Bild des Tages

Die Taube von Cherson

Die Flutkatastrophe rund um Cherson hat vermutlich auch das Haus der Künstlerin Polina Rayko zerstört. Ihre Taube auf blauem Grund wurde in der Zeit der russischen Besetzung zum Zeichen des Widerstands

Von Simone Sondermann
09.06.2023

Der Bruch des Kachowka-Staudamms, in dessen Folge derzeit Teile der Südukraine überflutet werden und das nötige Kühlwasser für das Atomkraftwerk in Saporischja bedrohlich knapp wird, ist eine neue erschreckende Eskalationsstufe des russischen Angriffskriegs. Die Welt blickt fassungslos auf das große Leid der Menschen in und um Cherson, die ihr Hab und Gut und schlimmstenfalls ihr Leben verlieren, und auf die Naturkatastrophe, die sich im Überflutungsgebiet abspielt. Nun wurde bekannt, dass wohl auch das Haus der Künstlerin Polina Rayko unter Wasser steht, wie Art Newspaper berichtet.

Die Autodidaktin hatte es in jahrzehntelanger Arbeit mit bunten Fresken ausgeschmückt und eine märchenhafte Vision voller Tiere, Pflanzen und surreal-folkloristischer Szenen geschaffen, die in beredtem Kontrast zu ihrem eigenen Leben stand, das von Schicksalsschlägen geprägt war. Erst ist im Alter von 69 Jahren hatte sie angefangen zu malen, jede Wand, jede Decke, jeder Türgriff ihres Hauses verwandelte sie in eine Leinwand. Nach ihrem Tod 2004 wurde das Haus in Oleschky am Ufer des Dnipro zu einem Museum und zum nationalen Kulturdenkmal, eine Stiftung kümmert sich um ihren Nachlass und den Erhalt. In der Zeit der russischen Besetzung von Cherson seit dem Frühjahr vergangenen Jahres wurde die Taube, die sie auf blauem Grund gemalt hatte, zum Zeichen des Widerstands. Seit November sind die Stadt und die benachbarte Region wieder frei – doch nun stellt sich die traurige Frage, was von ihnen übrig bleibt.

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