Daniel Spivakov

„Jeder tut jetzt, was er kann“

Der Berliner Maler Daniel Spivakov ist in Kiew aufgewachsen und steht der ukrainischen Kunstszene noch immer nahe. Seine Gemälde, ob inspiriert von Baselitz‘ Heldenbildern oder von Fotografien des Zweiten Weltkriegs, nehmen die kriegerische Gegenwart vorweg

Von Lisa Zeitz
02.03.2022

Wie geht es Ihnen?

Ich bin so beeindruckt von den Menschen in der Ukraine, aber gleichzeitig habe ich Angst. Alle meine Freunde, die dort sind, sind voller Hoffnung. Das macht mich sprachlos. Ich hatte nie patriotische Gefühle für die Ukraine, bis das passiert ist.

Jetzt leben Sie in Berlin. Wo sind Sie aufgewachsen?

Ich komme aus der Ukraine, obwohl ich 1996 in Deutschland in dem kleinen Ort Mechernich geboren bin. Meine Eltern waren jüdische Emigranten, aber sie waren nicht glücklich in Deutschland und sind zurück nach Kiew gezogen, als ich nur ein Jahr alt war. Ich bin also in Kiew aufgewachsen. Als Teenager wollte ich ausziehen und habe mich für ein Militärinternat angemeldet, ich war aber froh, dass ich da wegkonnte, als ein Platz bei einem Schüleraustausch in Tulsa, Oklahoma, frei wurde. Das war ein ziemlicher Kontrast. In den USA habe ich begonnen Kunst zu studieren. Zeitgenössische Kunst habe ich erst später richtig erlebt, auf Reisen in Europa. Ich kam dann nach Kiew zurück, habe mir ein Atelier genommen und probiert, zeitgenössische Kunst zu schaffen. Die Kunstszene dort ist klein und eng – Ausstellungen, die wir dort organisiert haben, wurden so ungefähr nur von fünf Freunden angeschaut – , deshalb habe ich mich in London an der Schule Central Saint Martins beworben. Ich wusste, dass ich malen will. So zog ich nach London. Dort habe ich meine Partnerin, die Galeristin Lina Stallmann kennengelernt, mit der ich jetzt in Berlin lebe.

Daniel Spivakov Gemälde Ukraine
Daniel Spivakovs „Wild Strawberries (over massacre)" aus dem Jahr 2021. © Courtesy of the artist and Stallmann gallery

Wo ist Ihre Familie?

Ich habe drei kleine Brüder und eine kleine Schwester, der jüngste ist fünf Jahre alt, ich bin mit 25 Jahren der älteste. Dass meine Eltern und sie nicht in Kiew sind, grenzt an ein Wunder. Meine Familie hatten schon lange eine Reise nach Bulgarien geplant, wo meine Großeltern leben, eigentlich sollte die Reise im Dezember stattfinden, aber das hat nicht geklappt, deshalb sind sie jetzt alle erst im Februar hingereist. Was für ein Glück. Das hat sie gerettet.

Meine andere Großmutter ist noch in Kiew, allein in ihrem Haus. Sie ist eine kämpferische Frau und kocht gerade Molotow-Cocktails. Am Montag vor der Invasion haben wir noch ihren 77. Geburtstag zusammen gefeiert. Am Mittwoch bin ich – das muss wohl der letzte Flug aus Kiew gewesen sein – wieder zurück nach Berlin geflogen, am Donnerstag hat der Krieg begonnen. Es ist wirklich verrückt. Logistik und Zufall: Ich bin so früh zurückgekommen, weil ich meiner Partnerin beim Aufbau der neuen Ausstellung in der Berliner Galerie helfen wollte. Eigentlich hatte ich einen Flug am Freitag geplant, aber dann gab es am Mittwoch doch noch ein billigeres Ticket.

Sie haben sicher Freundinnen und Freunde in Kiew?

Ich habe gerade mit einem meiner besten Freunde telefoniert, der in Kiew ist. Ich dachte, er sei schon längst draußen. Vor ein paar Tagen sagte er noch, er würde sich auf den Weg machen, aber jetzt sagt er, das hätte sich einfach falsch angefühlt. Er ist wieder umgekehrt und entschied zu bleiben. Jetzt hilft er, wo er kann. Damit beweist er so einen Mut! Die meisten Leute, die ich kenne, sind in Kiew geblieben. Sie bewaffnen sich …  es ist nicht nur eine Armee gegen eine Armee, jeder tut jetzt, was er kann.

Daniel Spivakov Gemälde Ukraine
Im Jahr 2019 malte Daniel Spivakov, inspiriert von Baselitz' Heldenbildern, das Gemälde „I Am Passing Through". © Courtesy of the artist and Stallmann gallery

Wie können Menschen in Deutschland helfen?

Zuerst einmal bin ich froh und dankbar, dass der Krieg hier thematisiert wird. Es hätte ja auch so passieren können wie mit der Krim: Da passierte etwas, und keiner nahm es wahr. Jetzt empfinden die Leute, dass etwas passiert … dass ihnen selbst etwas angetan wird. Hier wird die demokratische Gesellschaft angegriffen. Die Leute scheinen das zu verstehen, und das füllt mein Herz mit Hoffnung. Finanzielle Hilfe ist auch wichtig, aber man muss vorsichtig sein, es gibt Menschen, die keine Rücksicht auf Menschenleben nehmen und versuchen, sich an der Tragödie zu bereichern. Die Ukraine hat aber verschiedene offizielle Spendenkonten eingerichtet, da kann man helfen.

Es sieht aus, als ob der gegenwärtige Konflikt – und die brutale Geschichte des 20. Jahrhunderts – schon länger als unterschwelliges Motiv in Ihrer Malerei brodelt.

Unterbewusst, auf jeden Fall. Vor ungefähr einem halben Jahr habe ich mit einer Serie von Kriegsbildern begonnen. Als Ausgangspunkt habe ich Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg genommen, und Holocaust-Bilder, die ich am Computer so bearbeitet und überbelichtet habe, dass die Mitte unkenntlich wurde. Darüber habe ich gemalt. Es ist eine komische Vorstellung für mich, dass ich diese Bilder gemalt habe, und jetzt hat sich die Geschichte so entwickelt. Für mich hat diese Malerei die Botschaft: Wie findet man Hoffnung an Orten, die hoffnungslos sind? Das ist schon länger ein Thema für mich.

Ich habe Bilder vom Himmel und von Wolken ausgedruckt und sie für drei oder vier Monate draußen auf den Boden gelegt. Da haben sie dann den ganzen Staub und Schmutz abbekommen. Anschließend habe ich den Dreck fixiert und die Bilder aufgespannt. Am Schluss sieht man oben und unten gleichzeitig. Wie schaut man nach oben, ohne blind gegenüber dem Unten zu sein? Wir müssen Mitgefühl haben, dürfen unsere Augen nicht gegenüber den schrecklichen Dingen verschließen.

Der Mut der Menschen in der Ukrainer ist sehr beeindruckend, auch der von Präsident Selenskyj.

Der Typ ist ein Schauspieler! Das hat keiner von ihm erwartet. Er beeindruckt uns alle.

Daniel Spivakov Gemälde Ukraine
„Untitled (from My Finger in Your Cut)" aus dem Jahr 2021. © Courtesy of the artist and Stallmann gallery

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