Donatello war ein Formerfinder, dessen Wirken über Jahrhunderte in Europas Bildhauerkunst nachhallte. Jetzt feiert Florenz seinen großen Renaissanceschöpfer
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08.03.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 196
Über sein privates Leben ist wenig bekannt, auch gibt es so gut wie keine authentischen Briefe oder Äußerungen von ihm. Aber schon zu Lebzeiten kursierten viele Anekdoten über den bewunderten Künstler, sodass wir eine anschauliche Vorstellung seines Charakters haben. Demnach hatte Donatello ein aufbrausendes Temperament, ständig neue Einfälle und war für seine überraschenden Späße bekannt. Er sagte deutlich seine Meinung, auch wenn sie unbequem war, als berüchtigt galten seine Scharfzüngigkeit und sein ironischer Witz. Für sich selbst hatte er wenig Bedürfnisse, war nicht am Luxus interessiert, dafür aber großzügig zu seinen Mitarbeitern und auch zu Armen. Gegenüber Auftraggebern verteidigte er selbstbewusst seine Position und ließ sie zuweilen lange auf die Erfüllung ihrer Wünsche warten. Immer wieder blieben bestellte Werke unvollendet, was übrigens später auch für Leonardo charakteristisch war. Doch schonte sich Donatello nicht, sondern arbeitete intensiv und schnell, wodurch sich die vielen Werke erklären, die eindeutig von ihm stammen oder sich mit ihm in Verbindung bringen lassen.
Einiges spricht dafür, dass Donatello neben der Steinmetzlehre auch eine Ausbildung zum Goldschmied absolvierte. Zwischen 1404 und 1407 arbeitete er nachweislich in der Werkstatt von Lorenzo Ghiberti, der den berühmten Wettbewerb um die Bronzetüren im Dombaptisterium gewonnen hatte. Womöglich reiste Donatello in dieser Zeit mit seinem Freund Brunelleschi nach Rom. Der nicht ganz sichere Hinweis darauf ergibt schon dadurch Sinn, dass die sichtliche Antikenkenntnis bereits in seinen frühesten erhaltenen Werken eigentlich nur durch Anschauung in der Ewigen Stadt erklärbar ist.
Künstlerisch fassbar wird Donatello ab 1406 durch seine Arbeit für die Dombauhütte. Die Ausstattung der Kathedrale und des Baptisteriums war seit dem 14. Jahrhundert die große Arena der Florentiner Bildhauer, und nirgendwo sonst wie vor den Originalen im Museo dell’Opera del Duomo lässt sich so eindrucksvoll nachvollziehen, wie sich aus der Spätgotik nach 1400 die Innovationen der Frührenaissance entwickelten. Der Marmor-“David“, der 1407/08 für einen Strebepfeiler am Chor entstand, ist in der Haltung aus Standbein und Spielbein (Kontrapost), aber auch mit den klassischen Zügen des Gesichts, dem antikischen Gewand und der Frisur unverkennbar nach römischen Vorbildern gestaltet. Doch schon hier zeigt sich, dass Donatello die Antike nicht zitiert, sondern mit ihrer Erfahrung zu einem neuen Realismus und der Darstellung von Individualität kommen will. Die Statue gewinnt zunehmend an Autonomie von ihren Fassadennischen und Tabernakeln. In immer rascherer Folge gelingen dem Künstler eindringliche Charakterstudien und körperliche Präsenz, wie sie die kunstsinnigen Florentiner noch nicht gesehen hatten. Sein Ehrgeiz ist groß, denn wenn er die Antike aufgreift, dann will er sie mit seinem neuen Menschenbild auch übertreffen.
Donatellos erstes Meisterwerk von epochaler Bedeutung ist der „Heilige Georg“, 1416/17 realisiert und heute im Bargello zu sehen. Im Auftrag der reichen Zünfte lieferten sich die besten Bildhauer der Stadt an den vier Fassaden der Kirche Orsanmichele einen Kunstwettbewerb, wie ihn die Florentiner damals liebten. Fest auf der Erde stehend und als römischer Ritter gekleidet, schaut der attraktive junge Mann konzentriert und entschlossen seinen Herausforderungen entgegen: kein entrückter Heiliger, sondern ein diesseitiger, sinnlicher Mensch, der zugleich die Würde der Geschichte verkörpert. Für den Sockel des rahmenden Tabernakels schuf Donatello das erste seiner narrativen Reliefs. Mithilfe der von Brunelleschi entwickelten Zentralperspektive und des von ihm selbst erfundenen rilievo schiacciato, der in der Flachheit des Reliefs zur Tiefenräumlichkeit „gequetschten“ Komposition, gelangte er zu einer Erzähldramatik, von der die Bildhauerkunst noch Jahrhunderte später bis hin zu Rodin zehren sollte. Mit dem neuen Menschenbild, der Antikenrezeption und den innovativen Erzählstrukturen war die Florentiner Skulptur des frühen Quattrocento der Malerei um zwanzig Jahre voraus, sie ist der eigentliche Nukleus der neuen Kunst. Zu Recht wird die Ausstrahlung Donatellos auf das 15. Jahrhundert bis hin zu Michelangelo und Raffael einen gewichtigen Teil in der Ausstellung einnehmen.
Donatello hatte selbst keine große Bildung, war aber mit Humanisten befreundet und griff ihre Ideen auf, etwa bei der Wiederbelebung der antiken Putti oder spiritelli, wie sie in Dokumenten zu seinen Aufträgen heißen. Die geflügelten, meist nackten Engelknaben bevölkern viele seiner religiösen wie profanen Werke, besonders extravagant an der Sängerkanzel für den Dom, wo sie in gegenläufiger Staffelung hinter Mosaiksäulen tanzen. Hier und in der ebenfalls in den 1430ern entstandenen „Cavalcanti-Verkündigung“ in Santa Croce ist die Antikennähe auf die Spitze getrieben. Aber Donatello blieb nie stehen. „Er war der Picasso des 15. Jahrhunderts. Er hat sich ständig verändert“, sagt Neville Rowley, der Kurator der Berliner Ausstellungsstation. Klassische Idealität und Schönheitskult wechseln mit spätgotischen Rückgriffen und drastischem Realismus bis hin zur expressiv entfesselten Dramatik im Spätwerk. Mit einem Nebeneinander verschiedener Stilmodi muss man bei Donatello immer rechnen, das macht auch die Datierung vieler Werke so schwierig.
Selbst für die berühmteste seiner Statuen, den „David“ aus Bronze, sind viele Fragen offen. Seit vielen Jahrzehnten streiten sich die Kunsthistoriker, warum der siegreiche Held bis auf Stiefel und Hut nackt erscheint. Und warum als knabenhafte Gestalt mit androgynen Zügen? Donatello war nicht verheiratet, und schon lange wird seine Homosexualität vermutet. Dass hier Erotik eine wichtige Rolle spielt, lässt sich kaum leugnen, aber in welche Programmatik das tatsächlich passt, ist trotz vieler gelehrter Abhandlungen, gespickt mit Verweisen auf Humanistenschriften, nie so recht ersichtlich geworden. Der nackte David, der fast zärtlich seinen linken Fuß auf Goliaths abgeschlagenen Kopf stellt, ist immer noch ein großes Rätsel der Kunstgeschichte. Fest steht nur, dass Donatello mit ihm die Skulptur endgültig von der Architektur löste: Es ist die erste frei stehende Statue seit der Antike. Genauso realisierte er in Padua zum ersten Mal seit der Römerzeit (und dem Mark Aurel auf dem Kapitol) mit dem Monument des Feldherren Gattamelata ein gewaltiges Reiterbildnis aus Bronze. In seinen zehn Jahren in Padua, 1443 bis 1453, verwirklichte er außerdem in der Kirche des heiligen Antonius einen Altar aus Bronzefiguren und -reliefs in bis dahin unbekannter Dimension.
Wohin man also blickt bei Donatello, weht einem der Atem der Superlative und der großen Kunstgeschichte entgegen. Dabei liegt die Bedeutung dieses Miterfinders der Neuzeit oft in kleinen Details: in Locken, Pausbäckchen und anderen Körperrundungen, in Sehnen, Muskeln, Gesichtsfurchen, Bartstoppeln, den haarfeinen Linien der Reliefs und vielem mehr. Es ist eine Kunst des Lebens.
„Donatello. The Renaissance“,
Palazzo Strozzi und Museo Nazionale del Bargello, Florenz,
19. März bis 31. Juli
palazzostrozzi.org
„Donatello. Erfinder der Renaissance“,
Gemäldegalerie, Berlin,
2. September bis 8. Januar 2023
smb.museum