Das Museum Barberini in Potsdam feiert ein faszinierendes Fabelwesen, das die Fantasie von Künstlerinnen und Künstlern bis heute belebt
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23.10.2025
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 248
Das mythische Tier begegnet uns heute überall: Als rosa Anhänger baumelt es von Schulranzen, als Stofftier und Sticker bevölkert es Millionen Kinderzimmer, in den „Harry Potter“-Büchern streift es mit makellos weißem Fell durch nordeuropäische Wälder, und in Silicon Valley bezeichnet das Unicorn ein Start-up-Unternehmen, das fabelhaften Reichtum beschert.
Dagegen zeigen sich die Einhörner im jüngsten Kinofilm mit Jenna Ortega und Paul Rudd, „Death of a Unicorn“, als mörderische Horrorwesen, die ihre langen Hörner dafür nutzen, Feinde zu durchbohren. Ihre Wut hat einen Grund: Ein Einhornfohlen ist in die Hände von Medizinern geraten, die aus seinem Körper Wunderheilmittel extrahieren. Humbug? Nein, all diese Phänomene haben Wurzeln, die Jahrtausende in die Geschichte zurückreichen.
Das Museum Barberini und das Musée de Cluny haben gemeinsam eine Ausstellung organisiert, die mit 120 kostbaren Leihgaben aus internationalen Institutionen ab Ende Oktober in Potsdam zu sehen ist und ab März nächsten Jahres in Paris präsentiert wird. Es ist eine berauschende Reise in die Gefilde des Aberglaubens und der Religion, zu den Anfängen der Naturwissenschaft und den Bemühungen, Fakten und Fiktion auseinanderzuhalten. Aber vor allem ist es ein Vergnügen, zu sehen, wie das Fabeltier bis heute die Fantasie von Künstlerinnen und Künstlern anfacht. „Das Einhorn ist mehr warm als kalt“, schrieb Hildegard von Bingen im 12. Jahrhundert, „aber seine Stärke ist größer als seine Wärme, und es frisst reine Kräuter, und beim Gehen macht es gleichsam Sprünge, und es flieht den Menschen und die übrigen Tiere außer denen, die von seiner Art sind, und deshalb kann es nicht gefangen werden.“ Die Einzige, die ein Einhorn fangen könne, so wurde wohl schon in altindischen Legenden und im frühen Christentum vermutet, sei eine Jungfrau. So wurde die Zähmung des Einhorns auch zur Allegorie auf die Menschwerdung Gottes und ausgerechnet das wilde Tier mit dem langen Horn zum Zeichen der Jungfräulichkeit.
Die Ausstellung versammelt Einhörner in mittelalterlicher Buchmalerei, in Druckgrafik und Bronzefiguren, Altären, Tapisserien, in Gemälden der Renaissance, des Manierismus und des Barocks, im Symbolismus von Gustave Moreau und Arnold Böcklin, im Surrealismus von René Magritte. Natürlich ist auch der geschraubte Zahn des Narwals zu bewundern, der über Jahrhunderte als Beleg für die Existenz des Einhorns galt. In der zeitgenössischen Kunst haben sich Rebecca Horn oder Marie Cécile Thijs mit dem mythischen Tier beschäftigt, und wer ganz nah an das lebensechte, am Boden lagernde schwarze Einhorn von Olaf Nicolai herantritt, spürt auf unheimliche Weise seine Körperwärme. Unter dem präparierten Fell hat der Künstler eine elektrische Heizung eingebaut.
Einhorn. Das Fabeltier in der Kunst
Museum Barberini, Potsdam
bis 1. Februar 2026