Ist das Surrealismus? Oder naive Kunst? Das Werk der Berliner Malerin HELMA ist nur schwer in Begriffe zu pressen. Nun wird sie in der Galerie Poll wiederentdeckt
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27.01.2025
Berlin, Lützowplatz. Zentral gelegen, am südlichen Tiergarten, trifft hier Gründerzeit-Architektur auf Hotels, Büros und Restaurants. Ich bin mit Nana Poll verabredet, deren, von ihren Eltern 1968 gegründete Galerie hier jahrzehntelang in der Beletage eines hochherrschaftlichen Altbaus saß und heute noch ein Bilderlager unterhält. Nana Poll will mir Bilder von HELMA zeigen, einer 84-jährigen Berliner Künstlerin, der sie demnächst einen besonderen Auftritt auf der art karlsruhe widmen wird. HELMA selbst wohnt mit ihrem Mann Wolfgang Petrick, der ebenfalls ein Künstler ist, zwei Etagen über dem Bilderlager. Zu sprechen ist sie leider nicht, seit einem Unfall im Jahr 2014 hat sie mehr schlechte als gute Tage – und heute ist einer der schlechten.
Schon als mir Nana Poll Abbildungen der Werke von HELMA schickte, war ich verblüfft über die Eindringlichkeit ihrer Bilder. Man schaut sie an und wird unwillkürlich in sie hineingezogen – wie Alice in den Bau des sprechenden Kaninchens, der sich schließlich als Eingang zum Wunderland entpuppt. Ein Wunderland eröffnet sich auch auf den Bildern von HELMA, bevölkert von Schlangen, Bäumen, Katzen, Ast- und Wurzelwerk, Pilzen, Flammen, Leitern und Kränzen. Dazu die intensiven Farben und die obsessive Feinheit der Ausführung, all das erzeugt eine Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann.
Für Nana Poll ergibt sich die Eigenartigkeit dieser Bildwelt aus dem „Oszillieren zwischen Traum und Wirklichkeit“, für die aktuelle Ausstellung von HELMA in ihrer Galerie hat sie daher den Titel „Traumwelten“ gewählt. Sie weist mich auf die kleinen, in den Bildern versteckten Geheimnisse hin, hier reliefartig aufgetragenes Pigment, dort ein integriertes Laubblatt. Und je länger man die Bilder im Original betrachtet, desto mehr von ihren Geheimnissen scheinen sie preiszugeben: Schaut einen da nicht ein seltsames Wesen zwischen den Blütenranken an? Oder bildet man sich das nur ein? Es ist ein Paradox: In ihrer Unbestimmtheit entziehen sich die Bilder einer Deutung und fordern gleichzeitig dazu heraus.
HELMA ist Autodidaktin, hat nie eine Kunsthochschule besucht. In alten Katalogen zu ihren Ausstellungen tritt uns ihr Lebenslauf in nahezu immer gleicher Form entgegen: 1940 in Berlin geboren, aufgewachsen in Thüringen. 1959-61 Ausbildung an der Berufsfachschule für Technische Zeichnerinnen, 1964 Heirat mit W.P., 1965 Geburt der Tochter Nina, 1974 erste Bilder. W.P. ist das Kürzel für ihren Mann Wolfgang Petrick, der in der Zeit, als sie schwanger war, sein Meisterschülerstudium an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin abschloss, anschließend Stipendien und Preise einsammelte und mit 36 Jahren eine Professur bekam. Ein Mann, der, so kann man es sich vorstellen, einen großen Schatten warf. Aus diesem als eigenständige Künstlerin herauszutreten, hat sicher einiges an Mut verlangt. Dass sie autark von ihrem Mann gesehen werden wollte, beweist die Wahl ihres Künstlernamens, bei dem sie sich bewusst nur für ihren Vornamen HELMA entschied.
Nachdem sie angefangen hatte zu malen, brauchte HELMA einige Zeit, um ihren Stil zu finden. Ihre ersten Bilder sind naive Malerei im besten Sinne, später wird sie malerisch freier, ohne das Ziselierte, Feine, Übergenaue gänzlich abzulegen. 1979 hat sie ihre erste Ausstellung in der renommierten Galerie Brusberg in Hannover. Ein Auftakt, der ihr viele weitere Möglichkeiten eröffnet, die 1980er und 90er Jahre werden ihre erfolgreichste Zeit. Sie stellt in München, Berlin und im Ausland aus, ihre Bilder werden von Sammlern erworben, etwa von Ulla und Heiner Pietzsch, deren Sammlung heute als Schenkung zur Neuen Nationalgalerie gehört. In einem schmalen Buch („Den Frauen in der Kunst verschwistert“), in dem Ulla Pietzsch Künstlerinnen ihrer Sammlung vorstellt, erscheint HELMA neben Größen wie Rebecca Horn oder Tamara de Lempicka. „In ihrer Direktheit bewegt sich diese Malerei im Bereich der ‚art brut‘“, heißt es dort über sie, „einer Kunst, die ihre Anregungen aus der bildnerischen Ausdruckswelt von Geisteskranken, von Kindern und aus außereuropäischen Kulturen bezieht.“ Der Kölner Maler und Kunstprofessor Bernard Schultze bescheinigt ihrer Kunst an anderer Stelle Ähnliches: „… in unsern Landen ein Fremdling, eher in Paris zu Hause, fern den gängigen Trends.“
Nina Petrick, die Tochter von HELMA, ist inzwischen zu uns gestoßen. Auch sie hat einen künstlerischen Weg eingeschlagen, als Kinder- und Jugendbuchautorin. Mit ihr betreten wir gemeinsam die Wohnung der Künstlerin in der zweiten Etage des Hauses. Es ist ein imposanter Anblick, der sich da eröffnet, riesige, hohe Räume, deren Wände fast flächendeckend mit Bildern und Objekten geschmückt sind. In einer Ecke ist ihre Sammlung von Bauernsilber untergebracht, im Wintergarten versteckt sich ein mächtiger gläserner Schlangenkopf – ehemals Teil einer Installation –unter grünen Blättern. Dazwischen stolziert Kater Moritz herum, nur HELMA fehlt. Aber das stimmt nicht ganz, denn an den Wänden entdecke ich Porträts von ihr, gemalt von Kollegen wie Klaus Fußmann oder Jan Schüler. Später zeigt mir Nina Petrick noch eine Fotografie, die Dieter Appelt von ihrer Mutter aufgenommenn hat. Zu sehen ist eine schmale, verletzlich wirkende Frau, die skeptisch in die Kamera blickt, mehr Innen- als Außenwelt.
Wie war es mit einer solchen Mutter aufzuwachsen, frage ich Nina Petrick am Ende unseres Rundgangs, welche Erinnerungen hat sie an HELMAS kreative Zeit?: „Vielleicht waren wir mal zwei Wochen in den Ferien, aber ansonsten hat sie immer gemalt.“