Julia Draganović über die Villa Massimo

„Jeder stellt sich hier auf den Prüfstand“

Julia Draganović, die Direktorin der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom, über Konkurrenz im Künstlerhaus, ständige Erreichbarkeit und das Ende der Kleiderordnung

Von Sarah Alberti
24.06.2022

Nach dem Studium sind Künstlerinnen und Künstler selten noch einmal in einer Situation, die solche direkten Vergleiche provoziert.

Und man lebt nebeneinander. Das ist was anderes, als wenn man nach der Arbeit im Studio nach Hause geht.

Was haben Sie seit Ihrem Amtsbeginn vor drei Jahren in der Villa Massimo verändert?

Ich habe vieles aufgelockert. Als ich herkam, gab es für die Mitarbeitenden noch eine Kleiderordnung. Alles, was jetzt Wiese ist, war vorher kurzgeschorener englischer Rasen, den man nicht betreten durfte. Die Mitarbeiter:innen der Künstlerbetreuung, die wichtigsten Ansprechpartner:innen für unsere Stipendiat:innen, sitzen jetzt auf der gleichen Etage wie die Direktion. Früher kamen die Stipendiat:innen nur sehr selten hoch. Die allererste Veränderung war, dass ich einen Teil der Direktorenwohnung abtrennen und Türen und Wände einziehen lassen habe. So hat sich ein großer Gemeinschaftsraum mit Küche ergeben, in dem die Stipendiat:innen und Gäste sich treffen und zusammen kochen, essen und feiern oder Italienisch-Unterricht nehmen können. Als ich herkam dachte ich, ich mache darin ein Café auf. Aber dann sagten meine Mitarbeiter:innen: „Wir sind ja nicht im Zoo!“ Erst nach einem Jahr habe ich verstanden, dass die Freiheit, die wir gerade Stipendiat:innen mit Kindern eröffnen auch darin besteht, dass sie die Ateliertür auflassen können und auch die ein- oder zweijährigen Kinder einfach rauslaufen können, ohne dass etwas passiert. Offene Türen wären in dem Moment, wo ein Café auf dem Gelände für das Publikum geöffnet würde, nicht mehr möglich. Wie können wir diesen Freiraum für die Stipendiat:innen gewährleisten und zugleich andere Menschen auf dem Gelände willkommen heißen? Mit diesem Balanceakt bleiben wir immer beschäftigt.

Esra Ersen Le Due Rome Villa Massimo
Esra Ersens „Le Due Rome“ von 2020. © Villa Massimo, Foto: Alberto Novelli

Wie eingebunden ist die Villa Massimo in die Kulturszene in Rom?

Unter den Kunst- und Kulturinstitutionen in Rom ist die Villa Massimo angekommen. Auch mit den Universitäten und Festivals, etwa dem „Romaeuropa Festival“, gibt es eine eingespielte Zusammenarbeit. Für mich ist die Herausforderung vielmehr, die Verbindung zu unseren direkten Nachbar:innen im Viertel herzustellen. Wir befinden uns inmitten der zweitgrößten jüdischen Gemeinde innerhalb Roms. Viele sind noch nie in der Villa Massimo gewesen. In den vergangenen Jahren ist es uns gelungen, besser mit der Nachbarschaft zu kommunizieren. Da hat uns Corona in die Hände gespielt: Wir haben eine große Leinwand auf unsere Außenmauer gestellt und im ersten Lockdown jeden Abend ein Programm gemacht, das für die Menschen in den benachbarten Wohnhäusern sichtbar war. Später haben wir Kunst direkt auf der Mauer so installiert, dass Menschen sie auf dem Weg zum Einkaufen sehen konnten. Auch im letzten Jahr durfte noch niemand in die Studios, weil wir dafür einen mechanischen Luftaustausuch gebraucht hätten, den wir nicht hatten und bis heute nicht haben. Da haben wir Partner:innen in der Umgebung gesucht und einen Parcours durchs Viertel kreiert. Das hat gut funktioniert: Die Kirche nebenan hat uns ein unterirdisches Theater aufgeschlossen, das sie seit Jahren nicht benutzt hatte und im Garten des Blumengeschäfts war eine Klanginstallation zugänglich.

Wie präsent ist der Krieg in der Ukraine in Rom und gab oder gibt es Überlegungen, mit den Möglichkeiten der Villa darauf zu reagieren?   

In der Öffentlichkeit und in den Medien ist der Krieg weniger präsent als in Deutschland. Allerdings wird wöchentlich an der Piazza della Repubblica demonstriert. Es hat sofort private Hilfe eingesetzt, weil in Rom viele Ukrainer:innen die Versorgung der Alten gewährleisten. Es gibt in Italien relativ wenig Altersheime. Menschen bleiben auch im hohen Alter oft in ihren Wohnungen und man stellt jemanden ein, um bei ihnen zu wohnen und sie zu versorgen. Die sogenannten „badanti“ kommen in erster Linie aus Moldawien, Russland und der Ukraine. Auch wir in der Villa Massimo haben uns sofort gefragt, was wir machen und wie wir helfen können. Wir haben alle Hilfsangebote über unsere Kanäle geteilt und gespendet. Selbst aufnehmen konnten wir nicht und ich habe auch den Rompreisträger:innen davon abgeraten, es tun.

Sabine Scho Villa Massimo
Sabine Schos Installation für die Villa Massimo. © Villa Massimo, Foto: Alberto Novelli

Warum?

Wir haben als Institution bei den COVID-Impfungen gemerkt, dass wir auch als privilegierte Deutsche Fremdkörper im italienischen System sind und nicht einmal unsere eigenen Leute schützen konnten. Ich war zudem lange Präsidentin der IKT, der International Association of Curators of Contemporary Art, und habe zuletzt die Erfahrung gemacht, wie schwierig es war, einem Kollegen aus Afghanistan zu helfen. Rahraw Ormarzad, der Gründer des Center of Contemporary Art Afghanistan und seine Familie konnten durch Vermittlung von Carolyn Christov-Bakargiev aus Kabul fliehen und nach Italien einreisen. Aber eine Krankenversicherung abschließen, ein Konto zu eröffnen und zu arbeiten – all das ist uns in Italien nicht gelungen. Mir ist da klar geworden, dass wir als deutsche Institution im Ausland keine Perspektive bieten können. Wir unterstützen alle Einrichtungen, die dazu in der Lage sind, aber wir als Institution können die Strukturen nicht bieten. So hart wie das ist. Die hiesige Situation war insofern nicht vergleichbar mit etwa Berlin, als dass in Rom keine Leute in Massen am Bahnhof ankamen und nicht wussten, wohin sie sollen. Über das Netz der internationalen Institute haben einige ukrainische Akademiker:innen schnell eine vorübergehende Unterkunft gefunden. Es gibt eine zeitgenössische Kuratorin aus Kiew, die bei uns Studiobesuche gemacht hat, und wir  überlegen, ob sie bei uns eine Ausstellung realisieren kann. Aber unsere Hauptaufgabe bleiben die Rompreisträger:innen. Menschen zu helfen ist eine Lebensaufgabe, aber man muss einschätzen, was man kann. Mit dem bloßen Wollen ist es nicht getan. Und in Italien gibt es auch noch ganz andere Dinge, bei denen unsere Hilfe gebraucht wird.

Zum Beispiel?

In Rom leben extrem viele obdachlose Menschen. Diese Konfrontation mit Armut gibt es in Deutschland so nicht. Das hat einerseits klimatische Gründe, denn in Italien kann man in der Tat viele Monate lang auf der Straße leben. Es hat auch geographische Gründe: Wir sind einfach viel näher an der EU-Außengrenze, vor allem an Afrika. Aber es gibt auch strukturelle Ursachen: In Rom gibt es zwar sehr viele Bürgerinitiativen, aber auf staatlicher Ebene wenig Hilfsleistungen. Obdachlosigkeit betrifft oft Menschen, die nicht der EU angehören und keine Aufenthaltsgenehmigung und keine Arbeitsmöglichkeit haben. Aber auch Menschen aus Rumänien. Es gibt viele alternative Architekturen, ganze Baracken-Dörfer etwa am Ufer des Tiber und des Aniene, die regelmäßig überflutet werden. Viele Menschen kehren die Straße und stellen dafür ein Spendentöpfchen auf. Das ist quasi eine alternative Ökonomie für die Serviceleistungen, die in der römischen Gesellschaft nicht klappen, wie die Straßenreinigung. Es gibt ganz viele Menschen, die vom Betteln leben. Das Bewusstsein dafür zu wecken, diese Menschen unterstützen zu können, ist eine Sache. Denen Gehör zu verschaffen, die sich für eine Änderung dieser Zustände der Exklusion einsetzen – das ist eine Aufgabe, für die eine Institution wie die Deutsche Akademie Rom Villa Massimo als Verstärker dienen kann. 

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