Kunstwissen

Die verrückte Liebesgeschichte von Hilde Isay und Karl Hubbuch

Im Jahr 1926 trifft der Maler Karl Hubbuch an der Kunstschule in Karlsruhe die Studentin Hilde Isay. Die beiden werden ein Paar, wenige Jahre später trennen sie sich. Was von ihrer Liebe bleibt, ist ein kühnes, rätselhaftes Porträt.

Von Gerd Presler
13.02.2017

Eine große Liebe – auch wenn sie kaum mehr als drei Jahre den Turbulenzen und Trostlosigkeiten der sogenannten Goldenen Zwanziger standhielt und schließlich im Malstrom eines harten Alltags versank. Eine große Liebe – auch wenn die inneren Spannungen, ja Gegensätze, geboren aus Herkunft, Haltung und hohen Ansprüchen, immer deutlicher hervortraten. Was geschieht, wenn zwei Persönlichkeiten aufeinandertreffen, die sich brauchen und zugleich abstoßen; sich ideal ergänzen und doch unaufhaltsam in verschiedene Lebensentwürfe streben? Gescheitert und doch unauflösbar verbunden, das sind die Kennzeichen einer solchen wunderbar-fatalen Mischung. Zwei Menschen, eine Frau und ein Mann: Hilde Isay und Karl Hubbuch.

Ein Bild blieb, in dem sich diese Spannungen versammeln. 1929 malte Karl Hubbuch seine Frau, wie er sie erlebte, schätzte: „Viermal Hilde“. Ein kühner Wurf – niemand hat seine Frau je so gemalt – und die Frage: Was umfasst dieses rätselhafte, vielschichtige, letztlich unergründliche und ganz sicher unbezähmbare Wesen? Der Maler fand keine Antwort.

Hilde Isay, einziges Kind einer vermögenden jüdischen Tuchhändlerfamilie, in Trier am 17. Januar 1905 geboren, begann im Oktober 1926 ein Studium an der Karlsruher Akademie, damals Landeskunstschule. Und schon bald begegnete die 21-Jährige dem Leiter der Zeichenklasse, Karl Hubbuch (1891– 1979). Seine Berufung an das renommierte Haus kurz zuvor: eine kluge Entscheidung. Mit herausragenden Zeichnungen, Radierungen und Lithografien hatte er sich Anerkennung und Achtung erworben, er galt als eigenbestimmter Gestalter, als strenger Souverän der Linie. Sein Gemälde „Die Schulstube“ stand 1925 im Zentrum der epochemachenden Mannheimer Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus“ zusammen mit Arbeiten von Max Beckmann, Otto Dix, George Grosz und den Malerfreunden Georg Scholz und Rudolf Schlichter. „Von Hubbuchs Malerei hätte man gern mehr angesehen als die Schulstube“, schrieb Das Kunstblatt. „Virtu-os“ lobte die Badische Presse und hob die minutiös durchgearbeitete Form und den Farbauftrag in feinen Lasuren hervor. Schon bald nach diesem Auftritt sicherte sich die Akademie an der Reinhold-Franck-Straße in Karlsruhe diesen für den Ausbildungsbetrieb wertvollen Künstler. Eine Bereicherung des Lehrkörpers, ein Magnet für die Studierenden. So die unsichtbaren Fäden, die den Leiter der Zeichenklasse und die dreizehn Jahre jüngere Studentin zusammenführten.

Vor ihnen standen heftige Hürden und Hindernisse. Vieles sprach gegen eine solche Verbindung. Der Anstand. Die guten Sitten. Die Folge: Ein überaus vorsichtiger, auf Einhaltung gesellschaftlich verankerter Regeln und Etikette bedachter Vater beauftragte das Detektivbüro Argus mit der Überwachung seiner einzigen Tochter. Die Liebenden wurden in einem Wiesbadener Hotel erwischt, mussten sich rechtfertigen. Nicht einfach und eine Belastung ihrer Beziehung, die nun Stärke beweisen musste. Dann das Glücksjahr 1928. Am 4. Januar, wenige Tage vor ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag, heiratete Hilde Isay in Trier – im Einvernehmen mit ihren besorgten Eltern – Karl Hubbuch. Der rechtfertigte das Vertrauen als akzeptabler Schwiegersohn wenig später: Am 30. April zum Professor ernannt, eine gut dotierte Lebenszeitanstellung, übernahm er die Leitung der Malklasse an der Akademie.

Frei und stürmisch – den Argusaugen entflohen – stürzten sich die beiden in ein aufregendes Leben, überzeugt: „Gemeinsam sind wir unwiderstehlich, gemeinsam sind wir unschlagbar.“ Hilde hatte die Kreide, den Pastellstift aus der Hand gelegt und ihre eigentliche Begabung entdeckt: die Fotografie. Und es war ihr gelungen, den zeichnenden und malenden Ehemann für die Gestal- tungsmöglichkeiten dieses neuen künstlerischen Mediums zu gewinnen. Schon bald agierte im Akademieatelier die Kamera. 1929 entstanden vor einem Spiegel Aufnahmen, gelöst, heiter. Spielerisch, geradezu komödiantisch gibt sich das Paar. Während der Maler mit der rechten Hand den Drahtauslöser „Autoknips“ der Cocarette I Lux 521/2, Zeiss-Ikon niederdrückt, hält er sich gleichzeitig mit der anderen Hand einen Föhn an die Schläfe – wie einen Revolver. Mit weit aufgerissenem Mund karikiert er das Horrorarrangement, während Hilde, mit festem Besen bewehrt, den Vordergrund besetzt. Sie dominiert die Szenerie, ordnet, überblickt die Situation. Auf einem Aquarell Hubbuchs – wohl nicht zufällig vorn rechts angelehnt – ist Ellen Auerbach, geb. Rosenberg, Hildes Mitstudentin, zu sehen, ebenfalls Jüdin, ebenfalls zur Fotografie gewechselt. Und auch sie dirigiert, wie die junge Professorengattin, das Geschehen vor dem Objektiv.

Dann im gleichen Atemzug: Der Zeichner Karl Hubbuch antwortet in seiner Sprache. Eine große aquarellierte Kreidezeichnung entsteht: „Mit Fön und Fahrrad“. Wie nicht anders zu erwarten, beherrscht Hilde die Szene. Den Föhn in der Rechten „bedroht“ sie mit leichtem Lächeln den noch in den Kissen des gemeinsamen Bettes verborgenen Ehemann. Sie sitzt auf einem Bauhausstuhl. Das allermodernste Design trifft auf ein altbackenes Bettgestell, einen herkömmlichen Drahtesel. Wer was mit in die Ehe brachte, dürfte damit gesagt sein. Deutlich wird: Ihre Herkünfte prallen aufeinander.

Und dann zeichnet und malt der Meister der entlarvenden Linie 1929 seine Frau: „Viermal Hilde“. Es gibt, wie gesagt, kein vergleichbares Werk. Dass dieselbe Frau in vier Rollen auftritt, mag mit ihrer Vielschichtigkeit, den feinen Nuancen, den unterschiedlichen Seiten ihres Wesens zusammenhängen. Da ist zum einen Hilde, die Intellektuelle, diskutierfreudig, aufmerksam. Selbstbe- wusst mit Brille und „viel elegantem Knie“ sitzt die Bauhausschülerin in einem Stahlrohrstuhl, die Handhaltung lässig, entspannt. So hatte schon Christian Schad die junge Sekretärin „Sonja“ gemalt – als Typ der unabhängigen Frau, frei von jeder Bevormundung und voller Distanz.

An der nächsten Station ehemännlicher Beobachtung begegnet uns eine ganz andere Hilde: Erstaunt, überrascht, mit hilfloser Geste, eingehüllt in einen biederen, grauen Mantel, die wilden Haare unter einer Kopfbedeckung, die Füße schüchtern nach innen gedreht. Es folgt eine weitere Hilde: Herausfordernd modisch gekleidet mit einem rosa Hosenrock und einer grün-gelb gesäumten, von einem Gürtel zusammengehaltenen Bluse, offenbar ein Lieblingsstück, das sie auch in „Hilde mit Fön und Fahrrad“ trug. Die rechte Hand in die Hüfte gestemmt, den Kopf in den Nacken geworfen, schaut sie keck und hochnäsig mit einer Überlegenheit, die ihr Gegenüber chancenlos herausfordert. Die Beine leicht aufreizend gespreizt, in blutroten, hochhackigen Schuhen. Und dann das eigentliche „Signal“. Hilde hält in der linken Hand mit gestreckten Fingern eine Zigarette. So dekorierte Rudolf Schlichter schon 1924 seine „Margot“ und Otto Dix 1926 die marode Kaffeehausexistenz „Sylvia von Harden“. Karl Hubbuch wusste, was er festschrieb. Die in einer langen Spitze verschraubte Zigarette übernahm einen entscheidenden Teil der sonst allein den Männern vorbehaltenen Selbstinszenierung. Die passionierte Kettenraucherin Hilde Hubbuch, geborene Isay, als bewusst aufbegehrende provokative Schönheit. Starkes Stück.

Frei und stürmisch stürzten sich die beiden in ihr Leben: „Gemeinsam sind wir unwiderstehlich, unschlagbar.“

Und zuletzt, gleichsam als „vierte Hilde“, das genaue Gegenteil: Eben noch verkörperte Opposition, jetzt das häusliche Heimchen, die lebhaft mit Blümchen und Blütenkelchen bedruckte Schürze über dem Unterrock, Hände verschränkt, ergeben auf ein gutes Wort des Gatten wartend, dabei durchaus gelöst und heiter. Familienleben im Dunstkreis der Idylle.

Oder doch nicht: Ein Freund der Familie Hubbuch aus jenen Tagen erinnert sich, dass Hilde Menschen mit ihrer Direktheit aus der Fassung bringen konnte. Und der Maler Helmut Goettl, später Meisterschüler Hubbuchs an der Akademie, schrieb: „Es sind vier Rollen, die Hilde mit Blick auf ihren Mann … spielte: Die Intellektuelle; die ein bißchen auf hilflos machende Frau, der man in den Mantel hilft; die Herausfordernde; die Häusliche. Die ständige Verwandlung, das Gleiten zwischen immer wechselnden Möglichkeiten hat er an ihr geschätzt. Das hat ihn angezogen. Wie kommt man sonst darauf, eine Frau so zu malen? Er schöpfte die ganze Fülle ihres Wesens aus und hielt fest, was eigentlich nur er wußte. Das Auseinandernehmen, Auseinanderfasern, die genaue Untersuchung von Mensch und Situation – ein seziererisches Verlangen – war für Karl Hubbuch ein künstlerisches Bedürfnis.“

So führte nicht nur Christian Schad den Pinsel wie ein Skalpell. Auch Karl Hubbuch legte mit dem großen Gemälde „Viermal Hilde“ und der gleichzeitig entstandenen aquarellierten Kreide/Bleistiftzeichnung Dokumente vor für das, was die Neue Sachlichkeit anstrebte: unmittelbares Leben, festgehalten in exakter, altmeisterlicher Malweise. Eine gestalterische Demonstration auf der Höhe ihrer Zeit. Eine entlarvende Benennung gesellschaftlicher Umbrüche, in denen der Mann seine Vorrangstellung verloren hatte. Zugleich umriss diese Leinwand sehr privat die eigene Situation, klärte die Beschaffenheit einer Beziehung: Das Bild malt auch das Psychogramm dieser Ehe.

Wenige wollten solche Offenlegungen sehen: Im Frühjahr 1929 reichte Karl Hubbuch „Viermal Hilde“ für die Ausstellung „Badisches Kunstschaffen der Gegenwart“ in der Kunsthalle Mannheim ein, zusammen mit sieben Aquarellen und einer Lithografie. Die Jury wies das Werk ab. Der Maler griff am 29. April zur Feder: „Sehr geehrter Herr Dr. Hartlaub: Wie ich eben höre, sollen mei- ne Bilder von der Jury abgelehnt sein. Sollte ich richtig informiert sein, so ziehe ich hiermit alle die eingereichten Arbeiten von der Ausstellung zurück – mit hochachtungsvollen Grüßen. K. Hubbuch.“ Es blieb bei der Entscheidung. Der Katalog führt die Aquarelle auf, ausnahmslos französische Stadtarchitekturen, virtuos, aber ohne den schmerzhaften „Biss“ des skandalösen Figurenbildes.

Wollte seine Zeit immer noch nicht zugeben, dass sich die Rolle des Mannes nach dem Ersten Weltkrieg geändert hatte? Wollte sie nicht eingestehen, dass die Frau begonnen hatte, ihre Rolle selbst zu bestimmen?

Inzwischen tobte dieser Kampf im Hause Hubbuch munter weiter. Schon bald verlor er seine Situationskomik, seine spielerische Leichtigkeit. Das auf beiden Seiten geführte Abtasten der Positionen trat in die entscheidende Phase. Hilde – das kann Karl Hubbuch nicht überrascht haben – machte Nägel mit Köpfen, trieb ihre berufliche Zukunft voran. Was sich im Gemälde „Viermal Hilde“ angedeutet hatte, war eingetreten. „Darstellen wollte ich die charakteristischen Haltungen und Zustände dieser Frau, innere Zustände, die sich im Gesichtsausdruck und in der ganzen Körperhaltung widerspiegeln.“ Merkwürdig. Der Maler spricht von „dieser Frau“, spricht von seiner Hilde wie von einer Fremden. „Diese Frau“, mehr Distanz kann es kaum geben. War sie doch nur und vor allem Modell, nicht aber die nahe, wirklich zu ihm gehörende, unentbehrliche Liebe?

Und Hilde? Auffällig, wie konsequent sie ihren Weg ging. Einen Weg ohne Karl Hubbuch. Schon bald nach der Hochzeit erste Zeichen der Loslösung: Hilde begann 1929 ein Studium bei Walter Peterhans am Bauhaus in Dessau. 1931 verließ sie die gemeinsame Wohnung, hielt sich vorübergehend in Wien, später in London auf. Die Ehe wurde 1933 geschieden. Hilde emigrierte ein Jahr später nach New York, entging einem schlimmen Schicksal. In der Neuen Welt schaffte sie den Durchbruch, startete eine beachtliche Karriere. Hilde Hubbuck – sie änderte ihren Namen – nutzte die am Bauhaus erworbenen Grundlagen. Und sie war klug genug, ihre Porträtfotografie den obersten Kreisen der Gesellschaft anzubieten. Im New Yorker erschien die Anzeige: „Lassen Sie mich zu Ihnen nach Hause kommen, um in vertrauter Umgebung einen Tag lang das Leben ihres Kindes zu photographieren.“ Schon bald gelangte sie zu Anerkennung und Einkommen. Eine Erfolgsgeschichte. Klar, was sonst?

Ganz anders Karl Hubbuch. Schon 1931 hatte sich Unglück angedeutet. Anlässlich einer Ausstellung im Badischen Kunstverein Karlsruhe erschien eine Besprechung seiner Bilder und Zeichnungen: „Gleich der erste Saal ist mit einer Reihe schlimmster Nuditäten behängt, eine Fleischbeschau, die nur vertierten Menschen gilt. Straßendirnen, mit und ohne Kostüm, zieren, wie in einem Panoptikum die Wände. Welch vergiftende Wirkungen, bei allem technischen Können… von der bolschewistischen Kunstgesinnung dieses staatlichen Professors ausgehen, läßt sich nicht ausdenken. Sein ewiges Wühlen im Negativen ist der Badischen Kunstschule unwürdig.“ Im gleichen Ton meldete das nationalsozialistische Presseorgan „Der Führer“ am 10. November 1932: „Karlchen Hubbuch ergötzt sich immer noch an schlimmster Hurenmalerei … er ist fürwahr ein Kenner und Könner auf diesem von ihm gepachteten Gebiet.“

Dann 1933 sein Schicksalsjahr: Am 25. Juli erreichte ihn zusammen mit seinen Kollegen Georg Scholz und Wilhelm Schnarrenberger das Kündigungsschreiben von Kultusminister Dr. Otto Wacker: „Im Zuge der neuen Zeit und aus kunstpolitischen Gründen vermag ich in ihre erzieherische Wirksamkeit … nach ihrer bisherigen Haltung kein volles Vertrauen… zu setzen.“ Es folgten Atelierverlust, Berufsverbot und eine dreijährige Übergangsrente von 200 Mark. Übergang wohin? Wozu?

Und das war noch nicht alles: In der Zeit der beginnenden Aussichtslosigkeit seiner Ehe hatte er 1929 im Rheinstrandbad die minderjährige Marianne Beffart kennengelernt. Kein berufsmäßiges Akademiemodell – für den Zeichner Karl Hubbuch die große Inspiration. Als sie ihn 1933 auf Druck ihrer Eltern verlassen musste, um in einer arrangierten Ehe Auskommen und Kindersegen zu finden, brach er zusammen. Der starke, wie er wohl auch selbst meinte, unerschütterliche Maler war am Ende. Er floh nach Berlin, vollkommen verstört. Zu viel: Frau verloren, Geliebte verloren, Professur verloren.

Und welches Schicksal durchlief sein Bild „Viermal Hilde“? Der sonst so schweigsame Künstler hat sich genau geäußert: „Zu Beginn der Nazizeit schnitt ich es vom Keilrahmen und habe es in aufgerolltem Zustand … an verschiedenen Orten versteckt gehalten. Da es an einer Stelle unter Feuchtigkeit sehr gelitten hatte, und da ich auch in meinem Atelier nicht sehr viel Platz hatte, schnitt ich das Bild in zwei Teile.“ Merkwür-dig: Die linke Hälfte mit der „intellektuellen und der verschüchterten Hilde“, heute im Kunstmuseum Thyssen-Bornemisza in Madrid, die rechte mit der „hochnäsigen und der häuslichen Hilde“ in der Münchner Pinakothek der Moderne weisen keine Wasserschäden auf. Es gibt keine Spuren einer Restaurierung. Wie alles zusammengehört und auch kompositorisch im Lot steht, zeigt die herrliche Aquarellfassung im Kupferstichkabinett der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, die man sich vorlegen lassen kann. Eine Besonderheit sticht ins Auge: Das Blatt ist doppelt signiert, links und rechts unten. Was mag den Künstler dazu bewogen haben?

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