Künstlerautografen

Botschaften auf Papier

Handschriftliche Zeugnisse von Künstlerinnen und Künstlern geben Einblicke ins Private und in den Schaffensprozess. Ein faszinierendes Sammelgebiet

Von Markus Brandis
03.11.2021
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 189

Die Tradition dieser Autografengattung lebte weiter: Margarete, die Tochter des Berliner Wirtschaftsjournalisten Georg Schweitzer (1850–1940), wurde von ihrem Vater auf zahlreiche Reisen mitgenommen und sammelte zwischen 1890 und 1909 in einem Album Einträge von Wissenschaftlern, Schriftstellern und Künstlern, denen sie begegnete. So schrieb sich Theodor Fontane in das Souvenirbuch, der Chemiker Max von Pettenkofer oder der Afrikaforscher Georg Schweinfurth, der für Margarete eine kleine Gazelle zeichnete. Adolph Menzel formulierte etwas brüsk „Habe nicht Zeit zu schreiben!“ und hinterließ dafür eine Bleistiftzeichnung mit dem Charakterporträt einer älteren Frau. Das Album der Margarete Schweitzer wurde 2015 für 10 000 Euro bei Bassenge versteigert.

Achtung vor dem Licht

Auch die Meister der Comiczeichnung „produzierten“ neben ihren Bild-Text-Geschichten immer wieder Autografen, wenn sie einen Brief schrieben oder ein Kärtchen mit einer ihrer charakteristischen Figuren schmückten. Einer der größten seines Fachs, der als Hergé weltberühmt gewordene Belgier Georges Remi, sandte einer Freundin herzliche Grüße „mit freundschaftlichen Gedanken von Tintin, Milou und Hergé“, die beiden Comichelden natürlich mit ihren französischen Originalnamen. Dazu zeichnete er in schnellen, sicheren Strichen Tim und sein Hündchen Struppi. Das charmante, mit 29,5 mal 21 Zentimetern gar nicht kleine Blatt wurde von Eberhard Köstler im mittleren vierstelligen Bereich verkauft – während ein farbiger Coverentwurf für das Tintin-Heft „Der blaue Lotos“ von 1936 im Januar bei Artcurial in Paris den Rekordbruttopreis von 3,2 Millionen Euro erzielte.

Autografen sind sehr lichtempfindlich, darum beschränken Bibliotheken und Archive den Benutzerverkehr in der Regel auf Forscher, die ein konkretes Projekt angeben müssen. In Ausstellungen werden sie für eine begrenzte Zeit unter schwachem Licht gezeigt, was sie gegenüber Gemälden und anderen Artefakten im wahrsten Sinne in den Schatten stellt. Eine großartige Gelegenheit zum Schauen bieten jedoch die seit 2001 jährlich im März stattfindenden „Tage der Archive“, an denen in ganz Deutschland Schätze aus den Depots präsentiert werden.

Bedenkenlos anfassen lassen sich die oft sehr gut gemachten Faksimiles von Autografen, die man zunächst als Kupferstiche, dann als Lithografien auf originalgetreu zugeschnittenen, hochwertigen und ähnlich gefärbten Papieren täuschend echt nachdruckte. Sie wurden zahlreichen Publikationen und Händlerkatalogen beigelegt und geben dem Sammler die Möglichkeit, sich ganz ohne Scheu zu nähern, zu forschen, zu lesen, zu transkribieren, durchzupausen, ohne dass ein Original Schaden nehmen würde.

Keinerlei Lagerprobleme

Zu Hause verwahrt man Autografen am besten zwischen zwei Blatt Papier in einem Kartonumschlag, beides auf alle Fälle säurefrei. So taten es viele der großen Sammler, von denen neben den Autografen immer wieder eigenhändig beschriftete Kartons am Markt auftauchen, etwa die von Stefan Zweig. Auch hochwertige Folienhüllen bieten sich an, soweit diese frei von Schadstoffen sind. Viele Sammlungen wurden schon arg in Mitleidenschaft gezogen durch säurehaltiges Papier oder minderwertige Kartons, die auf den Autografen Säureschatten hinterlassen oder dieses sogar brüchig machen und zersetzen. Einer der verheerendsten Feinde des Papiers ist transparenter Klebefilm, der seit den Fünfzigerjahren vielfach zur laienhaften „Restaurierung“ der Blätter benutzt wurde, dieses aber meist unwiederbringlich zerstört. Die Kartonmappen oder die Folienhüllen lagert man sinnvollerweise in Ringordnern oder in Kassetten aus Pappe oder Holz, natürlich an trockenen Orten. Empfohlen sei das Format DIN A3, da die historischen Blätter oft das heutige DIN-A4-Format übersteigen, es gab ja noch keine Normierung.

Bulthus' schmückt seinen Brief mit einer Zeichnung des Dorfs Moutonne
Der Brief mit Zeichnung des Dorfs Moutonne von Balthus, 1947/48, ist bei Kotte für 20.000 Euro zu haben. © Kotte Autographs

Ein nicht zu unterschätzender Vorteil einer Autografenkollektion ist das überschaubare Gesamtvolumen. Jeder sammelnde Liebhaber von Kunst, Objekten, Büchern oder gar alten Autos wird sich früher oder später vor dem Platzproblem sehen, das ihn zwingt, entweder seine Sammlung zu reduzieren oder neue Räume zu erwerben. Die Autografen hingegen lassen sich beim Umzug oder bei Reisen meist übersichtlich in ein paar Koffer oder Kartons packen.

Neben ein wenig Geld als Startkapital gibt es grundsätzlich keine Voraussetzungen dafür, in dieses faszinierende Sammelgebiet einzusteigen – außer einer gewissen Neugier. Diese ist es auch, die den Sammler oder die Sammlerin anspornt, sich einzuarbeiten, sich mit den Schriften, mit dem Kontext und der Geschichte, in der jedes Schriftstück entstand, auseinanderzusetzen.

Preistendenz steigend

Zu den schwersten, zugleich aber auch erfüllenden Übungen zählt dabei das Entziffern der Schrift. Macht man sich jedoch erst einmal mit der (uns fremd gewordenen) altdeutschen Kurrentschrift vertraut, wird sich einem auch die Welt der Autografen schnell erschließen. Ein Trick ist hierbei, etwa die Kunstschrift Sütterlin selbst einmal zu schreiben, dann wird man sie auch schnell lesen können. Das Glücksgefühl, wenn man einen Text erfolgreich transkribiert, gelesen und verstanden hat, ist einzigartig. Natürlich helfen auch Sprachkenntnisse, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch oder gar Russisch. Doch ist der Markt so vielfältig, dass sich jeder nach seinem Gusto seine eigenen Schwerpunkte setzen kann.

Scheitert man zu Beginn der Sammeltätigkeit an der Transkription, kann man sich selbstverständlich immer an die Fachhändler oder die Experten in den Auktionshäusern wenden, die mit Rat und Tat helfen können. Sie sollte man auch unbedingt bei Zweifeln über die Echtheit eines Autografs kontaktieren. Immerhin kursieren einige Fälschungen und auch Faksimiles, die man ohne Erfahrung auf den ersten Blick oft nicht als solche erkennt. Einen guten Einstieg bieten neben Autogrammen auch Widmungsexemplare von Büchern. Hier gibt es einen großen Markt, angefangen bei signierten Bändern bis hin zu ausführlichen Einträgen mit persönlichen Notizen, Anmerkungen über das Werk oder sogar einer kleinen Zeichnung.

Ein Brief Egon Schieles an Oberleutnant Hermann von 1917
Egon Schiele bittet 1917 Oberleutnant Herrmann um die Ausleihe einiger seiner Zeichnungen, 2020 im Dorotheum für 8000 zugeschlagen. © Dorotheum

Betrachtet man den Markt der letzten siebzig Jahre, wird man einen kontinuierlichen Anstieg der Preise für Autografen fast aller Gebiete feststellen. Verglichen mit der Vorkriegszeit oder gar dem 19. Jahrhundert erscheinen uns die heutigen Preise geradezu wahnwitzig. Oder umgekehrt: Was für paradiesische Zeiten muss es für einen Sammler der Jahrhundertwende gewesen sein, wenn er im Jahr 1905 einen Rembrandt-Brief für 7000 Mark kaufen konnte; oder wenn noch 1968 für eine Widmung Picassos mit kleiner Skizze „nur“ 2100 D-Mark gezahlt werden mussten. 1970 wurde ein kurzes Schriftstück Michelangelos, ganz ohne Illustration, für immerhin 20 000 D-Mark zugeschlagen. An all diese Preise für Spitzenstücke kann man heute mindestens eine Null anhängen.

Hohe Rendite

Wichtige Autografen bedeutender Menschen werden seltener. Viele wandern für immer ab in öffentliche Museen, Institute und Bibliotheken. Und je seltener ein attraktives Objekt ist, desto höher wird der Preis; diese alte Handelsweisheit trifft auf Autografen ganz besonders zu. Tatsächlich sind die Preisanstiege dermaßen groß, dass sich mit Autografen spekulieren lässt. Die Rendite übersteigt die von Aktien und Immobilien innerhalb einiger Jahrzehnte oft um einVielfaches. Aber Vorsicht: Nur der wahre Sammler, der sich tief in die Materie einarbeitet und sich auch nicht von der Vielfalt der Sprachen, der Schriften und individuellen Schreibstile abschrecken lässt, wird letztlich auch monetär belohnt werden, sollte er seine Sammlung am Lebensende einmal verkaufen.

Sich von Autografen zu trennen ist jedoch schwer. Wie eigene Kinder sprechen die großen Geister durch ihre Handschriften immer wieder von Neuem zu ihren Besitzern. Und diese Stimmen werden, gebannt auf ein Stückchen Papier, niemals verstummen.

Hier geht’s weiter zum Service des Sammlerseminars Künstlerautografen.

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