Ignacio Zuloaga

Stolz und Vorurteil

Unter Spaniens modernen Malern war Ignacio Zuloaga der Traditionalist. Die Kunsthalle München zeigt, wie er das Bild seines Heimatlands international prägte

Von Rose-Maria Gropp
18.09.2023

Er steht vor einem düsteren Himmel, wie ihn El Greco gemalt haben könnte, auf einem imaginären Hügel, in leichter Untersicht. Hinter ihm ist ein Dorfplatz mit einer Tribüne für eine Fiesta bereitet, auf der sich das Publikum einfindet. Der Mann ist Juan Belmonte, der berühmteste Torero seiner Zeit, geboren 1892 in Sevilla; vielen Anhängern der corrida de toros gilt er noch immer als der größte aller Stierkämpfer. Wer heute durch Sevilla streift, wird im Stadtteil Triana, wo er geboren wurde, ein Denkmal für Belmonte finden.

Ignacio Zuloaga hat 1924 ein lebensgroßes Porträt seines engen Freundes gemalt, es ist eines von insgesamt fünf, in einem silbrig-grünen Kostüm, in den Händen seinen reich bestickten Umhang. Von diesem gleitet der Blick zurück auf Belmontes Gesicht. Was mag seine ernste Miene zeigen? Ist das ein beinah grimmiges Lächeln auf seinen Lippen, voller Entschlossenheit? Ist es das Wissen um die Begegnung mit dem Stier, die immer neue Konfrontation mit dem Tod? Oder liegt in seinen Zügen gar der Beginn eines Überdrusses an dem blutigen Spiel?

Der Stierkampf und seine Akteure, die Toreros, die Picadores, sind ein Paradesujet des am 26. Juli 1870 im baskischen Eibar in eine Familie von Kunsthandwerkern geborenen Malers. Sein Vater war Damaszierer, er verzierte Stahl mit filigranen Mustern, und Waffenschmied. Für Zuloaga war der Stierkampf von Jugend an eine Passion. Zahlreiche seiner Gemälde sind der corrida gewidmet, nicht im Ambiente der berühmten Arenen, sondern in der Tradition fürs Volk, für die kleinen Leute auf dem Land, in Andalusien oder Kastilien. Er zelebrierte nicht die Fiesta unter strahlender Sonne, sondern gab ihr den Ernst des archaischen Rituals zurück. Auch den geschundenen, damals völlig ungeschützten Pferden galt sein Blick, wie auf „Das Opfer der Fiesta“ von 1910 mit dem Picador als bejammernswerte Don-Quichotte-Gestalt. Und er schuf großartige Charakterstudien voller Stolz und Zweifel, Mut und Furcht, wie die „Jungen Toreros in Turégano“ von 1912/1915 oder „Junge Toreros aus dem Dorf“ aus dem Jahr 1906.

Ignacio Zuloaga Kunsthalle München
Spaniens alte Meister waren der größte Einfluss in der Kunst von Ignacio Zuloaga. „Die kleinwüchsige Doña Mercedes“ (1899) erinnert an Diego Velázquez’ „Las Meninas“. © bpk, RMN - Grand Palais, Hervé Lewandowsk

In der Kunsthalle München ist jetzt die Ausstellung „Mythos Spanien – Ignacio Zuloaga“ zu betrachten. Zuloaga gehört zur klassischen Moderne Spaniens, wenngleich nicht zu deren heute berühmten Vertretern wie Picasso, Joan Miró oder auch Salvador Dalí. Doch am Beginn des 20. Jahrhunderts erlangte er internationalen Erfolg. Er steht damit neben seinem 1863 in Valencia geborenen Landsmann Joaquín Sorolla, dem die Kunsthalle 2016 eine Schau widmete. Die beiden Künstler bilden so etwas wie die zwei Seiten einer Medaille: Während Sorolla mit seinen sonnengefluteten Strandbildern als der Meister des Lichts gilt, suchte Zuloaga die dunkle Seite seines Heimatlands, in der er das wahre Spanien, die „spanische Seele“ verkörpert sah. Die Präsentation von rund neunzig Gemälden, darunter private Leihgaben aus Spanien, Frankreich, Italien, Schweden, Deutschland, Mexiko, Argentinien und den Vereinigten Staaten, soll den Maler, der das Bild Spaniens in Europa, dann auch in Amerika einst maßgeblich mitprägte, ins allgemeine Gedächtnis zurückbringen.

Zuloaga orientierte sich – in seiner Malweise wie bei seinen Sujets – an den spanischen alten Meistern, allen voran El Greco, Diego Velázquez und Francisco de Goya; es ließen sich dazu Jusepe de Ribera und Francisco de Zurbarán erwähnen. Die Kuratoren in München, Nerina Santorius und Carlos Alonso Pérez-Fajardo, rücken den auch in dieser Hinsicht eher dunklen Zuloaga ins Licht, etwa als Fortführer der „Schwarzen Gemälde“ Goyas. Wie für die alten Spanier wurden auch für ihn die Zerlumpten und die Büßer, die Kleinwüchsigen und die Bettler bildwürdig: Velázquez’ „Las Meninas“ waren gewiss ein Vorbild für sein eindrucksvolles Porträt der „Kleinwüchsigen Doña Mercedes“, das 1899 entstand. Als Zuloaga 1907 einen „Anachoreten“ im Büßergewand malte, mutet dieser samt Himmel hinter ihm wie ein Wiedergänger aus einem Bild El Grecos an. Auch religiöse Motive griff er auf, wie den gelängten Kruzifixus mit überlangen Haaren, die sein Gesicht verhüllen, im Kreis von sehr gegenwärtigen männlichen Gestalten – auch dieses Tableau von El Grecos Gnaden.

Ignacio Zuloaga Kunsthalle München
Vom Stierkampf war Zuloaga so begeistert, dass er selbst in der Arena antrat. Zu den zahlreichen Motiven des Themas gehört auch „Junge Toreros aus dem Dorf“ (1906). © Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid

Der knapp zwanzigjährige Zuloaga war 1889 oder 1890 nach Paris gekommen, dem damaligen Hotspot der Kunst, wo er seine in Madrid begonnene Malereiausbildung fortsetzte. Er fand Kontakt zu Kollegen wie Paul Gauguin, Edgar Degas oder dem nur sechs Jahre älteren Henri de Toulouse-Lautrec, und er konnte in ersten Gruppenschauen seine Werke zeigen.

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