„Das analoge 3D-Werk“

Erdo Sam in Wiesbaden

Die Wiesbadener Galerie RUBRECHTCONTEMPORARY zeigt Werke von Erdo Sam, den die barocke Vergangenheit Würzburgs genauso inspiriert wie aktuelle Fragen zum Verhältnis von Mensch und Technologie

Von Janine Seitz
11.07.2025

Gemälde oder Plastik? Bei dem Würzburger Künstler Erdo Sam ist das keine Frage des Entweder-oder, sondern des Sowohl-als-auch. Geprägt von einer rebellischen Jugend in der Türkei, wo er mit dem System in Konflikt geriet, ging er später zum Germanistik-Studium nach Würzburg. Dort begann in den frühen 1990er Jahren seine künstlerische Entwicklung, die ihn zu den heute für ihn typischen großflächigen Gemälden führte. Sie sind abstrakt-expressiv, durchzogen von wilden Farbschlieren und scheinbar chaotischen Verläufen, und erinnern dabei an die Marmoroptik alter Altäre. Zugleich wirken sie, als wollten sie den Raum erobern und über den Rahmen hinaus expandieren.

Erdo Sam vor seinem Werk
Erdo Sam vor seinem Werk © Galerie RUBRECHTCONTEMPORARY

Martin Oswald, Professor für Kunst in Weingarten, hat Erdo Sams Schaffen einmal als „reichen künstlerischen Kosmos“ beschrieben, der von seiner „höchst barocken Haltung“ lebt: „Die Wölbungen, reliefartigen Windungen und Faltungen stülpen sich bei ihm bald tatsächlich nach außen, verlassen den traditionellen Bildraum, greifen fast nach dem Betrachter, genauso wie manche gemalte Figur, die sich in den barocken Fresken als Plastik fortsetzt. Die Würzburger Residenz mit Giovanni Battista Tiepolos viel bewundertem Werk, dem Deckengemälde im barocken Treppenhaus, ist das beste historische Beispiel dafür. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Erdo Sam ausgerechnet in dieser fränkischen Stadt am Main seine dauerhafte Heimat fand, in die er in jungen Jahren gekommen ist.“

Abstrakte Farbverläufe, die die Zweidimensonalität sowie den Rahmen der Leinwand sprengen, sind charakteristisch für den Würzburger Künstler. Erdo Sam, ohne Titel, 2023
Abstrakte Farbverläufe, die die Zweidimensonalität sowie den Rahmen der Leinwand sprengen, sind charakteristisch für den Würzburger Künstler. Erdo Sam, ohne Titel, 2023 © Galerie RUBRECHTCONTEMPORARY

Erdo Sams neueste 3D-Werke, die im Februar von der Galerie RUBRECHTCONTEMPORARY zunächst auf der Art Karlsruhe präsentiert wurden und nun noch bis zum 8. August 2025 in den Galerieräumen nahe der Kaiser-Friedrich-Therme in Wiesbaden-Mitte gezeigt werden, sind malerische Energiewunder: Aus den wilden Falten des Leinens entspringt mal ein filigraner Fuß, man entdeckt Münder und Gesichter, zutiefst Menschliches. Sie wirken natürlich, ursprünglich; wie die Ursuppe, aus der etwas entsteht – oder besser gesagt: entsteigt. Trotz ihrer leuchtenden Farbigkeit schwingt den Werken zugleich etwas Bedrohliches mit. Der Titel der Ausstellung „Das analoge 3D-Werk” lässt erahnen, worin dieses Bedrohliche liegen könnte: In der Verschmelzung von Mensch und Technologie, von Kreativität und Automatisierung, von Emotion und Berechenbarkeit. Wenn nicht mehr zu unterscheiden ist, was virtuose Handarbeit oder eine KI mithilfe eines 3D-Druckers geschaffen hat.

Dagegen malt Erdo Sam an, schafft mit seinen surrealen Erzählungen, den anarchisch anmutenden Farbverläufen und der expressiven Ästhetik Raum für freies Denken. Er versteht sich dabei nicht als Mahner, sondern als Botschafter zwischen den Welten, für den – auch aus seiner Biografie heraus – Unabhängigkeit und Freiheit zentrale Werte sind.

Service

Ausstellung

Solo Show – Erdo Sam

RUBRECHTCONTEMPORARY
Galerie Leander Rubrecht
Büdingenstraße 4-6, 65183 Wiesbaden

Bis 8. August 2025

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