Wer sich durch die Retrospektive der Berliner Künstlerin Käthe Kruse bewegt, begegnet einem ebenso widerständigen wie verspielten Werk, das sich jedem eindeutigen Zugriff entzieht – und gerade dadurch berührt
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15.05.2025
„Jetzt ist alles gut“ – dieser Satz steht am Ende der Ausstellung, als Titel, als Fazit, als künstlerische Haltung. Doch seine erste Implikation hat sich da bereits als Trugschluss erwiesen. Denn eine Reise durch das Werk von Käthe Kruse zeigt, dass es keineswegs auf einen versöhnlichen Nenner zu bringen ist. Kruses Werke fordern eine ständige Reflexion, sie stellen historische Erfahrungen und gegenwärtige Fragestellungen miteinander in Beziehung und schaffen so eine komplexe Auseinandersetzung, die den Betrachter dazu einlädt, sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden zu geben.
Die Berlinische Galerie hat anlässlich ihres Jubiläumsjahres mit Käthe Kruse eine Künstlerin eingeladen, die selbst zum Inventar der Westberliner Underground-Szene zählt. Geboren 1958 in Bünde, wurde sie früh Teil der legendären Kunst- und Musikgruppe Die Tödliche Doris. Bereits der erste Raum verhandelt diese Zeit auf selbstbewusste, unnostalgische Weise. „Die Tödliche Doris auf Tapete“ entfaltet sich über eine 35 Meter lange Wand, an der Objekte, Kostüme und Gemälde der Gruppe auf bunt gemusterten Tapeten arrangiert sind – ein anarchischer Kontrapunkt zum klassischen musealen Pathos. Hier geht es nicht um museale Ehrfurcht, sondern um das kreative Fortleben eines kollektiven Moments.
Die Ausstellung folgt keiner Chronologie, sondern arbeitet sich thematisch durch Kruses jahrzehntelanges Werk. Immer wieder zeigt sich dabei ein Grundmotiv: Transformation. Alltagsobjekte werden zu Kunst, alte Arbeiten zu neuen Konstellationen, persönliche Erfahrungen zu gesellschaftspolitischen Kommentaren. Kruses Arbeiten bewegen sich zwischen Konzeptkunst und performativer Geste, zwischen formaler Strenge und emotionaler Offenheit. In ihren „Jahresfarbenstreifenbildern“ etwa übersetzt sie subjektive Farbsysteme in serielle Strukturen – eine stille, meditative Praxis, die sich auch als Rückzugsort inmitten eines lärmenden Kunstbetriebs verstehen lässt.
Dabei bleibt Musik eine Konstante – nicht nur als Erinnerung an Die Tödliche Doris, sondern als atmendes Element ihrer Installationen. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das in der Arbeit „In Leder“ (2023): Sämtliche Instrumente der Gruppe – Kruses eigenes Schlagzeug inklusive – sind hier vollständig in Leder gehüllt. Ein Akt der Verhüllung, der zugleich Enthüllung ist. Die zarte Gewalt des Materials konfrontiert die Betrachtenden mit den Spuren kollektiver Geschichte und individueller Erinnerung.
Überhaupt ist diese Ausstellung ein begehbares Archiv von Kruses Leben und Denken. Man erfährt von ihrer Zeit in einem besetzten Haus in der Manteuffelstraße, sieht, wie sie aus Nähgarn, Holz und Öl Fragen nach Ordnung, Körper, Krieg oder Mutterschaft aufwirft. In ihrer Videoarbeit „Der Vertrag“ (2013) sitzt sie nackt vor der Kamera und liest den Vertrag der ehemaligen Doris-Mitglieder – eine Performance, die zwischen Verletzlichkeit und Selbstermächtigung pendelt.
Besonders eindringlich ist der letzte Raum der Ausstellung, in dem die Frage „Wie geht es dir jetzt?“ und die Antwort „Jetzt ist alles gut“ in verschiedenen Materialien visuell konkret werden. Es ist ein ruhiger, fast zärtlicher Abschluss, in dem sich das frühere Ich der Künstlerin mit dem heutigen begegnet – nicht als Widerspruch, sondern als fortgesetzter Dialog. Die beiden Sätze stammen ursprünglich von zwei Schallplatten von Die Tödliche Doris, die gleichzeitig abgespielt eine „unsichtbare LP“ ergeben sollten – ein poetisches Sinnbild für Kruses Gesamtwerk: Das Eigentliche spielt sich oft zwischen den Dingen ab.
Und so verlässt man die Ausstellung mit einem Gefühl, das irgendwo zwischen Wehmut und Leichtigkeit liegt. Vielleicht ist genau das gemeint, wenn Käthe Kruse sagt: „Jetzt ist alles gut.“ Nicht weil alles abgeschlossen wäre. Sondern weil alles in Bewegung ist.
„Käthe Kruse“
Berlinische Galerie, Berlin
bis 16. Juni 2025