Kapwani Kiwanga

Das Ende des Horizonts

Das Kunstmuseum Wolfsburg präsentiert die raumergreifenden Werke der kanadisch-französischen Künstlerin Kapwani Kiwanga in ihrer weltweit ersten Retrospektive

Von Felix von Boehm
25.09.2023

Ein blühender Zweig mit blutroten Blüten in einer quittegelben Kammer; eine scheinbar unendliche Abfolge niemals verglimmender Sonnenuntergänge; ein monumentaler meterhoher Torbogen, der mit frischen und duftenden Eukalyptus-Zweigen geschmückt wurde. Kapwani Kiwangas Bilder entstehen im Raum – und sie prägen sich ein wie der Blick zum Horizont. Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet der kanadischen Künstlerin, die im nächsten Jahr den kanadischen Pavillon auf der Venedig-Biennale gestalten wird, in diesem Herbst ihre weltweit erste Retrospektive.

In dieser Zusammenschau wird vor allem die ebenso berührende wie kluge Herangehensweise der Künstlerin deutlich, die sich wie ein roter Faden durch ihr Œuvre zieht, in dem Performances, Installationen unterschiedlichster Materialien und Videokunst zusammenkommen: Kiwanga wählt sich höchst komplexe Themen aus unserer Gesellschaft, wie  etwa staatliche Überwachungsstrategien oder kolonial bedingte Migration von Pflanzen und erschließt sie durch höchst ästhetische Bildideen. Das künstlerische Objekt fungiert dabei als Verweis auf einen größeren Bedeutungszusammenhang. Es wird zum verführerischen Platzhalter, das seine Betrachter dazu bringt, sich mit den dahinter liegenden Themen zu beschäftigen. 

Kapwani Kiwanga Kunstmuseum Wolfsburg
Kapwani Kiwanga, „Flowers for Africa“, 2012. Courtesy die Künstlerin und Goodman Gallery, Johannesburg, Kapstadt, London / Galerie Poggi, Paris / Galerie Tanja Wagner, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Marc Domage

Es überrascht daher nicht, dass Kiwanga zunächst Anthropologie und Religionswissenschaften studierte und Dokumentarfilme realisierte. Ihre Videoarbeit „The sun never sets“ (2017) etwa spielt mit dem kontemplativen Reiz des Sonnenuntergangs und verweist gleichzeitig auf die britische Kolonialgeschichte: Die unterschiedlichen darin gezeigten Sonnenuntergänge wurden alle in ehemaligen britischen Kolonien aufgezeichnet, und der Titel der Arbeit erinnert an den Spruch „The sun never sets on the British Empire“ aus dem 19. Jahrhundert. Ein anderes Beispiel für die von Kiwanga angewandte Strategie des Verweises ist die performative Arbeit „Flowers for Africa“, die sie seit 2013 kontinuierlich weiterentwickelt: In öffentlichen Archiven sucht sie nach fotografischen Dokumentationen entscheidender Momente der Unabhängigkeitsprozesse in verschiedenen afrikanischen Ländern.

Die ihrer Arbeit zugrundeliegenden Fotografien, die wichtige Konferenzen oder Unabhängigkeitserklärungen festhalten, enthält sie uns vor – ausgestellt werden lediglich die auf diesen Fotografien enthaltenen Blumenbouquets, die sie wie in einer ewigen Performance-Arbeit immer wieder von lokalen Blumenhändlern an ihren Ausstellungsorten binden lässt und die im Laufe der Ausstellung verwelken werden wie eine verblassende Erinnerung. Dabei bleiben die Bouquets stets nur eine Annäherung, denn die Verfügbarkeit bestimmter Blumen hängt naturgemäß vom jeweiligen Standort ab. 

Kapwani Kiwanga Kunstmuseum Wolfsburg
Kapwani Kiwanga, „The Marias“, 2020. Courtesy die Künstlerin und Goodman Gallery, Kapstadt, Johannesburg, London / Galerie Poggi, Paris / Galerie Tanja Wagner, Berlin, Collection Institut d’art contemporain, Villeurbanne/Rhône-Alpes Remai Modern Collection Fondation LUMA Collection © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Marek Kruszewski

Die vielleicht berührendste Arbeit der Ausstellung ist die frühe Videoarbeit „Vumbi“ (2012): Sie zeigt die Künstlerin in Tansania, dem Herkunftsland ihres Vaters, wie sie während der Trockenzeit die einzelnen Blätter eines vollständig von rotem Sand bedeckten Baumes mit einem Schwamm abwäscht, sodass nach und nach inmitten der Rottöne das Grün der Blätter wieder zum Vorschein kommt – bis der nächste vorbeibretternde Lkw Künstlerin und Baum erneut in eine rote Staubwolke hüllt. Doch die junge Frau gibt nicht auf und beginnt von Neuem und trotzt mit ihrer Fürsorge der scheinbaren Vergeblichkeit. Auf den Ausstellungstitel angesprochen und gefragt, ob sie den Horizont vermessen wolle, lächelt sie und entgegnet: „Jeder von uns kennt den Horizont und den faszinierenden Gedanken, dass die Welt dort scheinbar zu Ende sein soll, und das, obwohl es so aussieht, nicht so ist. Aber für jeden von uns ist der Horizont zu unterschiedlichen Momenten unterschiedlich weit.“ Möge Kapwani Kiwange uns noch an viele Horizonte (ver-)führen.

Service

AUSSTELLUNG

„Kapwani Kiwanga. Die Länge des Horizonts“

Kunstmuseum Wolfsburg,

bis 1. Juli 2024

kunstmuseum.de

 

Zur Startseite