Lee Lozano in Turin

Die mit dem Hammer malte

Eine Retrospektive in Turin versammelt Arbeiten von Lee Lozano, einer Legende des gelebten Ungehorsams. Ihr nur ein Jahrzehnt umfassendes Werk reicht von Figuration über Abstraktion bis zur Konzeptkunst

Von Alexandra Wach
21.03.2023

Der Frauentorso war eine gezielte Provokation. Das Bild von 1866 zeigt eine nackte Frau, die Schenkel gespreizt. Und im Zentrum des Aktes von Gustave Courbet ist das schwarze Dreieck der Scham zu sehen, eine naturalistische Wiedergabe des weiblichen Geschlechts, dem der Maler den Titel „Der Ursprung der Welt“ gab. Er versteckte es lange im eigenen Atelier vor den Blicken der Besucher. Gerüchte über die als pornografisch geltende Darstellung machten trotzdem die Runde. Heute hängt das Gemälde im Pariser Musée d’Orsay.        

Es gibt nicht viele Künstlerinnen, die so sarkastisch auf die einstige Skandal-Vulva geantwortet haben wie Lee Lozano. 1962 griff sie das Motiv auf. Da war sie gerade 32 Jahre alt. Die Schamlippen ersetzte in ihrer Version ein Münzschlitz. Eine Hand im Vordergrund warf eine Münze in den lebenden Sexautomaten ein. Ein Akt der Machtausübung und zugleich der Unterwerfung eines Körpers, der zur Maschine degradiert wird.

Lee Lozano Vulva Münzautomat
Lee Lozanos sarkastische Antwort von 1962 auf Gustave Courbet Skandal-Vulva. © Courtesy Hauser & Wirth Collection Services

In der von Sarah Cosulich und Lucrezia Calabrò Visconti kuratierten Retrospektive „Strike“ in der Pinacoteca Agnelli hängt das eigenwillige Zitat in einem Raum mit großformatigen Porträts von Messern, Pistolen, aus deren Öffnungen Phalli heraushängen, und Brüsten, die in Verpackungskartons stecken. Aus anderen Körperteilen schießen Flüssigkeiten heraus, eine Farbtube wird auf einer Hand ausgedrückt. Im Gegensatz zur erhabenen Vision abstrakter Malerei eines Jackson Pollock sah Lozano ihren figurativen Ansatz als Einladung zum schmutzigen Farbgebrauch, ähnlich den Ausdünstungen des eigenen Körpers, weshalb sie sich als Malerin bezeichnete, „deren Eingeweide hervorragend funktionieren“.

Es ist einer von sieben Sälen, in denen man in den Genuss ihres absichtlich rohen, radikalen und traditionell männlich konnotierten Stils kommt. Es steckt jede Menge Wut und schwarzer Humor in diesen kalkulierten Entgleisungen. Sie beginnen bereits ganz am Anfang in den Zeichnungen, als Lozano im Kreis von Minimalisten und Konzeptkünstlern wie Carl Andre, Dan Graham, Robert Morris oder Sol LeWitt verkehrte. In den comicartigen Darstellungen treffen Körperteile, Werkzeuge, technische Geräte und Slogans aufeinander. Ganze Reihen von Penisspitzen hängen hier als Auftakt, eine groteske Sammlung von expliziten Trophäen unter dem Slogan „finally cut them off“, die sich in der Fülle zu einer anarchischen Offensive gegen die Vorherrschaft des Patriarchats aufbäumt und sich zugleich über das Tabu männlicher Geschlechtsteile in Museen lustvoll hinwegsetzt. 

Lee Lozano Hammer
Das Werkzeug als Phallussymbol: ein monumentaler Hammer, mit Öl auf Holz gebannt. © The Estate of Lee Lozano. Courtesy Hauser & Wirth

Aber wie wurde Leonore Knaster, so ihr richtiger Name, zu dieser kompromisslosen Außenseiterin? Sie arbeitete nach ihrem Philosophie- und naturwissenschaftlichen Studium in Chicago von 1952 bis 1956 bei der Container Corporation of America. Hier lernte sie ihren späteren Mann, den Designer und Architekten Adrian Lozano kennen. 1957 wechselte sie ans Chicago Art Institute. Hier entwickelte sie ihre Vorliebe für sexuell aufgeladenen Motive und den Willen zur Zerschlagung von starren Systemen.

Nach der Trennung von ihrem Mann zog sie 1961 nach New York und konzentrierte sich auf die offensiven Papierzeichnungen mit Bleistift, Ölkreide und Tusche. In ihren „Tool Paintings“ verband sie dann Werkzeuge mit Anspielungen auf Voyeurismus, und sexuelle Gewalt. Kreuzungen aus Mensch und Schraubstock tauchten auf, Münder mit spitzen Zähnen und monströse Schwellungen. Es kamen Wortspiele dazu, als satirische Form der Opposition. Lozano wollte verstören, suchte die Grenzüberschreitung, auch in den absurden Serien von Flugzeug-Bildern, wieder Maschinen, die sich mit Nasen und Mündern zu Cyborgs paaren. 

Lee Lozano Schreibmaschine
Die provokative Schreibmaschine malte Lee Lozano im Jahr 1962. © The Estate of Lee Lozano. Courtesy Hauser & Wirth

Mitte der Sechziger wurde sie ihrer Exzesse offenbar selbst überdrüssig und wechselte zur minimalistischen Abstraktion. Die farbreduzierten Großformate fokussieren auf perfekte Kegel, Schrauben und Gewinde. Die metallischen Instrumente haben jetzt auch rätselhafte Titel wie Spinne, Gauner, Tausch oder Schuss. Inmitten der zunehmenden Politisierung von Kunst war Lozano ein Jahrzehnt am Kunstgeschehen beteiligt, hatte Ausstellungen und verkaufte ihre Werke an öffentliche und private Sammlungen.              

Versagen war also nicht der Grund für ihren Ausstieg aus dem ihr verhassten, da kompetitiven Kunstzirkus. Eher die Lust am Extremen, wozu ein maßloser Drogenkonsum ebenso gehörte wie die Spekulation an der Börse, die sie spöttisch zum Kunstprojekt „Investment piece“ deklarierte. Ähnlich wie ihre Weigerung, jemals wieder mit Frauen zu sprechen. Um anzuprangern, dass diese in der Welt irrelevant und machtlos sind? Oder nur eine der vielen Inszenierungen einer Provokation?

Ihren so beiläufigen wie konsequenten Rückzug dokumentierte Lozano in rund 50 tagebuchartigen „Language Pieces“. Sie quellen über von bibliografischen Anmerkungen, Anweisungen und Beschreibungen. „Verwandle dich in ein Gas, in eine aktive Ladung, in Kraft“, liest man da. Oder man möge jede Teilnahme an Versammlungen, die mit der Kunstwelt zu tun hätten, aufgeben zugunsten einer persönlichen und öffentlichen Revolution. Sie fantasierte nicht nur, sondern streikte tatsächlich, verweigert das höchste kapitalistische Gut: die Arbeit. Drei Jahre später war Lozano nicht mehr auffindbar. 1999 starb sie in Dallas verarmt an Krebs. Ihr Grab trägt keinen Namen – eine letzte ultimative Performance der Ich-Auflösung.     

Lee Lozano Selbstporträt
Ein Selbstporträt auf Papier aus dem Jahr 1959. © The Estate of Lee Lozano. Courtesy Hauser & Wirth, Foto: Stefan Altenburger Photography Zürich

Heute wird ihr Verschwinden als „ihr größtes Kunstwerk überhaupt“ gefeiert. Lozano ist eine Legende und provoziert nach ihrer Wiederentdeckung in den 1990er-Jahren weiterhin wahlweise heroische oder tragische Lesarten. Hauser & Wirth, eine der einflussreichsten und finanzstärksten Galerien der Welt, vermarktet inzwischen ihren Nachlass. Und wenn man bedenkt, warum sie sich so rigoros aus dem Kunstbetrieb verabschiedet hat, könnte man auch eine Ausstellung wie „Strike“ im Privatmuseum der Fiat-Industriellenfamilie als posthume Aufhebung ihrer Kunstpraxis deuten, zumal sie im September auch noch in die Räume der privaten Collection Pinault in Paris wandert.

Hat das System über Lozanos Verweigerungstaktik gesiegt? Ihr ergeht es nicht anders als all den anderen ihrer Kombattanten, die dem kommerziellen Kunstmarkt den Rücken mit widerspenstiger Kunst kehren wollten und heute zu Höchstpreisen verkauft werden. Aber die Ambivalenz und Brutalität, auch gegen sich selbst, mit der sie ihren Feldzug betrieb, macht ihr bis heute keiner so schnell nach. Ein Kosmos, den zu betreten es sich immer wieder lohnt. Und die klug konzipierte Schau in Turin ist die beste Gelegenheit dazu.

Service

AUSSTELLUNG

„Lee Lozano. Strike“

Pinacoteca Agnelli, Turin

bis 23. Juli

pinacoteca-agnelli.it

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