Kunstwissen

Des Königs neue Stühle in Versailles

Ein Skandal erschüttert den Pariser Antiquitätenhandel. Schloss Versailles soll beim Möbelankauf einem Betrug aufgesessen sein.

Von J. Emil Sennewald
29.08.2016

Kurz vor der großen Pariser Biennale des Antiquaires im Oktober traf es die Branche hart: Die bedeutende Galerie Aaron wurde von der Teilnahme ausgeschlossen, die Galerie Kraemer zog ihre Teilnahme zurück. Grund ist ein Fälschungsskandal, der weitere Kreise zieht. Bedeutende Händler wie Laurent Kraemer, Kunsttischler wie das Atelier Bruno Desnoues und namhafte Experten wie Guillaume Dillé oder Bill Pallot wurden Anfang Juni von der Polizei befragt oder festgenommen. Sie und mindestens drei weitere Personen sollen in den Verkauf gefälschter Stühle an die Sammlung des Schlosses Versailles verwickelt sein.

Im Zentrum der Untersuchung stehen zwei von Madame Dubarry im 18. Jahrhundert bei Louis Delanois beauftragte Stühle, für die Versailles nun 840.000 Euro bezahlt hat. Fragwürdig ist auch die Herkunft zweier von Georges Jacob 1794 für Marie Antoinette gefertigter Sessel (Ankauf 2009) sowie ein weiterer, „La Méridienne“ genannter Stuhl von Jacob, 2011 für 400 000 Euro erworben. Zweifelhaft sind ebenso eine Bergère von Jean-Baptiste-Claude Séné für Madame Élisabeth und zwei Falthocker, sogenannte Ployants von Nicolas-Quinibert Foliot.

Gefälschte Stühle in Versailles – Höhepunkt einer Reihe von Skandalen

Gefälschte Stühle in Versailles – das ist der Höhepunkt einer Reihe von Skandalen, die den Pariser Kunsthandel seit 2015 international in Misskredit bringen. Jetzt gesellt sich die Erkenntnis hinzu, wie leicht sich die strengen Prüfmechanismen überwinden ließen: Dank der strikten hierarchischen Strukturen im französischen Kulturbetrieb hat es offenbar kein Konservator gewagt, die Ankäufe zu kritisieren. Stattdessen nutzte der für die Galerie Aaron arbeitende Bill Pallot seine guten Kontakte, um die Deals auszuhandeln – und wurde dafür reich belohnt.Das Geld soll sich, wie Redakteure der Zeitung „Le Monde“ nach Recherchen herausfanden, auf Offshore-Konten befinden. 1,47 Millionen Dollar sollen es 2007 gewesen, Fälschungsgeschäfte bereits zwei Jahre zuvor über diese Scheinfirmen abgewickelt worden sein. 2013 habe Pallot, so sein Anwalt, diese Konten jedoch „unter voller Deklarierung geschlossen“.

Die Fälschungsfahnder wussten davon nichts. Auf Pallot wurden sie erst durch den Fall Jean Lupu aufmerksam. Der wirkte über vierzig Jahre als angesehener Antiquitätenhändler in Paris. 2015 fiel der inzwischen 82-Jährige dann dem OCBC, der zentralen Behörde zur Bekämpfung des Schmuggels von Kulturgütern, auf, die seit einigen Jahren auch bei Fälschungen ermittelt. Dem Mann, Inbegriff des goût français, wurde der Handel mit gefälschten Objekten vorgeworfen. Die Branche zeigte sich verblüffend wenig überrascht: Man wisse doch seit über zehn Jahren, dass eine Pariser Kunsttischlerei gefälschte Möbel teuer an ausländische Sammler verkaufe. Lupu selbst vermutete hinter seiner Verhaftung eine Intrige seines Konkurrenten Camille Bürgi. Als sich nun jedoch Bill Pallot in der französischen Presse zu Wort meldete, horchten alle auf. Der Sammler, Geschichtsprofessor an der Sorbonne, Ritter und Offizier des französischen Ordens für Kunst und Literatur, zeigte sich einsichtig: „Ja, es stimmt. Ich habe Dinge gesehen, die ich vielleicht hätte anzeigen sollen“, schrieb er im Frühjahr. Pallot verlor daraufhin seinen Sitz in der Kommission der Biennale des Antiquaires. Doch das OCBC ließ es nicht auf diesem Geständnis beruhen. Pallot musste in Untersuchungshaft, angeklagt ist er nun wegen „schwerer Geldwäsche, bandenmäßigen Betrugs und Hehlerei“.

Weshalb wurden die Fälschungen erst jetzt entdeckt

Wie konnte es so weit kommen? Und weshalb wurden die Fälschungen erst jetzt bemerkt? Zunächst können bereits seit 1792 – seit der Inventar-Katalog der Königin verschollen ist – bloß noch Experten sagen, was echt ist. Das ist bei Gebrauchsgegenständen schwer. Stühle werden benutzt, verschleißen, werden restauriert – einen im 18. Jahrhundert eingefrorenen Originalzustand gibt es nicht. Dafür aber Holz aus der Zeit, das noch immer zu Möbeln werden kann. Doch nur was echt ist, darf auch teuer sein. Für Echtheit stehen Experten ein, haben aufgrund ihrer Expertise viel Macht – und werden gut dafür bezahlt. „Dieser große Galerist hat mich in den Kunstmarkt eingeführt, indem er sagte: ‚Sorgen Sie dafür, dass ich reich werde, und ich werde Sie reich machen!’“, erklärte Bill Pallot 2009 anlässlich seiner Rede zur Beerdigung von Didier Aaron, der ihn 1987 eingestellt hatte.

Doch warum gingen die Versailler Konservatoren in diesem Fall nicht sorgfältiger vor, obwohl sie sonst die Ankäufe durch mehrere Kommissionen hindurch prüfen? „Wir kennen Pallot seit Jahrzehnten, es gab keinen Grund, an seiner Expertise zu zweifeln“, erklärt Gérard Mabille der Internetzeitschrift La Tribune de l’Art im Interview. Er war von 2008 bis 2014 Konservator in Versailles, also zu jener Zeit, in der die mutmaßlichen Fälschungen angekauft wurden. Sein Bericht enthält auch Details. Pallot lud, berichtet Mabille, in sein Pariser Appartement und enthüllte dann mit großer Geste einen angeblich für Marie Antoinettes Belvedere angefertigten Stuhl. „Ich habe keine Fragen gestellt“, gesteht Mabille.

Der Präsident des Verbands der Antiquare verspricht lückenlose Aufklärung

Das tat allerdings Charles Hooreman. Der Antiquitätenhändler ist seit 2009 mit einem Geschäft in Paris ansässig und informierte im Mai 2015 die Direktorin von Versailles, Béatrix Saule, über seinen Verdacht, man habe es mit Fälschungen zu tun. Nichts geschah. Hooreman galt als „lästig“, so Saule, Pallot nennt ihn einen missgünstigen Konkurrenten. Dennoch reagierte das Kulturministerium, es will alle Ankäufe großer Museen überprüfen, strengere Ankaufsregeln werden diskutiert.

„Lückenlose Aufklärung“ verspricht Dominique Chevalier, Präsident des Verbandes der französischen Antiquare und Zivilkläger im Fall der Versailler Stühle. Und wie wird vorgebeugt? Man habe, so Chevalier, „als einziger Verband eine eigene Prüf-App, um Diebesgut aufzudecken“. Zudem prüfe man im Hintergrund sämtliche Objekte, die auf der Biennale angeboten werden, teils mit naturwissenschaftlichen Methoden. Er wolle, so Chevalier weiter, „eine Police für jedes Objekt, mit einem Foto seines Zustandes vor Restaurierung“.

Service

Dieser Artikel erschien in der

WELTKUNST Nr. 118

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