Alles nur Deko

Voller Geschmack

Bei Andy Warhol wurde der Supermarkt ein Kunstwerk, in Zeiten des Onlinehandels sind die Einkaufstempel fast schon eine Erinnerung. Unsere Stilkolumne widmet sich der Kunst daheim und im Alltag. Folge 13: die schönsten Supermärkte von New York bis Berlin-Charlottenburg

Von STELLA VON SENGER, SEBASTIAN HOFFMANN & CECIL VON RENNER
13.04.2023

Fake-Filiale

In diesem Hypermarkt fiel neben den farblich sortierten Produkten und den besonders schicken Aktionstischen vor allem die gut aussehende Kundschaft auf. Teilweise besonders gut angezogen, hatte sie aber nur knapp fünfzehn Minuten Zeit, ihre flotten Einkäufe zu erledigen: Denn Jambon Cambon, Coco Flakes, Délices Gabrielle, Tapas Coco, Eau de Chanel (still und prickelnd) gab es nur während Karl Lagerfelds Modenschau für Herbst/Winter 2014/2015. Danach wurde die Kurzzeitfiliale im Grand Palais abgeräumt – erst vom begeisterten (also hysterischen) Modepublikum, dann die Reste von Abbaumannschaften. Schlussverkauf gibt’s bei Chanel ja nicht …

Chanel Supermarkt
Modenschau im Supermarché Chanel im Grand Palais, Paris, 2014. © picture alliance / REUTERS

Feine Sahne Fischfilet

Ausgesprochen wird Rogacki „Ro-gatz-ki“. Das ist auch schon das Kontroversteste, was man über dieses Berliner Urgestein sagen (aber dafür jetzt endlich richtig aussprechen!) kann. Markthallenartig gibt es hier jedes Produkt, vor allem aber Räucherfisch, unter grünem Himmel. Einiges aus dem reichen Sortiment kann zum direkten Verzehr an den wunderschönen (Ä)stehtischen bestellt werden. Die Tische mit ihren dicken Planen in Lackgrün und Lackweiß und ihrem bildhauerischen Faltenwurf hätte Isa Genzken wirklich, aber wirklich nicht besser anziehen können.

Rogacki Berlin Interior
Frischfisch und Style gibt es bei Rogacki, Wilmersdorfer Straße (aber in Charlottenburg!), Berlin. © Tadan

Campbell’s Suppen und mehr

Das ist wieder so ein Favorit, der nur kurz und auch nur als Kulisse existierte. Im November 1964 stellte die Bianchini Gallery in New York unter dem Titel „The American Supermarket“ Andy Warhol, Jasper Johns, Richard Artschwager, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg, Robert Watts (also eigentlich alle) in einer Supermarktnachbildung aus. Warhol signierte Campbell‘s Suppen für 8 Dollar und seine Siebdrucke mit dem Motiv wurden für 1.600 Dollar angeboten. Die Ausstellung war eine der ersten, welche die Öffentlichkeit sowohl mit der Pop-Art als auch mit der Frage, was Kunst alles sein kann, konfrontierte. Sie verwischte die Grenze zwischen dem Vertrieb von Kunst und von Waren. Außerdem gab sie der Tradition im Kontext eines Supermarktes eine plötzliche, aber von heute aus gesehen vorhersehbare Wendung.

Life Magazine Pop Art Supermarkt Warhol
Pop-Art-Supermarkt, abgebildet im Life Magazine von 1964

Frischer Klassiker

Unser dritter Berliner Liebling ist eigentlich der Erste: „die Sechste“ im KaDeWe. Seit Jahren wird das ganze Kaufhaus des Westens umgebaut. Die Lebensmittelabteilung ist allerdings bis jetzt der gelungenste Teil. Die Materialversprechen werden hier am schönsten gehalten: Stein ist Stein, Metall ist Metall, Kuchen ist Lenôtre, Bedienung ist Berlinerisch (und aber wirklich besonders nett, nur eben echt). Es gibt sogar Fenster. Die sind im renovierten Einzelhandel rar geworden. Und nirgendwo sonst macht es so viel Spaß, Pfandflaschen zurückzugeben.

KaDeWe Interior Berlin
Die Schokoladenabteiling im KaDeWe, Tauentzienstraße, Berlin, 2020. © Robert Rieger/courtesy KaDeWe

Minimalismus der Waren

Andreas Gursky? Nein, Fred Meyer, der das One-Stop-Shopping erfand und damit den Hypermarkt. Hier gibt’s alles. Aber so minimalistisch — eine Riesenkiste mit einfachen Regalstraßen — wird das Maximalangebot heute kaum noch präsentiert. Dieses Geschäft bildet wohl eine Art Querschnittvorstellung des Begriffs „Supermarkt“, wie man ihn in der Kunst und den Nachbardisziplinen sieht. Das geht zurück bis Warhol über Wes Anderson, Lagerfeld und eben Gursky, der diese Vorstellung 1999 hyperreal in seinem drei Meter breiten Foto „99 Cent“ verewigt hat. Oder wie Allen Ginsberg 1956 schrieb: „In my hungry fatigue, and shopping for images“. Denn auch er hat sich Supermärkten gewidmet.

Fred Meyer Supermarket Interior
Fred Meyer Supermarket, Beaverton, Oregon, um 1979. © Courtesy Oregon Historical Society

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