William Kentridge

Wie Blätter im Wind

Große Ausstellungen in Essen und Dresden feiern den südafrikanischen Künstler William Kentridge

Von Simone Sondermann
22.09.2025

Als Kind wollte er Elefant werden. Später Schauspieler, Dirigent, Schriftsteller, Künstler. Seine frühesten Werke sind Theaterplakate von Stücken, die er als junger Mann für Kinder und Erwachsene schrieb. Damals dachte er noch, er müsse sich entscheiden. Also entschied er sich für die Kunst. Wie vielseitig diese sein kann, wusste er da noch nicht. Heute ist William Kentridge fast all das, was er sich damals erträumte.

In diesem Jahr wurde der Südafrikaner 70 Jahre alt, Anlass für das Essener Museum Folkwang und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, ihn mit großen Ausstellungen zu ehren. Die Idee dazu entstand unabhängig, wie der Essener Kurator Tobias Burg erzählt, aber es wurde schnell klar, dass sich die Konzepte gut ergänzen. In Dresden geht es nun an drei Standorten vor allem um das Theater, die Puppen, aber auch die Druckgrafik in Kentridges Werk. In der einst von kunstsinnigen Monarchen geprägten Stadt ist das Motiv der Prozession zentral, ein wiederkehrendes bei Kentridge, dessen Filminstallation „More Sweetly Play the Dance“ (2015) hier mit dem überlebensgroßen „Dresdner Fürstenzug“ am Residenzschloss in Dialog tritt.

William Kentridges Tapisserie eines Trägers von 2005 im Museum Folkwang
William Kentridges Tapisserie „Norwège, Suède et Danemark (Porter with Chairs)“ von 2005 im Museum Folkwang. © William Kentridge, Courtesy Kentridge Studio, VG Bild-Kunst Bonn, 2025

In Essen ist es der Bergbau, der die Geschichte des Ortes mit dem Künstler aus Johannesburg verbindet. Die Schau im Folkwang ist außerdem eine Retrospektive. Nach einem Blick auf die frühen Plakate oder ein noch stark von Otto Dix und Francis Bacon beeinflusstes Triptychon am Beginn der Schau, begegnet man hier als Erstes den Blättern und Bewegtbildern, mit denen er berühmt wurde. Lange sah Kentridge seine Kohlezeichnungen nur als Vorstufe für die Gemälde, die er irgendwann malen wollte, bis ihm klar wurde, dass er sein Medium längst gefunden hatte. Auf Basis der Zeichnungen schuf er Animationsfilme, in denen er düster-assoziative Bilder für die brutalen Widersprüche des Apartheidstaates Südafrika und die sozialen Verwerfungen der postkolononialen Ära fand. Etwa in „Mine“ von 1991, das in Essen zu sehen ist, bei dem die Kaffeekanne im Bett des Minenbesitzers zum Fahrstuhl in die Tiefen des Bergwerks wird. Dazu erklingt Dvořáks Cellokonzert Nr. 1, was – eine Verneigung vor der Stummfilmära – die emotionale Wucht des Films verstärkt.

Bewegend sind auch Kentridges Tapisserien aus den 2000er-Jahren: Auf dem Hintergrund historischer Landkarten zeigen sie stets eine Person mit schweren Lasten, gewebt nach Vorlagen von Schattenrissen, die Kentridge fertigte. Wie Atlas aus der griechischen Mythologie scheinen diese dunklen Figuren die ganze Welt zu tragen. Stumm berichten sie von der kolonialen Vergangenheit und auch davon, dass heute täglich Menschen mit ihrem Hab und Gut Kontinente durchqueren, entwurzelt, auf der Flucht.

Kentridges Arbeiten sind fast immer politisch, tief haben ihn die Ungerechtigkeiten Südafrikas geprägt. Aber „er ist kein Aktivist“, wie auch Tobias Burg betont. Sein Weg ist poetisch, er überlässt sich dem, wohin ihn seine Bilder führen. Es ist großartig, ihn nun auf seinen Reisen ein Stück begleiten zu dürfen.

Service

AUSSTELLUNG

„William Kentridge. Listen to the Echo“, Museum Folkwang Essen, 4. September bis 18. Januar 2026

AUSSTELLUNGEN

„William Kentridge. Listen to the Echo“, Staatliche Kunstsammlung Dresden, 6. September 2025 bis 15. Februar 2026

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