Kunsthandel

Annette Kickens Gespür für Bilder und Wände

Annette Kicken führt mit ihrer Galerie eines des spannendsten Zentren für Fotografie in Berlin. Ihre zweite Leidenschaft: Interior Design. Mit „Umbo’s“ vermietet sie nun Wohnungen an Kreative aus aller Welt

Von Lisa Zeitz
23.04.2018

Wer die Galerie Kicken auf der Linienstraße 161a in Berlins Stadtteil Mitte besucht, durchschreitet erst einmal einen Sternenhimmel – vielleicht ohne es zu merken. Schauen Sie beim nächsten Mal genau hin: Die Fassade ist mit schwarzgrünen Mosaiksteinchen besetzt, zwischen denen einzelne kleine Quadrate silbern schimmern. „Als Rudolf und ich hier eingezogen sind“, sagt Annette Kicken, „haben wir uns bei der Gestaltung der Fassade von Thomas Ruffs Sternenhimmel inspirieren lassen.“ Der Blick von der Rückseite des Hauses auf einen abends hell erleuchteten Fußballplatz kam den beiden dagegen vor wie ein Bild von Andreas­ Gursky.

Man sieht, die Lebensgeschichte der beiden ist von der Fotografie durchwoben. Aber noch etwas verband den Kunsthändler Rudolf Kicken, der vor vier Jahren starb, mit seiner Frau: die Fantasie und die geradezu perfektionistische Liebe zum Detail. Die mosaizierte Wand wünschte er sich, weil sie ihn an die Fassaden seiner Jugend in Aachen erinnerte, wo er 1974 zusammen mit Wilhelm Schürmann seine erste Galerie „Lichttropfen“ eröffnete. Und weil Bisazza für das Mosaik zwar das perfekte Schwarzgrün im Programm hatte, nicht aber das Sternensilber, reiste das Ehepaar nach Venedig, wo es noch eine Manufaktur gibt, die genau die richtigen Glasfliesen mit weißem Blattgold hinterlegen konnte.

1979 war die Galerie nach Köln gezogen, zeigte dort Fotoarbeiten von Umbo aus den Zwanzigerjah­ren (Kicken lernte den Künstler noch persönlich kennen), aber auch frühe amerikanische Farbfotografie, das Bauhaus, Meister der tschechischen Moderne, Experimentelles von Man Ray oder Robert Mapplethorpe – lauter Ausstellungen, die in Fachkreisen als visionär gelten. Schon damals beschränkte sich der Pionier nicht nur auf Fotografie, sondern stellte auch zum Beispiel Architekturzeichnungen von Richard Meier oder Hans Poelzig aus. Sein größtes Engagement galt jedoch der Fotografie. „Es ging uns immer darum, die Fotografie aus dem Getto herauszuholen“, erklärt Annette Kicken. Einmal hat der Galerist sogar aus Protest nicht an der Art Basel teilgenommen, als alle, die mit Fotografie handelten, wieder in eine eigene Abteilung gesteckt wurden, aber das ist lange her. Wenn Annette Kicken jetzt sieht, dass Museen wie das MoMA in New York oder das Städel in Frankfurt Fotokunst Seite an Seite mit Malerei ausstellen, hat sie das Gefühl: „mission accomplished.“

Aus der Kunstmesse erwuchs die Liebe

Bevor sie ihren Mann kennenlernte, hat Annette Kicken Kunstgeschichte und Jura in Köln und Berlin studiert, parallel bei Christie’s gearbeitet, ihren Master am Courtauld Institute in London absolviert und anschließend für ein Jahr Christos und Jeanne-Claudes Projekt „Verhüllter Reichstag“ organisatorisch unterstützt. „Ich liebe die Kunst, aber ich bin auch ein sehr praktischer Mensch und organisiere gerne“, sagt sie. Rudolf Kicken, damals noch in Köln, war einer der vierzehn Galeristen, die in den Neunzigerjahren die Berliner Kunstmesse Artforum gegründet hatten. Annette wurde als Messeleitung gewonnen, aber mit der Liebe – sie heirateten 1999 – kam auch schnell die Entscheidung, die Galerie gemeinsam zu führen. So eröffneten sie im Jahr 2000 »Kicken Berlin« und erweiterten das Team auf mittlerweile acht Mitarbeiter. Über die Jahre setzten auch hier viele hochkarätige Ausstellungen Maßstäbe: Umbo, Diane Arbus, Helmut Newtons Lehrerin Yva, die verträumten Aufnahmen des Piktorialismus um 1900, aber auch Zeitgenossen wie Stephen Shore oder Barbara Klemm, gern in Kombination mit Arbeiten auf Papier oder Skulpturen.

 

Der Übergang von Handeln und Sammeln ist oft fließend. Der wegweisende Umgang des Städel Museums mit der Fotografie, die Gleichbehandlung mit der Malerei, war der Grund dafür, dass sich das Ehepaar vor fünf Jahren entschlossen hat, dem Frankfurter Museum einen bedeutenden Teil der eigenen Sammlung zu übergeben. 524 Werke kaufte das Städel damals an, 670 Fotografien schenkten die Kickens dazu: Arbeiten um 1900, Neue Sachlichkeit, Bauhaus und die sogenannte „Subjektive Fotografie“ – ein Meilenstein fürs Städel.

Nach dem Tod ihres Mannes, der die ganze Kunstwelt erschütterte, war es für Annet­te Kicken, Mutter von drei kleinen Töchtern, keine Frage, dass es mit der Galerie weitergehen müsse. „Das ist auch eine kulturelle Verantwortung“, erklärt sie. Dennoch fragt man sich, wie schafft sie das alles?

Für das Berliner Gallery Weekend bereitet das Team eine Ausstellung in der Reihe „Mixed Media“ vor. Waren die Themen zuvor Porträt, Architektur und Abstraktion, so heißt es jetzt „About the Body“. Neben Grafiken von Klimt, Schiele und Kokoschka konzentriert sich die Schau auf den neuen Aspekt der Fotografie als Dokumentationsmittel der Aktionskunst. „Lange konnte ich mit dem Wiener Aktionismus wenig anfangen“, gibt Annette Kicken zu. Aber jetzt ist sie von den ästhetischen Qualitäten der Bilder begeistert. „Die Aktionen von Günter Brus lassen sich wunderbar mit dem abstrakten Expressionismus oder mit der Cutting-Edge-Kunst von Schiele kombinieren“, sagt sie. „Die unterschiedlichen Positionen sind das Spannende an der Fotografie.“

Ihre Energie ist unbeschreiblich. Trotz Galeriebetrieb, den Auftritten auf der Art Basel und der Paris Photo, ganz zu schweigen von ihrem Familienleben, hat sie kürzlich noch ein weiteres Projekt verwirklicht. „Ist es nicht so, dass Kunst, Architektur, Mode, Möbel, alle kreativen Bereiche immer näher aneinanderrücken?“ Die Leidenschaft für das Bauen und Einrichten, die Rudolf Kicken mit ihr teilte, hat sie in ein Hinterhaus in der nahe gelegenen Gipsstraße gesteckt, wo sie sechs Altbauwohnungen ausgebaut und aufs Feinste mit Vintage-Möbeln und Kunst aus der Galerie eingerichtet hat. „Umbo’s“ heißt das Projekt zur Vermietung an Kreative aus aller Welt, und jede der Wohnungen trägt den Namen einer Umbo-Fotografie wie „Träumende“ oder „Unheimliche Straße“. So viel ist klar: Ohne die Kickens würde nicht nur die Geschichte der Fotografie anders aussehen, sondern auch Berlin.

Service

KARI KJØSNES / Courtesy Kicken Berlin & CRUBA
Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst 2018 / Nr. 142

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