Die Gruppe Clara Mosch gab es nur wenige Jahre. Aber was ihre Künstlerinnen und Künstler ab 1977 in Karl-Marx-Stadt bewegten, bleibt bis heute ästhetisch und politisch einzigartig
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14.08.2023
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 215
Während Morgner sich an die immer noch präsente Vergangenheit erinnert, sitzt er im heutigen Chemnitz in seinem Archiv. Ein historisches Haus auf dem Kaßberg, das er kurz vor der Wende von einem Freund (und Stasispitzel) kaufen konnte. Hier gibt es Konzerte, und Morgner zeigt alle paar Monate Arbeiten von Kollegen, Weggefährten und Freunden. Fast wie zu Clara-Mosch-Zeiten, als er und Thomas Ranft trotz aller Schwierigkeiten die Leitung der Galerie im Kulturbund schließlich übernehmen. Anfangs sitzt ein Funktionär mit im Gremium und wird bei der Programmgestaltung regelmäßig überstimmt „Im nächsten Jahr saßen dort schon zwei, nach fünf Jahren waren es 15 Mitglieder vom Kulturbund.“ Die Kunstschaffenden haben nichts mehr zu sagen, stattdessen werden sie offen kritisiert. Das Programm machen nun andere. „Deshalb sind wir 1982 auseinandergegangen“, resümiert Morgner. Es ist das formelle Ende von Clara Mosch – auch wenn die Aktivitäten unter freiem Himmel bis 1986 weitergehen.
Die Zeit bis dahin ist großartig produktiv. Jeder der fünf Individualisten arbeitet weiter an seinem eigenen Werk. Daneben organisiert Thomas Ranft neunmal zusammen mit Klaus Werner – seit 1974 Leiter der staatlichen Galerie Arkade in Ostberlin und der Avantgarde gegenüber aufgeschlossen, was ihn 1981 seine Stelle kostet – die kollektiven Kunstwochen. Es kommen Künstler aus Karl-Marx-Stadt, Dresden und Leipzig, und obgleich man unter sich bleibt, haben die zweiwöchigen Aufenthalte in mecklenburgischen Betriebsheimen oder Ostseecamps bald einen legendären Ruf. Dabei starten die Aktionen meist ohne festes Konzept und entwickeln sich als work in progress. Etwa 1977 in Leussow, wo auf einer kahlen Ebene mit Reisig experimentiert wird. Wasse, dessen fotografisches Archiv heute das Lindenau-Museum Altenburg betreut, hält fest, wie Skulpturen im Sinne der Land-Art entstehen – temporäre Objekte aus biegsamen Ästen in der Natur, die dann verbrannt werden. Ihre Asche landet in Reagenzgläsern und beides schließlich zusammen mit einer Fotografie der Landschaft in hölzernen Koffern. Am Ende steht das Multiple „Leussow-Recycling“.
„Viele unserer Aktionen, die wir aus Spaß begonnen haben, wurden unvermittelt Ernst“, meint Michael Morgner. Seine im Video festgehaltene Seeüberschreitung in Gallentin 1981 ist solch ein Gag, der als Reenactment der biblischen Szene beginnt, in der Jesus über das Wasser wandelt. Bei Clara Mosch wird die Aktion zum Symbolbild des in der DDR untergehenden Künstlers. Morgner gefällt der Gedanke, die giftgrüne Entengrütze mit großer Geste zu teilen. Was er erst hinterher weiß: Der Grund in dem verschlickten See ist extrem morastig, er geht beinahe unter. Für den Ostberliner Galeristen Klaus Werner endet die Arbeit „M. überschreitet den See bei Gallentin“ mit seiner Entlassung – er hatte die Kamera für den Dreh aus der Arkade besorgt.
Die „Mehl-Art“ im Jahr 1980 in Glauchau ist ein Reflex auf die damals allgegenwärtige Mail-Art. Bloß schreibt man keine Briefe, sondern backt sich konspirativ Kunst auf großen Blechen. Man kann sie essen und die Beweisstücke so vernichten. „Smollichs Stuhl“ entsteht zwei Jahre zuvor. Aus Fundholz baut sich Ranft direkt am Meer eine monumentale Sitzgelegenheit, auf der er selbst wie ein Kleinkind wirkt. Sein Blick geht raus aufs Wasser Richtung Skandinavien. Aber wer will beweisen, dass er damit die Reisebeschränkungen kritisiert? 1983 werden im Erzgebirge wieder Bäume gekapert. Diesmal sind die kahlen Äste mit Mull verbunden. Aus Protest gegen das Waldsterben und eine Luft voller ungefilterter Industriechemie. Auf den Fotografien siecht der Patient vor sich hin, die Anklage ist explizit. Manifest werden die kollektiven Aktionen in den Aufnahmen des 2017 verstorbenen Ralf-Rainer Wasse. Selbst wenn sich der begnadete Fotograf nach 1989 als janusköpfiger Freund entpuppte, der seine Abzüge jeweils gleichzeitig Clara Mosch wie auch der Stasi überließ, schätzen die Künstlerinnen und Künstler seine Arbeit bis heute: Ohne Wasses Impressionen wären ihre Pleinairs reine Erzählung.
Irgendwann hatte diese, von Morgner apostrophierte „wunderbare Reibung“ dann ein Ende. Jeder ging seinen Weg. Dagmar Ranft-Schinke lebt wie Morgner und Thomas Ranft in Chemnitz, 1997 erhielt sie den Kulturpreis Brandenburg „Sonnensegelring“ für ihr farbstrahlendes, expressionistisches Œuvre. Gregor-Torsten Schade, heute Kozik, lebt und arbeitet außerhalb der Stadt. Carlfriedrich Claus, mehr als ein Jahrzehnt älter als die übrigen Mosch-Mitglieder, starb schon 1988. Morgner, dessen Werk 2018 im Kunstmuseum Cottbus in einer Soloschau präsentiert wurde, bekam dieses Jahre das Bundesverdienstkreuz als einer der „bedeutendsten Künstler der Gegenwart“ von Ministerpräsident Michael Kretschmer übergeben. Seine Bilder und Skulpturen befinden sich in den Sammlungen zahlreicher Museen, das große Gemälde „Neun Schreitende“ von 1982 hat er den Kunstsammlungen Chemnitz geschenkt.
Kaum zu glauben, dass Ranft und Morgner bis zur Wende in den Unterlagen der Stasi als „Wurm“ und „Made“ geführt wurden. Im Berliner Kunstverein Ost (Kvost), wo bis Ende Juli eine Ausstellung die frühen Kunstaktionen von Clara Mosch dokumentiert, läuft unter anderem ein Video. Schon älter, etwas unscharf und dennoch klar konturiert, was den Umgang der DDR mit ihren nonkonformen Künstlern angeht. Clara Mosch machte sich bald nach der Wende ein Bild. Die Stasi-Unterlagen liegen auf dem Tisch, man hört sie über die Absurdität der Einträge lachen. Gleichzeitig war es „bitterer Ernst“, sagt Morgner. Zu sehen, wer etwa als Freund und als Spitzel agierte. Es gab viele davon und bei Morgner bereits die konkrete Überlegung, ihn als Militärspion zu verhaften. „Wir waren ja keine Revolutionäre“, sagt er. Aber er und seine Künstlerkollegen haben Lücken gesehen und genutzt, statt sich kritiklos anzupassen.