Kunstwissen

Die Geheimnisse der Kunstwelt

Thomas Girst und Magnus Resch suchten für ihr neues Buch „100 Secrets of the Art World“ nach den größten Geheimnissen der Kunstwelt. Künstler, Kuratoren und Sammler gaben die Antworten: Zehn Bekenntnisse verraten wir vorab auf WELTKUNST Online

Von Weltkunst Redaktion
09.09.2016

Was halten Künstler wie George Condo lieber geheim? Worüber wird, glaubt man dem Auktionator Simon de Pury, in der Kunstwelt nicht gesprochen? Und welche Vision schwebt Martin Roth, der seinen Chefposten am Londoner „Victoria and Albert Museum“ wegen der Brexit-Entscheidung aufgeben wird, für die Zukunft vor?

Thomas Girst (Kunsthistoriker und Leiter des Kulturengagements der BMW Group) und Magnus Resch (Autor und Betriebswirt) haben sich umgehört und fassen in ihrem neuen Buch 100 Secrets of the Art World: Everything you always wanted to know about the arts but were afraid to ask Anekdoten, Erfahrungen und Ratschläge zusammen: Zehn Geheimnisse verraten wir, bevor das Buch am 25. Oktober in die Läden kommt.

Max Hollein
Direktor des Fine Arts Museums in San Francisco

Mein Geheimnis der Kunstwelt: »Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was man getan hat, wird man wieder tun. Es gibt nichts Neues unter der Sonne.«
(Ecclesiastes 1:9)

Sarah Thornton
Kanadische Kulturautorin und Soziologin, San Francisco

Die Hauptwährung der Kunstwelt ist nicht Dollar, Pfund, Schweizer Franken oder Chinesische Yen. Es ist ein exklusiver und häufig umstrittener Wert – Glaubwürdigkeit.

Olav Velthuis
Autor und Professor der Soziologie an der Universität von Amsterdam

Das ganze Gerede über den aktuellen Boom auf dem Kunstmarkt ist stark übertrieben. Es ist richtig, dass der globale Kunstmarkt sich seit 1990 mehr als verdoppelt hat. Aber über diesen Zeitraum ist das Volumen der Weltwirtschaft tatsächlich schneller gewachsen. In anderen Worten ist der Kunstmarkt im Vergleich zur Weltwirtschaft leicht geschrumpft. Zudem ist die Anzahl der Milliardäre um das Fünffache gestiegen, während der globale Kunstmarkt sich im Volumen nur verdoppelt hat. Also waren die Auktionshäuser und Kunsthändler gar nicht so erfolgreich darin, die Neureichen zu Kunstsammlern zu machen. Im Angesicht des enormen Reichtums, der global entstanden ist, hat der Kunstmarkt eher schlecht abgeschnitten.

Robert Wilson
US-Amerikanischer Regisseur, Theatermann, Künstler; Gründer und künstlerischer Direktor der Watermill Foundation

Als ich fünf Jahre alt war, führte ich bei meinem ersten Stück Regie – in einem Hühnerstall in Waco, Texas, mit meiner zwei Jahre alten Schwester. Wir standen auf einem kleinen Tisch und sangen »I’m a little teapot«, umgeben von ungefähr vierzig Hühnern.

Simon de Pury
Auktionator, ehemaliger Mitbegründer von Phillips de Pury

Ein Auge (vorzugsweise ein gutes) für etwas zu haben und zu wissen, wie man ein Geheimnis hütet. Es herrscht eine gewisse Gerechtigkeit auf dem Kunstmarkt, die besagt, dass diejenigen, die mit ihren Ohren kaufen, früher oder später auf die Nase fallen, während diejenigen, die mit ihren Augen kaufen, letztendlich belohnt werden. In einer Kunstwelt, die auf Klatsch gedeiht, grenzt dich die Fähigkeit, ein Geheimnis zu bewahren, davon deutlich ab.

Diana Widmaier Picasso
Kunsthistorikerin und Enkeltochter von Pablo Picasso

Ich würde gern ein Familiengeheimnis beisteuern… Mein Großvater benutzte 1938 einen Wattebausch mit Exkrementen seiner damals dreijährigen Tochter Maya, meiner Mutter, um einen Apfel in einem Stillleben zu erschaffen. Er meinte, die Ausscheidungen eines von der Mutter gestillten Kindes, haben eine besondere Textur und ockergelbe Farbe. Picasso hatte André Breton bereits 1933 erzählt, dass er echte getrocknete Exkremente für eins seiner Stillleben benutzen wollte, speziell jene unnachahmlichen, die er auf dem Land fand, wenn Kinder Kirschen aßen ohne sich darum zu kümmern, die Kerne auszuspucken. Der Ekel, den dieses Material hervorrufen könnte, verwandelt sich in Staunen, da wir so die ganze Vorstellungskraft des Künstlers begreifen. Dieses Werk erinnert uns an die radikale Ausdrucksform, die er in seinem Stillleben mit Korbgeflecht von 1912 verwendet, in dem er Fremdkörper in das Bild einbezieht. Auf einer Konferenz im Jahr 2003 über sterkorale Substanzen erzählte Jean Clair eine Anekdote über Picasso. »Es gibt eine lange Geschichte über Scheiße in der Kunst. Es heißt, als jemand Picasso fragte: Meister, was würden Sie tun, wenn Sie im Gefängnis säßen, mit Nichts?, habe er geantwortet: Ich würde mit meiner Scheiße malen.«

Tatsächlich ist es eine Art, dem Formlosen Form zu geben. Ein Exkrement, verwendet als Pigment, ist ein Pigment neben anderen, zweifellos ein eher ungewöhnliches, aber mit allen seinen Merkmalen: Farbig wie Ocker, geschmeidig wie Öl, ein gutes Deckmittel und relativ robust. Auch Urin wird häufig in der Manufaktur von bestimmten Farben oder in der Patinierung von Bronzen benutzt. Maler hatten bis zur Erfindung der Farbtuben immer ihre eigenen Rezepte. Sie konnten eine Vielfalt von Materialien wie Arsen, Mineralien, Harze, Geweihe, Tintenfisch, Drachenblut und sogar Schlangenexkremente benutzen. Wir wissen, dass die Menschen in prähistorischen Zeiten Vogeldreck für ihre Höhlenmalereien benutzten. Ein Geist, der ständig inspiriert ist, kann alles veredeln. Seine Gabe, das Material in den Traum umzuwandeln und seine Bewunderung des organischen Lebens zeichnen Picassos Genie. Für den Künstler sind die Kunst und das Leben eng miteinander verbunden. Das ist es, was dem Stillleben die Zärtlichkeit verleiht, die er für meine Mutter Maya empfand.

Klaus Biesenbach
Direktor des MoMA PS1 und leitender Kurator, Museum of Modern Art, New York

Eins der bestgehüteten Geheimnisse ist, dass sich ein Kurator, immer wenn er ein neues Museum oder eine neue Galerie betritt, wo er seine erste Ausstellung oder Wander-Ausstellung veranstaltet, auf den Boden in eine der Ecken der Räume setzen sollte – nicht in den größten, sondern den schwierigsten Raum der Galerie. Auf diese Weise stellt man sich selbst als Objekt in eine Ecke, mit direktem Kontakt zum Boden und zwei Wänden. Es ist so leicht, zu vergessen, dass Kunst ein Objekt im Raum ist. Während man das tut, kann man der Dimension der Zeit nicht mehr aus dem Weg gehen, die das Objekt natürlich mit einem teilt. Das ist eine Übung, die ich immer mache. Manchmal wundern sich die Museumskollegen darüber. Die Übung ist so simpel, als schaue man an seinem eigenen Körper herunter, auf seine eigenen Füße, um zu sehen, wo man steht, im Hier und Jetzt.

Kasper König
Ehemaliger Direktor des Museum Ludwig, Köln und Chef-Kurator der Manifesta 10

»Manche Leute glauben, bei Kunst geht es um Leben und Tod. Von dieser Einstellung bin ich sehr enttäuscht. Ich kann Ihnen versichern, dass es bei der Kunst um sehr viel mehr geht.«
(In Anlehnung Bill Shanklys Statement über Fußball)

George Condo
Künstler, New York

Ich mache Musik und vermute, dass es einen guten Grund dafür gibt, dass keiner sie hören will. Warum? Das ist das Geheimnis.

Martin Roth
Direktor des Victoria and Albert Museum, London

Die uns anvertrauten Sammlungen gehören dir. Wir sind bloß die Verwahrer. Aber wir können lediglich einen winzigen Prozentsatz davon in unseren Galerien und Studiensälen zeigen. Was ist mit all den verborgenen Schätzen, die sich, sorgsam verstaut, im Depot befinden, oder die zu fragil sind, um bewegt oder ausgestellt zu werden? Dies sind die wirklichen Geheimnisse der Kunstwelt – oft unangetastete Ressourcen, die vor Geschichten über Design, Kultur und Zivilisation nur so strotzen. Unsere Lager sind das wahre Museum; das Museum selbst ist nur ein Schaufenster. Deshalb sollten wir die Grundprinzipien unserer Depots ändern und sie zugänglich machen. Wäre es nicht wunderbar, wenn wir uns die Macht digitaler Technologien zunutze machen könnten, um ein zentrales Archiv zu errichten und so einen schnelleren und umfassenderen Zugang zu den Sammlungen zu ermöglichen als jemals zuvor? Die Sammlungen in unseren großartigen Museen und Kunstinstitutionen sollten dir nicht nur theoretisch gehören, sondern auch in der Praxis.

100 Secrets of the Art World: Everything You Always Wanted to Know from Artists, Collectors and Curators, but Were Afraid to Ask
Thomas Girst & Magnus Resch (Hrsg.), Studio Umlaut (Gestaltung)
Erscheinungstermin: 25. Oktober 2016, Koenig Books, 9,95 €

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