Kunsthandel

Abstieg nach dem Ausstieg

Stellen Sie sich vor, Sie verlieren innerhalb von drei Tagen Ihre Finca auf Mallorca. Futsch. Einfach so. Oder Ihre 15-Meter-Yacht an der französischen Riviera. Oder Ihren frühen van Gogh. Unvorstellbar. Derzeit aber Realität.

Von Sebastian Strenger
30.06.2016

Am 21. Juni wurde Picassos „Sitzende Frau“ für rund 43 Millionen Pfund bei Sotheby’s London weitergereicht. Da es schon weit bessere Ergebnisse für Picasso gegeben hat, wäre das an sich kaum erwähnenswert – hätte es drei Tage später nicht den Brexit gegeben. Denn seit dem letztlich doch unerwarteten Austritt Großbritanniens aus der EU ist die Währung um mehr als 10 Prozent gefallen – und der Einbringer hat aufgrund dieses Kursrutsches nach den üblichen Verkaufsbedingungen den Verlust einer Summe im Wert einer Finca, einer Yacht oder eines frühen van Goghs zu beklagen. Für den neuen Besitzer des Bildes freilich bleibt zu hoffen, dass er nicht umgehend gezahlt hat. Dann hätte er nun nämlich überraschend noch Geld für ein Domizil im mallorquinischen Port d’Andratx übrig. 

Großbritanniens Austritt aus der EU produziert Gewinner und Verlierer. Finanzexperten befürchten, dass das Pfund in den kommenden Jahren noch weiter fallen wird. Angesichts der stetig steigenden Staatsverschuldung des Landes bei erlahmender Wirtschaftskraft ist mittelfristig sogar mit mindestens 20 Prozent Wertverlust zu rechnen. Der internationalen Sammlerschaft wird die schwache Währung recht sein, um in den Londoner Auktionen günstig kaufen zu können. Das könnte vorteilhaft für den dortigen Kunstmarkt sein – gäbe es da nicht auch eine Kehrseite.

Kaum ein anderes Land ist derart von Importen abhängig, wie das (noch) Vereinigte Königreich Großbritannien – das gilt auch für den Kunsthandelssektor. Bislang lieferten die Wildensteins und Nahmads dieser Welt Modiglianis, van Goghs, Cy Twomblys etc. gerne nach London – die britische Verbindlichkeit gepaart mit einer starken Währung und der Strahlkraft des liberalen Handelsplatzes gaben hierfür den Ausschlag. Und die großen Deals brachten der Stadt Umsatz und Glamour – der jetzt aber zu verpuffen droht. Denn welcher Einlieferer lässt sich schon gerne in britischen Pfund auszahlen, wenn ihm der Verlust der einen oder anderen Million droht. 

Großbritannien braucht Beschäftigungspolitik, eine Sanierung der maroden Infrastruktur und ein nachhaltiges Wachstum – dafür wird das Land viele Milliarden in die Hand nehmen müssen. Geld, das auf absehbare Zeit nicht vorhanden sein wird. So stehen Einfuhrzölle und eine Erhöhung der Umsatzsteuer ins Haus. Wenn sich der noch amtierende Regierungschef Cameron vor die Weltpresse stellt und mit dem Brexit eine Sicherung der britischen Grenzen fordert, werden zudem Erinnerungen an das Schweizer-Modell wach. Zollkontrollen, administrative Hürden durch Ein- und Ausfuhrpapiere kommen einem in den Sinn – ausländische Kunstkäufer werden sich ein finanzielles Engagement in London in Zukunft also lieber dreimal überlegen. Und auch die ausländischen Einbringer müssen sich auf einen Anstieg der Kosten gefasst machen, denn darum wird England angesichts der zu erwartenden, mit zusätzlichen Kosten verbundenen Neuregelungen der Einfuhrbestimmungen nicht herumkommen. Letztlich muss sich das Land also neue Geldquellen erschließen. Freihandelshäfen mit Zollfrei-Lagern werden die finanziellen Verluste nicht wettmachen können, die entstehen, weil London ab sofort nicht mehr Einfallstor in die EU ist. 

In der Summe lässt sich also bereits jetzt sagen, dass Großbritannien für den Kunst- und Auktionshandel an Bedeutung verlieren wird. Wie tief der Standort fallen wird, hängt sicherlich von den anstehenden Gesprächen Englands mit Rest-Europa ab. Laut TEFAF-Report ist das Vereinigte Königreich mit 21 Prozent Marktanteil (13,39 Milliarden Dollar Umsatz) derzeit noch der zweitgrößte Kunsthandelsplatz der Welt, nach den USA mit 43 Prozent. Schon im Vorfeld scheint sich der drohende Brexit allerdings negativ ausgewirkt zu haben – denn während Sotheby’s London im ersten Halbjahr 2015 noch mehr als 700 Millionen Dollar einspielte, waren es im Vergleichszeitraum 2016 nur noch rund 400 Millionen. Ein Vorgeschmack auf den Niedergang, der unumkehrbar zu sein scheint.

Bereits jetzt fürchten die Londoner Händler und Galeristen um ihre Umsätze, da in Zukunft eine geringere Wirtschaftsleistung zu erwarten ist und sich Unternehmen und Investoren ins europäische Ausland absetzen werden. Autionshäuser wie Sotheby’s, Christie’ und Bonhams möchten ihre Erfolgsgeschichte ebenso weiterschreiben und werden darüber nachdenken, ihren Standort zu verlegen – denn gute Ware lässt sich überall verkaufen. Und selbstverständlich wird die Entwicklung auch an der Vorzeigemesse Frieze nicht spurlos vorübergehen. Bleibt nur die Frage, welches europäische Land Großbritannien beerben kann? Deutschland mit seinem neuen Kulturgutschutzgesetz ganz sicher nicht.

Diesen Artikel finden Sie in der aktuellen Ausgabe der KUNST UND AUKTIONEN Nr. 11/2016

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