Land-Art

Hinter dem Horizont geht’s weiter

Seit den 1960er-Jahren verlassen Land-Art-Künstlerinnen und -Künstler ihre Ateliers, um Kunst und Natur zusammenzubringen. Vor allem die Wüste dient als Leinwand für existentielle Themen. Wir zeigen beeindruckende Landschaftskunst von Kalifornien bis Katar

Von Alexandra González
16.03.2023
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 208

FATA MORGANA

Alicja Kwade, „In Blur“, 2022

Es gibt Momente in der Wüste, da spiegelt sich die Luft auf eine Weise, dass die unendlich scheinende Ebene am Horizont auf einmal aussieht wie eine Wasserfläche. Die Wüste wird zum Meer. Die Leere füllt sich. Nun war die Gegend von Al-Ula rund 400 Kilometer nordwestlich von Medina nie eine ganz menschenleere Ebene. Früher führte eine Handelsroute zum Mittelmeer hindurch, die Weihrauchstraße, und es entstand die antike Stadt Hegra, deren Ruinen heute die erste Unesco-Welterbestätte Saudi-Arabiens sind, mit der das autoritäre Land Hoffnungen auf einen aufblühenden Tourismus verbindet. Um Täuschung und Erwartung geht es auch in Alicja Kwades Installation „In Blur“. Die Arbeit entstand im Rahmen des Festivals Desert X. Kwade positionierte meterhohe, doppelseitige Spiegel zu einem erst auf den zweiten Blick verwirrenden Kabinett, das die Perspektiven auf die umgebende Landschaft manipuliert. Hier ist nichts so, wie es scheint. Die kargen Bäume, dürren Büsche, ja selbst die Steine gehören nicht hierher. Die Künstlerin hat sie sorgfältig arrangiert und so zwischen den dramatischen Felsformationen eine Ideallandschaft geschaffen, die durch die umherlaufenden Betrachtenden zu immer neuem Leben erwacht. Denn mit jeder Bewegung, jedem veränderten Blickwinkel, jedem neuen Lichteinfall auf die Spiegel verschiebt sich die natürliche Anordnung. Was sehen wir, und was meinen wir zu sehen? Eine Frage, die gerade in unserem Verhältnis zu den arabischen Staaten uferlos scheint.

Alicja Kwade Land-Art
Alicja Kwades Skulptur „In Blur“ war Teil des Desert X Festivals im Jahr 2022. © Courtesy of the artist and Desert X AlUla, Foto: Lance Gerbe

WENN STONEHENGE TRÄUMEN KÖNNTE

Ugo Rondinone, „Seven Magic Mountains“, 2016

Nur wenige Meilen südlich von Las Vegas leuchten in der ausgeblichenen Landschaft große, aufeinandergetürmte Steinbrocken: Man würde eine archaische Kultstätte vermuten, wären ihre Elemente nicht pink, knallrot oder neongelb. Ugo Rondinone, der 1964 in der Schweiz geboren ist, aber schon lange in New York lebt, beschwört mit seinem Projekt den „Gegensatz zwischen den Lichtern der Großstadt und der Wüste“ ebenso wie „die Solidarität zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen“. Das Projekt, das dank einer Initiative des Nevada Museum of Art in Reno und des Art Production Fund entstand, ist zudem von Erdpfeilern und anderen steil aufragenden geologischen Formationen inspiriert, wie sie in der Schweiz und im amerikanischen Westen vorkommen. Aber auch die Assoziation von Bauklötzen liegt nahe. „Steine aufeinanderzutürmen ist ein universaler Impuls“, sagt Rondinone, „eine Aktivität, die es schon gibt, seit Menschen auf der Welt sind.“

Ugo Rondinone Land-Art
Ugo Rondinones „Seven Magic Mountains“ (2016) leuchten nur wenige Meilen südlich von Las Vegas. © Courtesy the artist & Esther Schipper, Foto: Gianfranco Gorgoni

KUNSTFESTUNG

Michael Heizer, „City“, 1972–2022

52 Jahre lang baute der Künstler an seiner monumentalen Skulpturengruppe „City“, während er sich und das Gelände in der Wüste Nevadas vor der Öffentlichkeit abschottete. Eine Area 51 der Land-Art gewissermaßen, drei Autostunden von Las Vegas entfernt. Nun ist das Opus magnum des Kaliforniers auf einer Fläche von 2,4 mal 0,8 Kilometern vollendet. Weil nur sechs Personen am Tag diese entlegene Stadt besuchen dürfen – nach Voranmeldung und zu 150 Dollar pro Kopf –, wird dies wohl ein sehr exklusiver Ort bleiben. Leere, nichts als Leere habe ihn 1970 dort erwartet, deshalb hielt Michael Heizer den Landstrich für geeignet, sein Lebenswerk zu beherbergen. Mit lokalem Material wie Lehm, Fels, Sand, aber auch Zement schuf er eine abstrakte Stadtlandschaft aus Pyramiden und schrägen Betonwänden, Erdwällen und Mulden, Pisten und Korridoren. Als Geoglyphen geben sie auf Satellitenbildern Rätsel auf. Besucher verlieren in den abgesenkten Komplexen („45°, 90°, 180°, City“), die an mesoamerikanische und altägyptische Zeremonialstätten ebenso erinnern wie an das Headquarter der Tyrell Corporation in „Blade Runner“, den Blickkontakt zur Umgebung. Genau darin besteht die Ambivalenz dieser kompromisslosen Kunstfestung. Sie von ihrer Umgebung zu isolieren ist faszinierend, verleugnet aber, dass in ihrer Geschichte eine viel ältere eingeschrieben ist: die der indigenen Bevölkerung. Denn „City“ befindet sich eben nicht mitten im Nirgendwo, sondern auf angestammten Territorien der Nuwu und Newe. 

Michael Heizer Land Art
52 Jahre lang baute Michael Heizer an seiner monumentalen Skulpturengruppe „City“. © Michael Heizer/Courtesy of Triple Aught Foundation, Fotos: Joe Rome

DER LAUF DER DINGE

Robert Smithson, „Spiral Jetty“, 1970

Jedes System, das sich selbst überlassen wird, neigt zur Entropie. Mit der Zeit kommen Chaos und Verfall. Das Gesetz der Thermodynamik trieb Robert Smithson (1938–1973) an, als er 1970 bei niedrigem Wasserstand gut 6000 Tonnen Basaltbrocken und Erde in den Großen Salzsee kippen und zu einer begehbaren, spiralförmigen Mole arrangierte. Dass „Spiral Jetty“ von 1972 bis 1993 von Wasser bedeckt sein würde, hätte er gerne in Kauf genommen. Auf unheimliche Weise wurde die Arbeit in Utah zum Glutkern der Land-Art: einer Kunst, die alle Institutionen verließ, um in natürlicher Umgebung aus vorgefundenem Material zu entstehen – und zu vergehen. Smithsons Unfalltod und das Fortleben der versunkenen Felsenspirale in seinem Künstlervideo nährten die Mystik um das Werk. 1993 tauchte der sich gegen den Uhrzeigersinn drehende Materiestrom in einer Salzkruste wieder auf, um später erneut zu verschwinden. Seit 2002 herrscht dramatische Trockenheit im Großen Salzsee, und „Spiral Jetty“ ist dauerhaft sichtbar. Ebendies macht Land-Art so relevant: Die Bedeutung der Werke verändert sich in dem Maße, wie sich die Welt wandelt. 

Service

FESTIVAL

„Desert X 2023“

Coachella Valley, Kalifornien

 bis 7. Mai

desertx.org

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