Eine Gruppenausstellung im Silent Green Kulturquartier in Berlin-Wedding widmet sich den Themen Kommunikation, Technologie und Verantwortung
Von
10.01.2025
Wir steigen hinab. In die unterirdischen Räume der Betonhalle des Silent Green Kulturquartiers, wie in unser Inneres, in den Bauch der Erde. In dem ehemaligen Krematorium im Berliner Bezirk Wedding zeigen sich für rund eine Woche Utopien und Reflexionen, die sich mit dem Thema ökologische Verantwortung auseinandersetzen. Die insgesamt elf Arbeiten wurden gemeinsam vom Silent Green und der Transmediale aus den Stipendiatinnen und Stipendiaten der Europe Media Art Platform (EMAP) ausgewählt. Ein roter Faden durchzieht alle Projekte miteinander: das Nachdenken über menschliches Handeln zulasten unserer Umwelt.
Bevor wir der Kunst begegnen können, zeigt sich die massive Architektur des Gebäudes. Hinter der verspiegelten Glastür am Eingang führt eine schwach beleuchtete Schräge hinab in den Keller. Vielleicht lässt sich unter der Erde besser darüber sinnieren, was auf ihr gerade verkehrt läuft.
Wie der Ausstellungstitel „UnNatural Encounters“ nahelegt, zeigen und hinterfragen die elf Installationen Begegnungen mit menschlichen Prozessen, Kommunikation zwischen Menschen und Umwelt, sowie herrschende Machthierarchien. Sie alle sind durch technische Darstellungsweisen miteinander verflochten.
Marc Vilanovas „Cascade“ lässt einen in die Schau gleiten. Am Ende des hinabführenden Tunnels tanzen winzige weiße Linien um sich selbst und verdecken den Eingang zum Rundgang. Die 64 herabhängenden Leuchtfäden fordern die Besuchenden auf, sich mit der Hand den Weg freizuschieben, um einzutreten. Der Lichtvorhang orientiert sich visuell wie auch kontextuell an einem Wasserfall, denn er hängt nicht still vor sich hin. Er zuckt und vibriert und erschafft dadurch visuelle Wellen. Für das menschliche Ohr nicht vernehmbare Infraschall-Aufnahmen werden über die Lautsprecher, die an den Fäden befestigt sind, abgespielt und bringen diese in Bewegung. Beim Hindurchlaufen fallen sie wortwörtlich auf einen hinab. Die Frequenzen sind Aufnahmen von verschiedenen Wasserfällen. In der Natur helfen sie bestimmten Vögeln dabei zu navigieren. Doch durch den fortschreitenden Industrielärm, können die Vögel sich schwerer orientieren.
Ein anderes Werk „An Elastic Continuum“ von Bethan Hughes beschäftigt sich mit der gummihaltigen Pflanze Taraxacum Koksaghyz, auch als Kautschuk-Löwenzahn bekannt. Das gezeigte Ein-Kanal-Video wird umrahmt von zwei überdimensionalen Löwenzahn-Blumen aus Glas und Edelstahl. Der Film setzt sich als sechstes Kapitel der Künstlerin mit dem unscheinbaren „Unkraut“ auseinander. Die Reise führt aus den Tien-Shan-Bergen in Kasachstan über Kollektivfarmen der Sowjetunion, bis hin zu Gewächshäusern im Konzentrationslager. Zwar steht die Pflanze im Mittelpunkt der Arbeit, doch Hughes setzt einen weiteren Fokus: auf die einhergehende Arbeit von Frauen. Ein Teil zeigt rund 300 Frauen im sogenannten „Pflanzenzuchtkommando“ im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, die sich um die Züchtung des Löwenzahns kümmerten, denn bis heute müssen sie von Hand bestäubt werden. Dabei drücken sie die beiden „Blumenköpfe“ in kreisenden Bewegungen aneinander, sodass die Pollen übertragen werden. Bei jeder Blume einzeln, in penibelster Handarbeit. Die Stiele der Pflanzen brachten den Kautschuk hervor, der beispielsweise für die Reifen militärischer Fahrzeuge gebraucht wurde.
Passend zu den befindlichen Tiefenmetern fragt sich masharu in der Arbeit „Compost as Superfood“ nach einer Alternative zur Lebensmittelindustrie. Mit Holzlöffeln darf man sich aus einem der vier unterschiedlichen Töpfen bedienen, Sie sind gefüllt mit extra angezüchtetem Kompost – probiert werden darf auf eigene Gefahr. Daneben liegen und stehen die Daten und Ergebnisse der Experimente, wie auch eine Kiste, die im Prozess ist, essbare Erde zu werden.
Durch den tanzenden Lichtvorhang geht es wieder zurück gen Erdoberfläche. Zurück bleibt eine leichte Wehmut, aber auch Zuversicht – und ein leises Knirschen zwischen den Zähnen das zeigt, dass es kein Traum war.
„UnNatural Encounters“
im Silent Green Kulturquartier, Berlin
bis 19. Januar