Was mich berührt

Blau ist die Liebe

In seiner Kolumne „Was mich berührt“ stellt der Bestseller-Autor Daniel Schreiber Künstlerinnen und Künstler vor, die sein Leben begleiten. Folge 9: David Hockney und die Swimmingpools

Von Daniel Schreiber
29.06.2023

Als Schlesinger und Hockney zusammenzogen, hatte der Maler seinen Führerschein gemacht, einen weißen Ford Falcon mit einem breiten roten Streifen an der Seite gekauft, sein Haar blond gefärbt und seine große, schwarze Brille mit ihren kreisrunden Gläsern erstanden, die er für die nächsten Jahrzehnte tragen sollte. Er hatte mithilfe seines Londoner Galeristen John Kasmin einige wichtige Freunde unter den kalifornischen Sammlerinnen und europäischen Exilanten gemacht. Und er hatte die schwule Subkultur in den Bars, Clubs, YMCAs und Darkrooms der Stadt in vollem Maße ausgekostet. Die Zeit nach seiner ersten Ankunft in Los Angeles, sollte er sich später erinnern, sie die einzige Phase in seinem Leben gewesen, in der er völlig promisk gelebt habe.

Die Wohnung in Santa Monica, die er für sich und Schlesinger fand, war klein und heruntergekommen. Wenn man abends das Licht anmachte, flohen die Kakerlaken in alle Ecken. Dennoch war es eine überaus glückliche Zeit für die beiden Männer. Es war das erste Mal, dass sie zusammen mit einem Partner lebten. Und beide sollten sich an jenes Jahr in Santa Monica als an eine romantisch und sexuell erfüllte Idylle erinnern. Für beide war es die erste große Liebe in ihrem Leben.

Und nach und nach sollte sich auch Hockneys malerisches Werk verändern. Es war eine Veränderung, die radikaler hätte nicht sein können. Das Licht der Stadt von Los Angeles hatte auf Hockney einen Einfluss, wie es das Licht Nizzas auf Henri Matisse hatte. Los Angeles wurde in Hockneys Bildern zu einer subtropischen Utopie, zur spektakulären Bühne des schönen, abgeschotteten Lebens, die augenzwinkernd an Reiseprospekte, Immobilienbroschüren und Lifestyle-Magazine erinnerte. In seinen Bildern waren plötzlich stilisierte Palmen vor strahlend blauem Acrylhimmel zu sehen, moderne Architektur, die sich in leuchtend weißen geometrischen Flächen auflöste, sattgrüne Rasenflächen und immer wieder das Emblem des südkalifornischen Lebensstils überhaupt: der Swimmingpool, mitsamt seiner zu geschwungenen Linien abstrahierten Lichtreflexen.

Los Angeles ist auf Hockneys Bildern der Schlesinger-Zeit der Ort, wo die Hochmoderne – repräsentiert durch Architektur, Inneneinrichtung und Skulpturen von Henry Moore und William Turnbull – auf schwules Leben trifft – repräsentiert durch die Akte junger Männer, in der Dusche, am Rand des Beckens schlafend oder auf Luftmatratzen im Wasser treibend. Hockney Kunst durchlief eine chromatische Revolution, die das landläufige Verständnis von Figuration und Abstraktion erschütterte. Umstandslos stellte er dabei die malerischen Diskurse seiner Zeit infrage. Clement Greenbergs Abstraktionsdogma, demzufolge nur noch Flächigkeit und Farbe Gegenstand eines Gemäldes sein dürften, verwies er mit großem Witz in die Schranken, indem er mit Farbflächen konkrete architektonische Elemente darstellte. Jackson Pollocks Drip-Paintings malte er feinsäuberlich als weiße Wasserspritzer nach. Es sind schöne Bilder, die einen leicht vergessen lassen, wie subversiv sie waren. Nonchalant brechen sie kunsthistorische Fronten auf, propagieren queeres Leben und machen sich dabei über das isolierte Leben der weißen Oberschicht Amerikas lustig.

Nichts schmerzt so sehr wie das Ende der ersten großen Liebe. Die ersten Anzeichen einer Krise zwischen Hockney und Schlesinger zeigten sich, als das Paar im Juli 1967 nach London zogen. Schlesinger kam in ein schon vorgefertigtes Leben, ein Universum aus Freundinnen, Freunden und Unterstützenden, das sich komplett um den Star und die öffentliche Figur David Hockney drehte, dessen Kalifornienbilder ihn in den englischen Malerolymp katapultiert hatten. Porträts, Preisverleihungen und Fernsehauftritte folgten aufeinander. Die Preise für seine Bilder vervielfachten sich, die Warteliste für sie wurde immer länger. Schlesinger gelang es nicht, Fuß zu fassen und seine eigene Identität als Künstler zu finden. Überall, wo er auftauchte, war er als David Hockneys Liebhaber bekannt. Und Hockney schien so von seiner Arbeit besessen, dass er die Probleme seines Partners nicht verstehen konnte.

David Hockney No. 599
Im Prestel Verlag erschien jüngst die Publikation „Frühling wird es sicher wieder: David Hockney in der Normandie“. Der Bildband umfasst unter anderem auch die iPad-Zeichnung „No. 599“, 2020. © David Hockney

Wenn er Schlesingers Schwierigkeiten wahrnahm, wandelte er sie in Kunst um. Der Wendepunkt für seine neue Werkphase war nicht zufällig ein Bild, das seinen Partner zeigte. Das Gemälde „The Room, Tarzana“, das Hockney 1967 nach seiner Rückkehr nach London fertigstellte, zeigt ihn bäuchlings, nur in T-Shirt und Gym-Socken bekleidet, auf einem Bett in einem sonnendurchfluteten Raum liegend. Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt schien es Hockney nicht mehr darauf anzukommen, die Flächigkeit des Bildes hervorzuheben. Stattdessen brachte er hier die Illusion von Raumtiefe ins Spiel und spielt zwei perspektivische Fluchtpunkte gegeneinander aus. Erstmals seit seinen Anfängen als Kunststudent ließ er seinen naturalistischen Impulsen freien Lauf, angesichts der kunsttheoretischen Debatten jener Zeit geradezu ein Affront. Bis zum Ende ihrer Beziehung im Sommer 1971 hörte Hockney nicht auf, Schlesinger zu zeichnen, zu malen und zu fotografieren. Sogar nach der Trennung des Paares setzte er diese künstlerischen Liebes- und Leibesübungen noch fort.

Beide Männer sollten im Laufe der Jahre bedeutendere, intensivere und längere Beziehungen führen. Doch für beide war es die Beziehung, die sie und ihr Werk definierte. Das Schicksal erster großer Lieben ist meistens, dass ihr Einfluss auf uns so viel größer ist, als wir denken. Auch wenn man sie im Nachhinein nicht mehr versteht, wird man sie nie vergessen und immer wieder auf die Spuren stoßen, die sie zurückgelassen hat. Ihr Strahlen wird über die Jahre nicht verblassen, auch wenn wir inzwischen zu anderen Menschen geworden sind.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich die Bilder aus dieser Lebens- und Werkphase von Hockney so liebe. Neben der kunsthistorischen Revolution, die sich darin abspielte, neben ihrer grandiosen Auseinandersetzung mit Queerness sind sie vor allem eins: von Liebe durchdrungen. Selbst wenn sie nicht vordergründig davon handeln, wirken sie so, als hätte sie ein Liebender gemalt. Das mag eine ganz unwissenschaftliche Vermutung sein, doch was sich überträgt, wenn ich mir diese Arbeiten anschaue, kann ich mir nur so erklären: Es müssen Spuren der Liebe sein, Spuren jener rauschhaften, dopamingetränkten ersten Liebe, in der man sich selbst so gut und zugleich so wenig wie nie zuvor versteht und in der man, ohne es zu ahnen, die Bahnen für die Zukunft legt. In der die Welt so groß und offen erscheint. In der man, erfüllt von intensivsten Gefühlen, bereit ist, alles, was man kennt, hinter sich zu lassen.

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