Kunsthandel

Die Zukunft einholen

Der BVDG und Independent Collectors untersuchen auf einer Tagung in den Hamburger Deichtorhallen die digitale Zukunft des Kunstmarkts. 

Von Jan Bykowski
24.06.2016

„Zeigen, was sich nicht sagen lässt“, könnte eine Erwartung formuliert werden, die gute Kunst erfüllen soll. Der Segen, den technologischer Fortschritt bringen kann, lässt sich in der Kunst nur schwierig darstellen. Einem Künstler, dem diese Herausforderung gelingt, ist Andreas Slominski: Für die Solo-Ausstellung „Das Ü des Türstehers“ in den Hamburger Deichtorhallen hat Slominski eine Kathedrale aus hunderten Mobiltoiletten erschaffen. Wer an die übel riechende Installation „The Zurich Load“ von Mike Bouchet auf der Manifesta denkt – achtzig Tonnen Exkremente, wie sie die Stadt Zürich täglich produziert und für die in der Ausstellung keine Plastikklos verfügbar sind – dem wird der Segen technologischen Fortschritts unmittelbar klar. Um selbigen ging es übrigens auch am 23. Juni im Foyer der Deichtorhallen, wo in angenehmer Atmosphäre die Vorstellung des „Beta Manifest – 10 Thesen zur Zukunft des Kunstmarkts“ stattfand, die Segen und Fluch der Digitalisierung des Kunstmarkts zur Diskussion stellen. 

In Befragungen und Diskussionen haben Thea Dymke vom Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG) und Karoline Pfeiffer von der Kunstsammler-Plattform Independent Collectors im Vorfeld zusammen mit Teilnehmern des Markts und Anbieter neuer Technologien einen Zwischenstand formuliert, fünf von ihnen gaben in Hamburg die Keynotes (auch ein Glossar der oft englischen Fachbegriffe wird gegenwärtig vom Verband erstellt). 

Dabei stellte Dirk Herzer als erster Redner fest, dass der Kunstmarkt nicht unbedingt der erste Nutzer neuer Technologien sei. Bescheiden, denn das von ihm gegründete Portal „artbutler“ bietet dem Kunstmarkt bereits seit 2002 erfolgreich digitale Dienstleistungen an. Eine Konkurrenz zwischen online-Angeboten und den physischen Galerien stellt er in Frage, möchte vielmehr die Möglichkeiten digitaler Kommunikation durch gezielte Ansprache statt breiter Streuung nutzen, um den Kunden Wege in die Galerien zu öffnen. Dass die Punkte, die er hierfür zu beachten gibt, offenbar noch keine Selbstverständlichkeit sind, macht tatsächlich an der Routine der Nutzer im Umgang mit ihrem digitalen Auftritt zweifeln: Gute Abbildungen zusammen mit zugänglichen Kommunikationsangeboten leiten die Kunstvermittlung ein. 

Routine kann man „artnet“ sicher nicht absprechen. Seit den 90er-Jahren ist das Portal Teil der Kunstwelt, die Preisdatenbank hat dem Kunstmarkt ein gern genutztes und in der Wahrnehmung mancher zuweilen auch missbrauchtes Werkzeug in die Hand gegeben, damit vor allem auch viel Stoff für kontroverse Diskussionen um Preis und Wert von Kunst. 

Den Wert geistigen Eigentums zu schützen ist in der digitalen Welt mit ihren nahezu unbegrenzten Kopiermöglichkeiten ein weiteres Thema, auf das in der Musikindustrie bereits auf wechselnde Weise reagiert wurde und das sich auch den Galerien und Kunsthändlern stellt. Eine Lösung bietet der Dienst „ascribe“ an, den Gründerin Masha McConaghy vorstellte. Einem als Datei vorliegenden Werk kann eine Codierung beigegeben werden, die mit der Datei unlösbar verknüpft ist. Das Prinzip ähnelt jenem der Block Chain, durch das die virtuelle Währung Bitcoin gesichert ist. Für Kunst kann hiermit eine Fälschung ausgeschlossen und die digitale Provenienz eines Werkes nachvollziehbar gehalten werden. 

Vor ganz eigenen Fragen bezüglich der Provenienz sieht sich die Spediteur eines physischen Werks durch neue Märkte im Netz gestellt. Auf virtuellen Marktplätzen dezentralisiert ich der Kunsthandel, treffen sich private Käufer und Verkäufer, die voreinander Anonymität bewahren können. Ihr einziger Kontaktpunkt in der wirklichen Welt ist der Transporteur des veräußerten Werks, dem damit eine neue Verantwortung zukommt, wie Klaus Hillmann, Gründer des Kunst-Logistikers „Tandem“ die neuen Anforderungen an seine Branche erläutert. Während die Käufer-Verkäufer-Beziehungen durch stets wandelbare Netz-Kontakte zunehmend unberechenbar werden, wünschen sich die Kunden vom Überbringer des auf virtuellen Marktplätzen erworbenen physischen Werks einen persönlicheren Bezug. 

Ebenfalls in der physischen Welt verankert ist das EIGEN+ART Lab in Berlin. Johanna Neustätter und Anne Schwanz leiten das Projekt, in dem die etablierte Galerie jungen Künstlern einen Ort öffnet. Auch für diesen klassisch an einer Adresse in Berlin zu findenden Ort ist die digitale Präsenz mit Hilfe einer Website wie auch Social Media besonders wichtig, um der Generation von Digital Natives einen Weg zu öffnen, der für sie der selbstverständliche ist. 

In der abschließenden Panel-Diskussion wurde die Situation nochmals verdeutlicht. Die digitale Zukunft ist eine digitale Gegenwart, die es weiter zu gestalten gilt. Eine Positionierung innerhalb der sich laufend wandelnden Bedingungen kann immer nur eine vorläufige, eine Beta-Version sein, ein Ergebnis also, dass zwar bereits von einem nicht an der Entwicklung beteiligten Publikum erprobt wird, das aber keinen Anspruch auf Endgültigkeit stellen kann. Auch Kernfragen wie das Urheberrecht werden da radikal auf die Probe gestellt, indem etwa Rene S. Spiegelberger von der Spiegelberger Stiftung den Gedanken ins Gespräch bringt, sich angesichts der Möglichkeiten der digitalen Zukunft von solch konservativen Regeln ganz zu verabschieden. Der Nachmittag gab der anfänglichen Bemerkung Dirk Herzers recht: Der Kunstmarkt ist nicht der Pacemaker des Digitalen. Wer sich den Gegenwärtigen Stand veranschaulichen will, für den wurden eine Stunde vor der Tagung die zehn Thesen des Beta-Manifests online gestellt. Die genannten Argumente und Standpunkte der Redner finden sich darin wieder und sind bis zum nächsten update zur Diskussion gestellt. Es ist eine Beta-Version…

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