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Stille Schönheit

Florenz entdeckt die Könnerschaft von Andrea del Verrocchio aufs Neue. Der Renaissancekünstler war viel mehr als nur Leonardos Lehrer

Von Petra Schaefer
10.05.2019

Warmes Licht fällt von allen Seiten auf den etwas rustikal gebetteten Beau. Und so kann man wunderbar studieren, wie an seiner Vorderseite einzelne Körperteile detailreich herausgearbeitet wurden, während die Rückseite nur grob herausgestrichen ist. Offenbar war die Terrakottaskulptur als Übungsobjekt nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Und doch beweist der „Schlafende Jüngling“ (um 1465–1475) unseren heutigen Augen, wie meisterhaft in der Werkstatt von Andrea del Verrocchio die plastische Gestaltung geübt wurde. 

Der Bozzetto kam jetzt aus dem Bode-Museum nach Florenz, und Neville Rowley, Kurator der frühitalienischen Kunst in der Skulpturensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, veranlasste in Vorbereitung eine Reinigung der Plastik, was zur Abnahme einer wohl im 18. Jahrhundert ausgeführten wächsernen Patina führte. In Florenz ist das Werk erstmals in der früheren Fassung mit einem dunkelbraunen Hautton zu sehen, wodurch seine Qualitäten sehr gut erkennbar werden.

Verrocchio tritt aus dem Schatten Leonardos

Der Bozzetto ist nur ein Höhepunkt in der Retrospektive zum Wirken des um 1435 in Florenz geborenen und 1488 in Venedig gestorbenen Goldschmieds, Bildhauers und Malers Andrea del Verrocchio. Der Palazzo Strozzi und das Bargello-Museum zeigen eine Vielzahl von Reliefs, Porträtbüsten, Vollplastiken und Kruzifixen bis hin zu Zeichnungen, Kartons, Gemälden und sogar einem Fresko-Fragment des Meisters und untersuchen erstmals seinen Einfluss auf seine Zeitgenossen und Schüler. Der Kunstbiograf Giorgio Vasari bescheinigte Verrocchio in seinen Viten zwar eine große technische Begabung, kritisierte aber seine „harte und krude Manier“. Dieses Urteil führte dazu, dass Verrocchio als Maler im Panorama der Florentiner Renaissance lange im Schatten anderer Künstler wie Filippo Lippi, Sandro Botticelli oder Domenico Ghirlandaio stand. Nun räumt man mit diesem Vorurteil auf. 

Allerdings wirbt der Ausstellungstitel „Verrocchio – der Lehrer Leonardos“ doch wieder mit dem zwanzig Jahre jüngeren und weitaus berühmteren Universalgenie: Zum 500. Todestag von Leonardo da Vinci bietet sich ein Einblick in die Werkstattpraxis der Frührenaissance. Der Dialog von Verrocchio-Werken mit Leonardo-Zeichnungen besticht etwa beim Vergleich von Verrocchios anmutiger Marmorbüste „Dame mit Blumen“ (um 1475) aus dem Bargello-Museum – die mit der Einführung der Hände ein absolutes Novum darstellt – und einer Handstudie von Leonardo aus der Royal Collection. 

Wie eng Verrocchio und Leonardo Mitte der 1470er-Jahre verbunden waren, kann man an der kleinen Vorzeichnung für eine Fahne mit Venus und Cupido (um 1474) aus den Uffizien nachvollziehen. Die Leonardo-Expertin Carmen C. Bambach sagt, dass in diesem präzisen Moment Verrocchio und Leonardo künstlerisch fast untrennbar miteinander verwoben seien. Und dies, obwohl Bambach aufgrund einer technischen und stilistischen Analyse davon ausgeht, dass zunächst Verrocchio und erst dann Leonardo an dieser Zeichnung gearbeitet hat.

Umstrittene Neuzuschreibung

Die Schwierigkeit, exakte Autorschaft zu bestimmen, manifestiert sich auch in einer so spektakulären wie in der Kunstwissenschaft noch umstrittenen Neuzuschreibung an Leonardo: Die Terrakotta-Kleinplastik „Madonna mit lachendem Kind“ von 1472, die das Londoner Victoria and Albert Museum als Arbeit von Antonio Rossellino führt, wird von den Kuratoren als ein Werk Leonardos präsentiert, das in seiner Zeit als Verrocchio-Schüler entstanden ist. Dass er auch plastisch experimentierte, ist überliefert: Laut Vasari habe Leonardo in seiner Jugend einige lächelnde Frauen- und Puttenköpfe geschaffen. Die Florentiner Kuratoren begründen seine Autorschaft mit dem flüchtigen Lächeln der Madonna, der lebhaften Gestik des Christuskindes und dem Faltenwurf mit seinem bestechenden Chiaroscuro-Effekt.

Unbestritten ist hingegen Verrocchios kühner Beitrag für eine Nische in der Ostfassade der Kirche Orsanmichele in Florenz mit der Figurengruppe „Christus und der ungläubige Thomas“ (zwischen 1467 und 1483). Aus konservatorischen Gründen in den Achtzigerjahren abgebaut, rekonstruiert das Bargello-Museum nun eine nischenähnliche Aufstellung, um ihren raumgreifenden Eindruck noch einmal zu evozieren. Ein Zeitgenosse vermerkte, der Jesus in Bronze sei die schönste Sache, die man nur finden könne, und sein Kopf der wunderbarste, der je geschaffen worden sei.

Dass Verrocchio neben seiner beeindruckenden Tätigkeit als Bildhauer auch als Maler mit seinen Zeitgenossen konkurrieren konnte, macht ihn zu einem der interessantesten Vertreter der Florentiner Renaissance. Und so fällt es sehr schwer, den Kuratoren darin zu folgen, dass ausgerechnet die um 1470 datierte „Ruskin Madonna“ aus Edinburgh doch nicht von ihm, sondern von Domenico Ghirlandaio stammen soll. Denn die Monumentalität von Madonna und Christuskind vor einer exzellent ausgeführten Architekturruine legt im Zusammenhang mit den Skulpturwerken Verrocchios Autorschaft nahe. Dieses grandiose Meisterwerk hätte im Palazzo Strozzi einen größeren Auftritt verdient.

Service

Ausstellung

„Verrocchio – der Lehrer Leonardos“

Palazzo Strozzi & Museo Nazionale del Bargello, Florenz
bis 14. Juli 

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst Nr. 156/2019

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