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Von Baltimore ins Weiße Haus

Ihre Modelle fand Amy Sherald auf den Straßen amerikanischer Großstädte, dann porträtierte sie Michelle Obama. Wie die Künstlerin aus Baltimore über Nacht zur gefragtesten Malerin des Landes wurde

Von Simone Sondermann
16.08.2018

Die meisten Modelle trifft sie auf der Straße. In Georgia oder New York und vor allem in ihrer Nachbarschaft in Baltimore. Kreuzt durch Zufall jemand Faszinierendes ihren Weg, spricht sie die Person an, macht ein paar Fotos, und dann dauert es mitunter Monate, bis die Arbeit im Atelier beginnt. Amy Sheralds Porträts wirken auf den ersten Blick realistisch, doch das Element der Erfindung ist stärker, als es scheint. Vor allem bei der Kleidung. Ob die beiden Mädchen in „The Bathers“ von 2015 wirklich diese Badekleidung trugen? Vermutlich nicht. Der breite gelbe Bikini und der fröhlich gepunktete, aber züchtige Badeanzug erzählen ihre eigene Geschichte. In den Sixties, als sie en vogue waren, durften Schwarze in den USA nicht gemeinsam mit Weißen ins Schwimmbad. Selbst der Pool des Nachbarn war bis zum Civil Rights Act 1964, der die Rassentrennung auf dem Papier beendete, tabu.

Lange dominierte die Hautfarbe alles – ein Grund, warum die Malerin heute der Haut Farbe verweigert. Sie nutzt für Gesichter und Körper nur die Graupalette. Ein anderer liegt in ihrer Begeisterung für historische Fotografien wie das Porträt ihrer Großmutter, das sie beinahe täglich anschaut, „eingefroren in der Zeit und in Schwarz-Weiß“. Amy Sherald ist eine künstlerische Spätstarterin, sie hat früh gelernt, dass das Leben noch größere Herausforderungen bereithält als die Kunst. Vor sechs Jahren musste sich die heute 44-Jährige einer Herztransplantation unterziehen, erst danach begann sie, von ihrer Malerei zu leben. Daher war es eine Überraschung, dass Barack und Michelle Obama ausgerechnet ihr den Auftrag für das offizielle Porträt der First Lady gaben. Als es zu Beginn dieses Jahres in Washington präsentiert wurde, katapultierte dies Sherald in den Fokus der Öffentlichkeit. Derzeit widmet ihr das Contemporary Art Museum St. Louis eine erste Soloschau, nach Jahren bei der Galerie Monique Meloche nimmt sie nun Hauser & Wirth unter Vertrag. Ihr bedächtiges Werk hat seinen Platz in der globalen Kunstwelt gefunden.

Service

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst Nr. 146/2018

Ausstellung

Amy Sherald
Contemporary Art Museum St. Louis
bis 19. August 2018

Crystal Bridges Museum of American Art
1. September bis 31. Dezember 2018

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