850er-Jahren zu Troyons „wichtigstem“ Schüler aufgestiegen war – was nur bedeuten kann, dass er dem Älteren, der mittlerweile an ernsten Sehstörungen litt, bei der Herstellung seiner Gemälde eine größere Stütze war, als man die Kunstöffentlichkeit wissen lassen wollte. Gern wird behauptet, dass Troyon auch seine Tochter maßgeblich beeinflusste. Dagegen ist einzuwenden, dass er mindestens seit 1862 bereits schwer erkrankt war und verstarb, als sie noch ein Kind war. Allenfalls durch die Vermittlung ihres Vaters, von dem sie später Unterricht erhielt, könnte er auf sie gewirkt haben.

Pieter Stortenbeker
Pieter Stortenbeker (1828 – 1898), „Kühe auf der Weide vor Stadtsilhouette“. © Leo Spik, Berlin; Foto: Johannes Zappe

Dabei wird gern unterschätzt, wie prägend das väterliche Vorbild für ihre Arbeit war. Der bei Troyon oft noch altmeisterliche Atelierton war in den Bildern van Marckes längst einer an der Pleinair-Malerei geschulten Farbfrische gewichen, die auch charakteristisch wurde für die Palette seiner Tochter. Auch ihre Vorliebe für die Darstellung von Kühen dürfte naheliegender vom Vater inspiriert worden sein, der sie ebenfalls teilte. Ob Marie ihre Ausbildung in seinem Atelier abgeschlossen hatte, als sie mit 19 Jahren den acht Jahre älteren Porträt- und Historienmaler Charles Diéterle heiratete, wissen wir nicht; jedenfalls wird eine Teilnahme am Pariser Salon erst im Jahr 1886 erwähnt. Wenig beachtet wird, dass Mme. Diéterle mit ihrem Gespür für Naturstimmungen und pointiert gesetzte Bildausschnitte auch als Landschafterin neben ihren Peers aus dem Kreis der Barbizonsten bestehen konnte.

Bei Leo Spik werden im Rahmen der kommenden Auktion am 19. Juni in Berlin über 20 Gemälde mit Kuh-Motiven aus einer Berliner Privatsammlung versteigert, die von 1970 bis in die 2000er-Jahre aufgebaut wurde. Die Arbeiten entstanden überwiegend zwischen 1850 und 1940. Obwohl unter den Losen bedeutende Signaturen vor allem der deutschen Tiermalerei des 19. Jahrhunderts wie Hermann Baisch, Anton Braith, Christian Mali und Heinrich von Zügel zu finden sind, wurden die Taxen denkbar moderat angesetzt und bewegen sich zwischen 400 und 3000 Euro.

Marie Diéterle als einzige Französin der Auswahl wird in ganz Europa und vor allem in den USA gehandelt, doch auf deutsche Auktionen gelangten in den letzten zehn Jahren nur zwei ihrer Gemälde. Von ihr wird nun zur Taxe von 2500 Euro ein Hauptwerk angeboten, das mit Maßen von rund 80 mal 100 Zentimetern zu den größten Formaten gehört, in denen sie üblicherweise arbeitete. Die spätsommerliche Stimmung „Rinder an einem Gewässer“ zeigt eine Gruppe von vier Kühen und einem Kälbchen, die sich an einem kleinen Tümpel versammelt haben; die beiden vorderen Tiere waten bereits im seichten Wasser. Die Wolken lassen noch ausreichend Sonnenstrahlen durch, um den Körpern der Rinder modellierende Lichter aufzusetzen und ihnen dadurch raumfordernde Plastizität zu verleihen. Die silbrigen Grüntöne der Baumgruppe, die die Szene nach hinten abschließt, geben immerhin einen Hinweis, dass die Malerin auch die eine oder andere Landschaft von Camille Corot gesehen haben dürfte. 

Service

AUKTION

LEO SPIK Berlin,
Auktion 19. – 21. Juni,
Besichtigung 14. – 17. Juni
www.leo-spik.de

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