Paul Scheurichs Meisterwerke aus Meissen: Bonhams versteigert in Paris die unvergleichliche Porzellansammlung Rafael
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12.04.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen 6/22
Überschattet wurde Scheurichs Laufbahn von seiner gesundheitlichen Konstitution. Aufgrund einer schweren psychischen, wohl manisch-depressiven Erkrankung kam es immer wieder zu längeren Schaffenspausen. Dies war während des Ersten Weltkriegs der Fall, dann massiv von 1923 bis 1928 und schließlich endgültig ab 1942 bis zu seinem Tod. Während dieser Krankheitsphasen erwies sich die enge Verbindung zu Pfeiffer als segensreich, denn dieser unterstützte die Familie Scheurich, indem er im größtmöglichen Maßstab Arbeiten aus dem Bestand ankaufte. Er übernahm für Meissen sogar noch nicht vollständig ausgearbeitete Modelle, wie die deshalb sehr reizvolle Aktfigur einer Stehenden. Oder Werke, deren Verkaufbarkeit in der Serie zweifelhaft oder deren Umsetzung technisch damals noch nicht möglich war. Letzteres gilt für drei großformatige Wandplatten mit vollplastischem Figurenbesatz, die Meissen schließlich erst während der Vorbereitung der Scheurich-Ausstellung 1995 auf Anregung von Johannes Rafael erfolgreich ausführte.
Nachdem Scheurich Ende 1928 die lange Krankheitsphase überwunden hatte, lenkte er seinen Fokus von Bühnenthemen und klassischen Porzellanmotiven mehr in Richtung „modernes Leben“. Reisen nach Paris und seine Tätigkeit als Illustrator für die Zeitschrift Die Dame trugen sicherlich dazu bei, dass er sich der zeitgenössischen Couture zuwandte. Dies fand seinen qualitätvollsten Ausdruck in der „Dame mit Fächer“, einer 47 Zentimeter großen Modefigur von 1929. Schlank aufragend, glamourös und doch in sich gekehrt – man assoziiert umgehend Noël Cowards melancholisches „Poor Little Rich Girl“. Gerade in dieser Plastik zeigt sich, wie treffend Scheurich das Lebensgefühl seiner Epoche sichtbar machen konnte und dass er die Quintessenz „klassischer“ Porzellanplastik in die Gegenwart zu transportieren verstand. Das Modell ist in der Sammlung Rafael in einer weißen, glasierten Ausführung von nach 1934 vorhanden sowie in einer unikativen Variante in Biskuitporzellan. Diese Ausformung wurde 1937 auf Wunsch von Annelies von Ribbentrop angefertigt, der Gattin des späteren Reichsaußenministers und eifrigen Förderin des Künstlers.
Scheurichs Karriere nahm ab 1933 noch einmal richtig Fahrt auf, wenngleich es in Meissen schwierig für ihn wurde. Die enge Verbindung mit Pfeiffer wurde nun problematisch, da sich manufakturinterner Unmut über dessen Führung zu handfesten Intrigen ausweitete, die schließlich zu seiner Entlassung 1934 führten. Erst unter Wolfgang Müller von Baczko sollte ab 1936 eine erneute Zusammenarbeit glücken.
Neubauten beziehungsweise Neugestaltungen von Ministerien, Amtssitzen und Kulturbauten sorgten jedoch für umfangreiche Aufträge, von denen der flexible Künstler profitierte: Scheurich schmückte das Schloss Bellevue mit dekorativen Wandmalereien aus, fürs Reichspropagandaministerium entwarf er eine großformatige Tapisserie für den Musiksaal. Zum größten Projekt wurde die Innenausstattung der Deutschen Oper in Charlottenburg. Er modellierte zahlreiche Plastiken für das Interieur und bemalte den Bühnenvorhang mit einem bunten Figurenreigen aus unterschiedlichen Opern.
Scheurichs Stil kam bei der Führungselite des „Dritten Reichs“ gut an. Zugleich elaboriert und nostalgisch, elegant und humorvoll, auf jeden Fall dekorativ – und damit harmlos und in die Repräsentationsmuster des Regimes einschreibbar. Dies zeigte sich besonders an seinem letzten Porzellanwerk, dem groß angelegten Tafelaufsatz „Geburt der Schönheit“ für das Reichsaußenministerium. Das vielfigurige Ensemble in – für Porzellanverhältnisse – monumentalen Ausmaßen sollte die Tafel des Speisesaals des Ministeriums in der Berliner Wilhelmstraße schmücken. Im Zentrum war die schaumgeborene Venus vorgesehen, der eine Schar von Nereiden, Nymphen und Tritonen huldigt. Das Werk blieb ein Fragment, die neun in der Sammlung Rafael vorhandenen Einzelfiguren und Gruppen geben einen Eindruck von der gestalterischen Wucht des geplanten Ensembles.
Neben den Porzellanwerken Scheurichs sammelte Rafael ebenso dessen grafische Arbeiten und Bilder, von denen einige in der Auktion aufgerufen werden. Außerdem sind eine Reihe höchst seltener Bronzeplastiken dabei, darunter zwei Bronzegruppen von 1936, die wiederum aus Ribbentrop’schem Besitz stammten. Später wurden sie von der KPM auch in Porzellan ausgeführt. Den künstlerischen Kontext stellen außerdem Werke von Max Esser, Richard Langer, August Gaul und Paul Börner in Porzellan und Böttgersteinzeug her. Die Sammlung Rafael demonstriert eindrücklich, mit welcher Inbrunst und – zumindest künstlerischem – Erfolg Porzellan als Material der Kunst bis zum Zweiten Weltkrieg verwendet wurde.
„Paul Scheurich, L’avant-garde en céramique“
Bonhams Paris,
Besichtigung: 11. – 14. April 2022
Auktion: 14. April 2022