Walt Disney im Metropolitan Museum

Cinderellas Rokoko

Eine Ausstellung im Metropolitan Museum in New York fördert in der Zusammenstellung von Walt Disneys Bildwelt und Rokoko-Objekten erstaunliche Parallelen zutage

Von Felix von Boehm
24.01.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 195

Vor fast hundert Jahren gründete Walter Elias Disney in Hollywood seine Walt Disney Company, um Zeichentrickfilme zu produzieren. Wer hätte sich damals träumen lassen, dass sie heute als Medienunternehmen und Betreiber von Freizeitparks einen Jahresumsatz von 17 Milliarden Dollar erwirtschaften würde? Eine kleine Gouache, die Walt Disney für den Zeichentrickfilm „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ auf Celluloid anfertigen ließ, ging schon 1937 in die Sammlung des Metropolitan Museum ein und ist jetzt Teil der aktuellen Ausstellung, die Disneys Beziehung zur Kunstgeschichte untersucht und dabei insbesondere einen Bogen ins französische Rokoko schlägt: Möbel, Silber, Uhren, Tapisserien, Porzellan, Malerei und Grafik wurden vom Kurator Wolf Burchard und seinem Team zusammengetragen, um erstaunliche Verwandtschaften zu zeigen.

Disney war noch ein Teenager, als er kurz nach dem Ersten Weltkrieg im Dezember 1918 zum ersten Mal nach Frankreich kam, um für ein knappes Jahr als Fahrer für das Rote Kreuz zu arbeiten. Die Kultur des alten Europa hinterließ einen tiefen Eindruck. Nach seiner Rückkehr legte er in seinem Studio in Los Angeles für seine Zeichner und Grafiker einen mehr als 300 Kunstbände umfassenden Handapparat an, der zahlreiche Schöpfungen und Bildideen inspirieren sollte. 1935 kehrte er – mit einer Filmkamera – nach Europa zurück und dokumentierte seine Eindrücke vom Spiegelsaal in Versailles und anderen Schlössern und Parks in Frankreich, England und Deutschland.

Direkt am Eingang der Ausstellung bieten diese Aufnahmen einen sehr persönlichen Einblick in Disneys Faszination, die ihren Niederschlag schon früh in Filmproduktionen findet, seien es die zum Leben erweckten Rokoko-Porzellanfiguren in den Kurzfilmen „The Clock Store“ (1931) und „The China Shop“ (1934), die architektonischen Bezüge im Musical „Cinderella“ (1950) oder im erst 1991 produzierten Kultfilm „Die Schöne und das Biest“ mit seiner unverkennbaren Hommage an Fragonards „Schaukel“ von 1767.Auch wenn ein Vierteljahrtausend zwischen der Entstehung des Gemäldes am französischen Hof und dem Animationsfilm liegen, bemühen sich beide Werke gleichermaßen um Bewegung und Emotion. In diesem Bestreben liegt auch das entscheidende inhaltliche Scharnier zwischen dem Kosmos von Walt Disney und dem vor kreativen Bilderfindungen strotzenden Rokoko: In beiden Welten ist die Kraft der Fantasie am Werk, die Unbewegtes in Bewegung versetzt und unbelebten Objekten Leben einhaucht.

Mittelalterliche Bildteppiche, geschwungene Rokoko-Kerzenhalter, Uhren und Porzellan finden sich mit Filmclips und Disney-Zeichnungen in einer Ausstellungsarchitektur wieder, die sich mit geschwungenen und gestaffelten Laibungen selbst an den Innenräumen des Disney-Schlosses orientiert. Einen Höhepunkt der Schau stellt eine Vitrine dar, in der zwei Étienne-Maurice Falconet zugeschriebene Sèvres-Turmvasenpaare präsentiert sind. Sie wurden zum ersten Mal seit rund 250 Jahren wieder zusammengeführt. Die Bemalung des Porzellans in Violett und Magenta erinnert ebenso an Disneyland wie an die Architektur von Schloss Neuschwanstein, die wichtigste Inspiration für Walt Disneys ersten Freizeitpark und das bis heute erhaltene Signet seiner Marke. „Im Rokoko wurden Objekte dazu entworfen, ihre Betrachter zu erfreuen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als Schönheit und Oberflächenreize, die eine emotionale und keine intellektuelle Reaktion hervorrufen möchte“, betont der Kurator Wolf Burchard.

Was die populären Animationsfilme aus dem 20. Jahrhundert vom höfischen Kunsthandwerk des 18. Jahrhunderts grundlegend unterscheidet, ist der Entstehungskontext: Während die dekorativen Künste im Paris des Rokokos Objekte für eine kleine europäische Elite hervorbrachten, ging es bei Disney stets darum, ein größtmögliches Publikum zu erreichen. Dieses Bestreben der Demokratisierung künstlerischer Welten wusste der Patriarch und Studioboss Walt Disney in bester kapitalistischer Manier mit der Vermehrung seines persönlichen Vermögens in Einklang zu bringen. Als Sammler konzentrierte er sich übrigens auf illustrierte Kinderbücher und Puppenstubenmöbel – auch davon sind in der New Yorker Ausstellung bezaubernde Beispiele zu sehen.

Service

Ausstellung

„Inspiring Walt Disney – The Animation of French Decorative“,

Metropolitan Museum of Art, New York,

bis 6. März

metmuseum.org

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