Kunsthandel

Outsider Art Fair als Insider-Event

Die Werke von Außenseitern stehen seit einem Jahrhundert  im Fokus. Nur eine Frage der Zeit, dass auch Kunstmessen das Thema vereinnahmten; führend sind die Messen in Paris und New York. Dort werden vom 21. bis 24. Januar wieder rund 50 Galerien zur „Outsider Art Fair“ zusammenkommen.

Von Boris von Brauchitsch
12.03.2016

Die Werke von Außenseitern stehen seit einem Jahrhundert besonders im Fokus. Die Begeisterung der Expressionisten für „primitive Kunst“, die Resonanz der Kunstwelt auf Hans Prinzhorns Buch Bildnerei der Geisteskranken von 1922, die Faszination der Art Brut für die Unmittelbarkeit von Kinderzeichnungen sind Ausdruck eines Verlangens nach Authentischem und Eruptivem, das fernab des konventionellen und verbildenden Kulturbetriebs verortet wurde.So war es nur eine Frage der Zeit, dass auch Kunstmessen das Thema vereinnahmten; führend bis heute die Messen in Paris und seit inzwischen 25 Jahren in New York. Dort werden im Januar wieder rund 50 Galerien aus sechs Ländern zur „Outsider Art Fair“ – ein Widerspruch in sich selbst – zusammenkommen.

Outsider, das klingt immer verwegen. Ein bisschen Outlaw, ein bisschen einsamer Wolf und eine Prise Eremit. Es klingt selbstbestimmt und autark, nach Einzelgängertum fern des Mainstreams. So was macht Eindruck, vor allem bei denen, die als gutgeschmierte Rädchen im Getriebe von Wirtschaft und Wissenschaft funktionieren, insgeheim aber vom Ausstieg träumen, zu dem ihnen der Mut fehlt. Für andere ist es der exotische Kick – denn sind Künstler per se schon „anders“, so potenzieren Outsider-Künstler quasi das Anderssein.

Doch das Flair des Begriffs Outsi- der täuscht darüber hinweg, dass die meisten, auf die er Anwendung findet, keineswegs selbstgewählt außerhalb stehen. Die Gesellschaft hat sie aus ihrer Mitte verdrängt, hat sie zur Einsamkeit verurteilt oder in Kliniken interniert, hat sie medizinisch ruhiggestellt und ihnen den Stempel des Andersseins erst aufgedrückt. Viele haben darunter gelitten, und ihre Kunst ist nicht selten ein Ausdruck dieses Leidens. Was wir als intensiv, beklemmend und skurril empfinden, ist Offenbarung eines seelischen Ringens mit Depressionen, Obsessionen und Sehnsüchten. Schärfen wir die Sinne, wird die Verbindung zwischen Kunst und Qual hier besonders augenscheinlich.

Für die Vogue war die New Yorker Outsider Art Fair 2015 „the most refreshing show in town“. Einzig die gelegentliche Betonung gesundheitlicher Defizite der Künstler (Schizophrenie, Autismus etc.) durch die Galeristen beeinträchtigte in ihren Augen den unverfälschten Elan der Messe. Die Frage, ob das Krankheitsbild eines Künstlers primäre Interpretationsquelle für ein Werk sein sollte, kann man durchaus stellen, aber auszublenden, dass es eine zentrale Position in der Biografie eines Menschen einnimmt, ist sicher noch weit weniger erhellend. Die Grenzen zwischen Genie und Wahnsinn sind bekanntlich fließend, die Grenzen zwischen realer Krankheit und Pathologisierung sind es rückblickend in vielen Biografien ebenso. Eine Trennlinie ist allerdings vergleichsweise scharf: Die zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Außenseitern. Vielleicht haben sie weit weniger gemeinsam, als der subsummierende Begriff Outsider suggerieren möchte.

Entsprechend weit ist das Thema der Messe auch dieses Mal gefasst. Es wird sich Volkskunst neben Werken von Eskapisten finden, wir werden Arbeiten psychisch Kranker neben solchen von naiven Autodidakten zu sehen bekommen. Was sie alle vereint, ist bestenfalls ein Anti-Akademismus.

Doch sind die Künstler vielleicht tatsächlich Sonderlinge geblieben und wird ihr Status als Außenseiter vom Markt sorgsam gepflegt, so ist ihre Kunst umso deutlicher auf Auktionen und in Galerien, bei Sammlern und in Museen – kurz: in der Mitte der Gesellschaft – angekommen. Wenn etwas derart „in“ ist, kann das dann überhaupt noch Outsider-Kunst sein? Der Outsider- Freund Jean Dubuffet hätte hier möglicherweise verneint, denn für ihn war die Kunst (und zwar jede Kunst) eine Person, die das Inkognito pflegte: „Sobald es fällt und man mit dem Finger auf sie zeigt, macht sie sich davon und hinterlässt an ihrer Stelle jemanden mit Lorbeerkranz und einem Schild mit der Aufschrift KUNST auf dem Rücken. Jeder besprengt ihn mit Champagner und die Veranstaltungsredner führen ihn an einem Ring durch die Nase von Stadt zu Stadt.“ Glücklicherweise gibt es noch andere Definitionen von Kunst, denen das New Yorker Publikum folgen kann. So wird es auch 2016 nach dem Motto „Kunst ist, wenn man vorher zum Friseur geht“ (Fritz J. Raddatz) die Outsider-Messe wieder zum Insider-Event machen.

Abbildung oben

Dan Miller (* 1961), „Untitled“, Acryl, Tinte / Papier, 2015, 55,8 x 76,2 cm, angeboten vom Creative Growth Art Center, Oakland (Foto: Creative Growth Art Center, Oakland)

Zur Startseite