Als Sinnbild der Vergänglichkeit taucht das Stundenglas auf Grabmälern und Totentänzen oder Stillleben mit Vanitascharakter auf und wurde dem heiligen Hieronymus oder dem Gott Chronos als Attribut beigegeben. Eine Stilkunde von Gloria Ehret.
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12.03.2016
Als Sinnbild der Vergänglichkeit taucht das Stundenglas auf Grabmälern und Totentänzen oder Stillleben mit Vanitascharakter auf und wurde dem heiligen Hieronymus oder dem Gott Chronos als Attribut beigegeben. Die älteste bekannte Darstellung hat Ambrogio Lorenzetti 1338 auf dem Wandfresko mit der Allegorie der guten Regierung im Palazzo Pubblico in Siena gemalt. Es zeigt ein Gestell mit zwei gleichen Glaskolben, deren spitze offene Enden so miteinander verbunden sind, dass feiner Sand hindurchrieseln kann.
Ort und Zeit dieser Erfindung kennen wir nicht, doch recht viel älter als das Wandbild wird sie nicht sein. Denn als Voraussetzung musste durchsichtiges Glas als erschwinglicher Werkstoff zur Verfügung gestanden haben. Mit Wasser betriebene Auslaufuhren gab es bereits in der Antike. Die wiederholt zu lesende Vermutung, dass es damals auch schon Sanduhren gegeben habe, konnte nie bestätigt werden. Neben Quarzsand wurden die geblasenen Glaskolben mit Marmor-, Perlmutt- und Korallenstaub oder Bleikügelchen gefüllt. Ausschlaggebend für die Dauer des Durchrieselns ist die Größe der Öffnung, unabhängig von der Glashöhe. Im Vergleich zu mechanischen Zeitmessern ist die Herstellung von Sanduhren einfach und preisgünstig. Ihr unschätzbarer Vorteil war, dass sie ortsunabhängig sind und mobil mitgeführt werden können. Hinzu kommen ihre Wetterfestigkeit und geringe Störanfälligkeit. Kein Wunder, dass sie bis ins 19. Jahrhundert weit verbreitet waren.
Unerlässlich war ihr Einsatz in der Schifffahrt. Da die einzelne Sanduhr nur eine relativ kurze Zeitspanne messen kann, umfasste die Schiffsausrüstung mehrere mit unterschiedlichen Laufzeiten. Im Bordbuch von Christoph Kolumbus werden am 13. Dezember 1492 viele »Halbstundengläser« erwähnt, die, von Sonne zu Sonne 20-mal entleert, die zehnstündige Nacht begleiteten. Mit ihnen maß man die Fahrgeschwindigkeit, die Dauer der Nachtwache – oder eines Seegefechts, die 1776 in einem Bericht der Royal Navy beispielweise mit »5 Sanduhren« angegeben wurde. 1780 hat die französische Marineakademie in Dünkirchen 700 Sanduhren für die halbe und Viertelminute bestellt. Auch zu Lande wurden Sanduhren bei den verschiedensten Gelegenheiten benutzt. Olivier de la Marche berichtet 1468 von einem Turnier am Hof Karls des Kühnen, bei dem ein Zwerg mithilfe einer Sanduhr die Dauer der einzelnen Kämpfe gemessen hat. Ein Stich von 1548 zeigt einen Töpfer vor dem Ofen, der mit dem Stundenglas die Brennzeit kontrolliert. 1662 erhielt der Abbé Laudati Caraffe laut Pariser Parlamentsbeschluss das Monopol für mietbare Fackelträger, die mit Viertelstundengläsern zur Berechnung der Bezahlung ausgerüstet waren. Vor allem in protestantischen Kirchen dienten die Instrumente wiederum zur Einhaltung der Dauer von Kanzelreden, im Gerichtssaal der Plädoyers. Die Redezeit in der französischen Nationalversammlung wurde 1789 ebenfalls mit der Sanduhr begrenzt.
Bis 1951 bediente man sich im englischen Unterhaus der Zwei-Minuten-Sanduhr, um die Abgeordneten mit der Glocke zur Ab- stimmung zu rufen. An Universitäten hat man die Länge der Examensprüfungen mit dem Stundenglas gemessen. Noch Ende des 19. Jahrhunderts existierte im Berliner Hauptfernsprechamt ein 90er-Satz Sanduhren für die Berechnung der damals üblichen Drei-Minuten-Gespräche.
So unzählig viele Sanduhren in den unterschiedlichsten Bereichen zum Einsatz kamen – über ihre Hersteller wissen wir wenig. Einzig aus Nürnberg, einem führenden Zentrum des Kunsthandwerks, ist das Wappen der Sanduhrenmacher aus dem Jahr 1574 bekannt, und ihr Meisterkodex von 1649 nennt einen Wolff Rech. Zur Erlangung der Meisterwürde waren erforderlich: 1. eine kleine Uhr mit Bleisand, 2. eine Uhr mit vier Gläsern von weißem Sand für die Viertel-, halbe, Dreiviertel- und volle Stunde, 3. eine Uhr von drei Stunden mit weißem Sand und 4. eine Uhr von zwei Gläsern, »deren eines mit der halben, das andere mit der ganzen Stund auszulauffen pfleget«. Christoph Weigel gewährt uns 1698 auf einem Kupferstich Einblick in die Werkstatt eines Sanduhrenmachers. 1812 wird im Verzeichnis der Nürnberger Hausbesitzer als Letzter dieses Handwerks Tobias Stoer gelistet. Aus dem Jahr 1801 wird berichtet, dass der Nürnberger Handel mit Sanduhren bedeutender sei als der mit Taschenuhren. Bis um 1800 bestand das Stundenglas aus zwei Glaskolben, deren Verbindung mit Wachs versiegelt und mit Stoff oder Blech ummantelt war, während sich im 19. Jahrhundert Sanduhren mit einem im Stück geblasenen Glaskörper durchsetzten.
Die einst allgegenwärtigen Sanduhren in den unterschiedlichsten Materialien und Ausführungen stellen heute begehrte Sammelobjekte dar. Die Pariser Galerie Delalande widmet ihnen eine Sonderausstellung mit Katalog (jeweils in französischer, italienischer und englischer Sprache). Neben relativ einfachen Stundengläsern in Buchsbaumgestellen betört eine Auswahl überaus aufwendiger Instrumente aus dem 17. und 18. Jahrhundert in kostbaren, reich verzierten Gehäusen aus Elfenbein, Silber oder vergoldetem Messing.