Schmuck von Andrew Grima

Griff nach den Steinen

Andrew Grima war ein König Midas des Swinging London. Mit seinem schrägen, exaltierten Schmuck begeisterte der Juwelier die Chelsea-Boheme wie auch das britische Königshaus. Jetzt entdecken ihn junge Stil-Freaks wieder

Von Alexandra González
20.12.2021
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 192

Grima überraschte mit einem Cocktailring in der Stromlinienform eines Miniraumgleiters. „Diese Ausstellung war die Eröffnungssalve für eine britisch angeführte Designbewegung mit Andrew Grima an der Spitze, die in den nächsten zwanzig Jahren in der Juwelenwelt den Takt vorgeben sollte“, fasst William Grant den Epochensprung zusammen. Als Seismograf des Zeitgeists fungierte das Cover der britischen Vogue im November 1965: David Bailey, ebenfalls ein Geburtshelfer der Grooviness, fotografierte seine Muse, das Supermodel Jean Shrimpton, wie sie ausgestattet mit einem hühnereigroßen Grima-Aquamarin ihre Fingerspitzen in einen weißen Nerzkragen vergräbt.

Filmreifer Store in London

Kaum hatte der Londoner Youthquake 1966 seinen Höhepunkt erreicht, eröffnete der umtriebige Juwelier in der Jermyn Street Nummer 80 das erste Geschäft unter eigenem Namen. Die Fassade hatte der Künstler Bryan Kneale als abenteuerlichen Verschlag aus geschwärztem Stahl und Schieferplatten gestaltet. Man musste sich bücken, um durch Gucklöcher einen Blick auf seidig ausgeschlagene Vitrinenwürfel zu werfen. Durch eine drei Meter hohe monumentale Aluminiumtür des Bildhauers Geoffrey Clarke betrat man schließlich ein filmreifes Barbarella-Set mit samtweichen Hochflorteppichen, soften Ledermöbeln und einer Acrylglas-Wendeltreppe. Im ersten Stock kreierte der Hausherr, versteckt hinter einer Betonrotunde, seine Schmuckinnovationen. Der Erwartungsdruck war immens: Auf dem Gipfel seines Erfolgs unterhielt Grima Boutiquen in London, Zürich, New York, Tokio und Sydney. Um die Nachfrage zu bedienen, entwarf er bis zu 2000 Einzelstücke pro Jahr.

Schmuck Grima Miranda Quarry
Andrew Grima in seinem Londoner Geschäft mit Peter Sellers (Mitte) und dem Hippie-It-Girl Miranda Quarry. © Grima Archive

Begeisterter Anhänger der ersten Stunde war Lord Snowdon, ein feinsinniger Dandy und Fotograf, der mit Princess Margaret, der Schwester der Königin, bekanntlich eine sehr vehemente Ehe führte. Und es ging wohl auf seinen Enthusiasmus zurück, dass überdies die Queen und Princess Anne bald Grima-Feuer fingen. Eine Zeit lang überreichte Elizabeth II. bei Staatsbesuchen den First Ladies Schmuckgeschenke aus dem Atelier des 1966 mit dem „Duke of Edinburgh’s Prize for Elegant Design“ dekorierten Juweliers. Auch der britische Dramatiker John Osborne, die Filmstars Joan Collins, Ursula Andress, Peter Sellers, Künstlerinnen wie Barbara Hepworth ließen sich von dem flamboyanten Hippiegeschmeide zu Place-Vendôme-Preisen verzaubern. Einmal schickte Margaret eine Flechte aus der Umgebung von Balmoral in einem Briefumschlag. Ob Grima davon einen Goldabguss fertigen könne? Sie habe ein Gespür für Design, schmeichelte dieser. Das Lob war aufrichtig gemeint. Auf dem berühmten Familienfoto der Royals von Norman Parkinson aus dem Jahr 1967 trägt die Prinzessin die fertige Brosche mit der ihr eigenen spöttischen Grandezza. Wie Tautropfen, die im Sonnenlicht glitzern, sitzen winzige Brillanten auf dem krustigen, strauchigen Flechtenkörper aus Gelbgold.

Avantgarde mit Omega

Grima hatte eine neue Methode gefunden, um von fragilen Fundstücken aus der Natur Goldabgüsse zu erzeugen. Rinden, Zapfen, Nester und sogar Krimskrams aus seinem eigenen Umfeld, ein Häufchen Bleistiftspäne, aufgebrochene Lycheeschalen, der verknotete Strohhalm seiner Tochter inspirierten ihn zu seinen Kreationen. Modern, aber warm waren sie. Zweifellos verstand es Grima, mit der Form, der Textur des Metalls, dem Kolorit der Steine (nichts gleicht dem frappierenden Farbverlauf des durchscheinenden Wassermelonenturmalins!) ein Maximum an räumlicher Wirkung zu erzielen. Die Bewegung von anbrandenden Wellen und Wirbeln übersetzte er in fließende Formen. Möglich wurde diese Dynamik durch den Einsatz von strukturiertem, in feinsten Strängen unterschiedlicher Länge aneinandergefügtem Golddraht. Die dabei entstandenen Spalten und unregelmäßig gezackten Konturen sowie die Lichtreflexe aus sparsam eingestreuten Diamanten gaben selbst den großflächigsten Broschen Leichtigkeit.

Grima Schmuck Kette
Die diamantbesetzten Fassungen der Perlenkette von 1972 sind Austernschalen nachgeahmt. © Grima Archive

In den Siebzigerjahren trieb Grima das Spiel mit asymmetrischen Konturen, zersplitterten Oberflächen und unfacettierten Farbsteinen auf die Spitze. Dass er auch im Uhrendesign nach den Sternen griff, bewies 1970 eine Kollaboration mit dem Uhrenhersteller Omega. Diese Zeitmesser schienen aus einer fremden Galaxie zu stammen. Ziffernblatt und Firmenlogo ließ Grima vollständig weg. Die Zeiger verschwanden unter einem passgenau geschliffenen durchsichtigen Schmuckmineral, das in meteoritenartig zerklüftete Armspangen, Anhänger, Clips oder Ringe eingelassen war. Die damit beauftragten Edelsteinschleifer in Idar-Oberstein wunderten sich über den in Kauf genommenen Materialverlust, stellten dennoch keine Fragen. „Wir verlangten höchste Geheimhaltung“, erinnerte sich Grima an das Projekt, „als wir darauf bestanden, dass die Steinscheibchen eine gewisse Dicke und Transparenz besitzen müssten, dachte man wohl, man habe es mit ein paar reichen britischen Exzentrikern zu tun.“

So wertvoll wie ein Ferrari

Dieser schöpferische Eigensinn hatte damals schon seinen Preis: 7500 Pfund kostete das teuerste unter den 86 Unikaten der „About Time“-Serie – so viel wie das Einstiegsmodell eines Ferraris. 1976 folgte ein weiterer Uhrencoup, diesmal für den Hersteller Hamilton, der sechs Jahre zuvor „Pulsar“, die erste elektronische Armbanduhr mit Digitalanzeige, herausgebracht hatte. Grima setzte mit streng symmetrischen, für seine Verhältnisse ungewöhnlich cleanen LED-Schönheiten zu einem Schwanengesang der Luxus-Digitaluhr an, denn Casio und Texas Instruments hatten bereits begonnen, Allerweltsmodelle für 20 Dollar auf den Markt zu werfen.

Schmuck Ring Grima
Ein Ring mit einem Dioptas-Brocken wie aus der Steinzeit. © Grima Archive

Der Omega-Höhenflug ermutigte Grima, seiner künstlerischen Ambition mittels Themenausstellungen Freiraum zu geben. In „Rock Revival“ experimentierte er weiter mit amorphen, schroffen Stein- oder Kristallklumpen, die bereits etwas vom rüden Gebaren des Punk in sich trugen. Für seine „Supershells“ hängte Grima diamantgesprenkelte Muschelgehäuse an goldene Halsbänder. In „A Tale of Tahiti“ desavouierte er den Anspruch, dass Perlenstränge einheitlich und makellos zu sein hätten, und feierte mit Südseeperlen in verschiedenen Schattierungen den Charme der Mannigfaltigkeit. Ein breites Spektrum individueller Eigenschaften kitzelte er in „Sticks and Stones“ aus zigarettenlangen Farbsteinstängeln heraus. Etwa ein Anhänger aus der Serie „Molten“, was auf Englisch Schmelze bedeutet: Ein pinkfarbener Turmalin hängt in einer stalagmitenhaften Goldfassung und scheint sich an seinem Ende in einer Explosionswolke aus weiß kristallisiertem Achat aufzulösen.

Trotz seines Renommees als radikaler Erneuerer des Schmucks verblasste Andrew Grimas Name nach den Seventies allmählich. Dass dieser „Couturier, der mit Gold statt Seide arbeitete“ (William Grant) nicht mit berühmten Zeitgenossen wie Jean Schlumberger, Elsa Peretti oder David Webb in einem Atemzug genannt wird, ist unfair. Doch seine abstrakten, ja brutalistischen Kreationen waren weniger einprägsam und gefällig als die Schöpfungen prominenter Zeitgenossen, man denke nur an Webbs „Zebra-Armreif“, den die Modejournalistin Diana Vreeland wie einen mächtigen Talisman trug. Als Grimas Fortüne in den Achtzigerjahren nach geschäftlichen Fehlentscheidungen schwand, schloss er alle Shops und zog mit seiner zweiten Frau Jojo und der kleinen Tochter in die Schweiz. Ein Neuanfang. Sein letztes Geschäft eröffnete er in Gstaad, wo er 2007 im Alter von 86 Jahren starb.

2012 kehrten Jojo und Francesca nach London zurück und richteten in Mayfair einen Salon für ihre eigenen Entwürfe ein. Andrews Geist leuchtet in diesen Arbeiten nach. Die raue Gewagtheit der Vintagestücke, die weiterhin angeboten werden, gewinnt hier noch einmal neuen Schwung. So greift etwa Francescas Ammonit-Anhänger, von der Dragqueen Bimini Bon-Boulash mit margaretesker Attitüde getragen, den Esprit einer 1972 entstandenen Widderkopfbrosche auf. Im Spiralauge des goldgefassten Ammonits flackert ein Brillantmedaillon wie auf einem imaginären Plattenteller. Auch das bedeutet Grooviness: ein dynamischer Ort, wo alle Gegensätze aufeinandertreffen und im Gleichgewicht sind.

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