San Marco Art Centre

6 Fragen an Daniel Birnbaum

Eine neue Ausstellung im San Marco Art Centre in Venedig widmet sich der Quantenphysik. Wir haben mit dem Kurator Daniel Birnbaum über das interdisziplinäre Projekt gesprochen, das zwischen Kunst und Wissenschaft oszilliert

Von Petra Schaefer
10.09.2025

Auf dem Markusplatz in Venedig gibt es neben dem Ensemble der städtischen und staatlichen Museen neuerdings ein Zentrum für zeitgenössische Kunst. In den von Architekten David Chipperfield sorgsam restaurierten Procuratie Vecchie, den ehemaligen Amtsräumen der venezianischen Stadtrepublik, befindet sich seit Mai 2025 das neu gegründete San Marco Art Centre (SMAC). Unter anderem gegründet vom deutschen Kunstmanager David Hrankovic, wird dort anlässlich des von der UNESCO ausgelobten „Internationalen Jahrs der Quantenwissenschaften und Quantentechnologien“ die Gruppenausstellung „The Quantum Effect“ präsentiert, mit Werken von Dara Birnbaum, Isa Genzken, Ilya Khrzhanovskiy, Jacqui Davies, Jeff Koons, Mark Leckey und Marcel Duchamp/Man Ray. 

Herr Birnbaum, Sie kehren in diesem Jahr als Kurator nach Venedig zurück, wo Sie 2009  gemeinsam mit Jochen Volz die Kunstbiennale geleitet haben. Wie viel Biennale-Erfahrungen und wie viel Venedig stecken in der Gruppenausstellung „The Quantum Effekt“?

Hier steckt einiges aus Venedig! Nicht unbedingt aus der Venedig-Biennale oder aus meiner Biennale, aber die ganze Ausstellung handelt indirekt von Reflexionen, Spiegelungen und Glas, das sind ja keine unbekannten Materialien in Venedig. Zum Auftakt zeigen wir eine Spiegelarbeit aus Isa Genzkens Installation „OIL VII“, die sie 2007 im Deutschen Pavillon gezeigt hat. Die unendliche Reflexion erinnert an Science-Fiction, hier muss man sich entscheiden, in welche Richtung man geht. Von diesem zentralen Raum aus spiegelt sich die Ausstellung, und man sieht sie in jeweils acht Räumen eigentlich zweimal. Nicht ganz, das war uns wichtig! Sie ist nicht monoton, aber manche Arbeiten wiederholen sich.

Der Titel Ihrer Ausstellung kommt aus der Physik. Er bezieht sich auf die räumlichen und zeitlichen Paradoxien, die durch die Quantentheorie eingeführt wurden: Paralleluniversen, Zeitreisen, Teleportation, „Supersymmetrie“ und dunkle Materie. Was hat es damit auf sich?

Albert Einstein war kein Anhänger der Quantenphysik, aber seine Überlegungen zu „spukhaften Fernwirkungen“, also kleinen Sachen, die sich synchron bewegen, obwohl sie eigentlich keine direkte Beziehung haben und man sie nicht kausal verstehen kann, stehen im Grunde am Anfang der Quantenphysik. Diese Phänomene, in denen es Muster, Strukturen und Synchronitäten gibt, ist der Ausgangspunkt der Ausstellung, deshalb entwickelt sie sich von der Mitte aus synchron. In beiden Richtungen findet man zum Beispiel die gleiche Arbeit von Tomás Saraceno – oder fast die gleiche. Und wir haben einen Raum mit einer Verdopplung: Während auf der einen Seite eine Kamera für die Liveübertragung läuft, werden die Bilder in Echtzeit im gegenüberliegenden Raum am anderen Ende der Ausstellung reproduziert. So entsteht eine beinahe surreale Gleichzeitigkeit, eine Widerspiegelung.

Wie äußert sich dies in Ihrer kuratorischen Auswahl?

Meine Co-Kuratorin, die Filmemacherin und Produzentin Jacqui Davies, und ich beschäftigen uns konkret mit dem „Quantum Effekt“. Um ihn anschaulich zu machen haben wir uns dazu mit Ulf Danielsson beraten, dem Generalsekretär des Nobelpreiskomitees Physik 2025. Er hat zu den verschiedenen physikalischen Phänomenen, die in den Kunstwerken behandelt werden, eine Gleichung verfasst, um sie physikalisch anschaulich zu machen. Wir hatten den besten Berater der Welt! Dabei geht es nicht darum, die Quantenphysik zu erläutern, uns interessieren die Effekte, wer diese Theorie in der Kunst und in der Literatur in den letzten 100 Jahren aufgegriffen hat. Man findet natürlich Quanteneffekte in der Science-Fiction-Literatur und im Film, aber auch im Surrealismus. Deshalb kombinieren wir zum Beispiel ein Werk von Marcel Duchamp/Man Ray mit neuen, für die Ausstellung produzierten Filmcollagen von Jacqui Davies. Sie kommt aus der experimentellen Video- und Kunstwelt und ist ja eigentlich Produzentin, ich komme mehr aus der klassischen Kunstwelt. Gemeinsam interessieren uns die Übertreibungen, die Effekte und die Missverständnisse. Deshalb haben wir uns auch in der Popkultur umgesehen. Wir zeigen sogar ein sehr Quantum-mäßiges Michael Jackson Video.  

Installationsansicht von „The Quantum Effect“ im SMAC San Marco Art Centre,
Installationsansicht von „The Quantum Effect“ im SMAC San Marco Art Centre, Venedig 2025. © Foto: Enrico Fiorese

Die Ausstellung findet in den Procuratie Vecchie am Markusplatz statt, den ehemaligen Amtsräumen der Republik Venedig, die von David Chipperfield restauriert wurden. Gibt es einen Dialog mit der Architektur?

Uns war die Wiederholungsthematik wichtig, und diese ist in der Architektur vorgegeben. Wir waren einmal allein hier in den leeren Räumen und dachten: „Was haben wir gemacht? Es sind ja fast alles Spiegelungen, unendliche Reflektionen!“ Im Grunde hätte man die Räume leer lassen können für diese Ausstellung.

Sie kennen Venedig sehr gut. Sehen Sie Parallelen zu anderen Orten in Venedig zu Ihrer Ausstellung? Oder gibt es etwas, dass Sie Besucherinnen und Besuchern der Lagunenstadt empfehlen?

Venedig ist der Ort, an dem der Spiegel erfunden wurde, oder besser gesagt, hier wurde seit dem 14. Jahrhundert das Spiegelglas produziert. Als ich in den Jahren 2003 und 2009 in der Lagunenstadt lebte, war ich in vielen Palästen und sah zahlreiche Spiegel und Spiegelräume. Das haben wir hier im SMAC nicht, es gibt nur diesen Spiegeleffekt aufgrund der vielen aufeinanderfolgenden, beinahe unendlich wirkenden Räume. Solch ein langer Korridor ist ja fast absurd! Daher habe ich mich auf die Suche gemacht, ob man so etwas woanders in Venedig findet. Ich weiß ja, dass es im Caffè Florian Spiegelelemente gibt, aber das ist ein anderes Niveau. Vielleicht kennen Sie solche historische Spiegelräume in Venedig?

Eine den Raum spiegelnde Wanddekoration gibt es im Piano Nobile eines Patrizierpalastes, der noch heute im Besitz der Familie ist. Im Palazzo Zeno unweit der Frari-Basilika wiederholen sich die hellen Rokoko-Stuckaturen ins Unendliche. Ein früheres Beispiel finden wir im Caʼ Zenobio in der Nähe von Campo Santa Margherita, aber weniger Quantum-Effekt-mäßig.

Zusammen mit Tobias Rehberger haben wir in der Vorbereitung der Kunstbiennale 2009 die Glasmanufaktur Seguso auf der Insel Murano in der Nordlagune besucht. Im Grunde katapultiert mich die Ausstellung in diese Welt der Glasproduktion, in die Welt der Spiegel zurück.

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