Ausstellungen

Die Renaissance der alten Meisterinnen

Spektakuläre Neuentdeckungen wie das Werk der Flämin Michaelina Wautier zeigen: Die Kunstgeschichte hat noch immer blinde Flecken, was den Rang von Malerinnen in Barock und Renaissance betrifft

Von Nina Schedlmayer
08.07.2018

Ganz am Rand eines lebhaften Gelages, bevölkert von Tieren, einem Satyr und kaum bekleideten Männern, steht eine junge Frau. Selbstbewusst richtet sie den Blick auf den Betrachter oder die Betrachterin, während ein ziegenbärtiger Kerl ihr den Arm über die Schulter legt. Sie scheint unbeeindruckt von dem Geschehen um sie herum. Es handelt sich um die Künstlerin, die sich hier abbildete. Das Gemälde „Bacchanal“ der flämischen Barockmalerin Michaelina Wautier aus der Mitte des 17. Jahrhunderts ist ein guter Ausgangspunkt, um sich der Frage zu nähern: Wie steht es um die alten Meisterinnen? Am Kunstmarkt führen sie ein Schattendasein, doch in Museen punkten sie aktuell mit groß angelegten monografischen Ausstellungen: So stellt etwa das Antwerpener Museum aan de Stroom (MAS) diesen Sommer das facettenreiche Œuvre Wautiers vor, das lange Zeit verschüttet war. Wie kam es, dass Künstlerinnen der Renaissance und des Barock – von Sofonisba Anguissola über Clara Peeters bis zu Judith Leyster – so lange übersehen wurden? Wie wurden sie zu Lebzeiten wahrgenommen? Und welche Preise erzielen ihre Werke heute in Auktionen?

Was fasziniert an Michaelina Wautier?

Die Kunst von Michaelina Wautier (1604–1689) kennt wohl niemand besser als die Kuratorin im MAS, das die Schau zusammen mit dem Rubenshuis in Antwerpen ausrichtet: Katlijne Van der Stighelen, Professorin an der Universität Leuven, die von der Künstlerin wie von einer alten Vertrauten spricht. Was fasziniert sie an ihr? „Das Außergewöhnliche ist ihre Vielfalt. Sie befasste sich mit Mythologie, Historienmalerei, Stillleben, Genre und Porträt“, erklärt sie. „Das zeigt, dass sie eine sehr breit angelegte Ausbildung genoss, was sogar bei männlichen Künstlern ihrer Zeit selten war.“ Nicht nur in dieser Hinsicht setzte sich Wautier über alle Regeln hinweg, die ihrem Geschlecht auferlegt waren. So gelang es ihr auch, männliche Akte zu studieren, was für Frauen jahrhundertelang verpönt war.

Vermutlich malte sie gemeinsam mit ihrem Bruder in einem Atelier und erhielt so Zugang zu Modellen. Das Resultat findet sich in erwähntem „Bacchanal“, in dem sich formvollendet nackte männliche Figuren räkeln. Das Gemälde besticht auch durch seine mit 270 mal 354 Zentimetern monumentalen Ausmaße. „Dass eine Künstlerin in dieser Größe malt, war sehr außergewöhnlich. Dazu muss man schließlich auch technisch in der Lage sein“, so Van der Stighelen. Das Bild, heute in der Sammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien, wurde einst durch Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich erworben, gemeinsam mit drei anderen Werken. „Auch das ist exzeptionell an ihr: dass sie Geld verdient hat mit ihrer Arbeit“, betont Van der Stighelen. Für ihr mannigfaltiges Œuvre schöpfte sie aus vielen Quellen.

„Sie arbeitete eklektisch, verarbeitete Einflüsse aus der französischen, flämischen und italienischen Kunst“, so die Kunsthistorikerin. Sie befasst sich bereits seit Jahrzehnten mit Wautier, seit sie einst eher zufällig in der – öffentlich nicht zugänglichen – Sekundärgalerie des Kunsthistorischen Museums auf Wautiers „Bacchanal“ stieß. Erst 2009 wurde das Bild von dort in die Gemäldegalerie zwischen die RubensWerke gehängt. Das zeigt: Die Geschichte weiblicher Altmeistermalerei ist immer auch eine Geschichte der Verdrängung. Das bestätigt ein Blick in die Sammlungen großer Museen. „Viele Kunsthistoriker kennen den Namen von Wautier bis heute nicht“, erzählt Gerlinde Gruber, Kuratorin im Kunsthistorischen Museum. Nach dem Prozentsatz von Künstlerinnen in der Sammlung alter Meister befragt, nennt sie keine Zahl, sondern einige wenige Namen. Gruber hat dafür eine Erklärung: Bei den Habsburgern waren Sujets, die Künstlerinnen häufig malten, schlichtweg nicht sonderlich beliebt. Denn das Spektrum der Malerinnen war oft eingeschränkt: Historiengemälde aus Frauenhand finden sich kaum, umso mehr fokussierten die alten Meisterinnen auf Stillleben und Porträtmalerei; freilich keineswegs aus freien Stücken, sondern aus gesellschaftlichen Gründen, zum Beispiel weil den meisten von ihnen – im Gegensatz zu Wautier – das „unziemliche“ Aktstudium verwehrt war. Diese Beschränkung nahm wesentlichen Einfluss auf ihr Repertoire.

„Es war, als hätte sie nie existiert.“

In der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums finden sich tatsächlich nur wenige Stillleben, auch wenige von Männern. Und doch ist es leicht möglich, dass in den Depots noch Meisterwerke aus weiblicher Hand auf ihre Entdeckung warten. Denn oft wurden die Arbeiten von Künstlerinnen schlichtweg männlichen Kollegen zugeschrieben. Nicht nur die Flämin Wautier wurde vergessen, auch ihre Landsmännin Judith Leyster. Als sie 1660 starb, verschwand ihr Name aus sämtlichen Aufzeichnungen. „Es war, als hätte sie nie existiert“, resümierte die Kunsthistorikerin Frima Fox Hofrichter in einem Ausstellungskatalog über Leyster trocken. Erst mit einem Rechtsstreit um den wahren Schöpfer eines Bildes tauchte ihr Name 1893 wieder auf. Das „Porträt eines Goldschmieds“, datiert ins Jahr 1566 und kürzlich im Wiener Dorotheum versteigert, hielt man lange Zeit für ein Werk von Bernardino Campi. Neueren Erkenntnissen zufolge stammt es von seiner Schülerin: der Renaissancemalerin Sofonisba Anguissola, wie zwei Experten dem Auktionshaus bestätigten. Selbst die – mittlerweile zur Ikone weiblichen Kunstschaffens avancierte – Barockkünstlerin Artemisia Gentileschi wurde Opfer einer Fehlzuschreibung: In ihrem epochalen Gemälde „Susanna und die Alten“ sah man einst ein Werk ihres Vaters, obwohl sie es sogar selbst signiert hatte. Geringschätzung konnte sich aber auch auf andere Art äußern.

Jenes kleinformatige Selbstporträt der Sofonisba Anguissola, auf dem sie sich mit einem kleinen Buch darstellte und das heute in der Gemäldegalerie des Wiener Kunsthistorischen Museums hängt, wurde lange Jahre in der Wunderkammer der Habsburger aufbewahrt: Es wurde nämlich als exotisch empfunden, dass eine junge Frau sich selbst als belesene Künstlerin konterfeite. Dabei erlebten manche Künstlerinnen zu Lebzeiten durchaus Anerkennung und Popularität. Von der Niederländerin Rachel Ruysch ist überliefert, dass ihre Blumenstillleben mehr kosteten als Werke von Rembrandt oder Vermeer. Lavinia Fontana galt im Manierismus als beste Porträtistin Bolognas. Sofonisba Anguissola arbeitete für den kunstsinnigen Philipp II. von Spanien. Und Artemisia Gentileschi war der Star des italienischen Barock. Doch von ihnen allen war nach ihrem Tod lange keine Rede mehr.

Diese aus heutiger Sicht ignorante Haltung hatte häufig mit dem Seltenheitswert von Künstlerinnen zu tun. Frima Fox Hofrichter wies etwa akribisch nach, wie das Werk Judith Leysters einfach jenem ihres Mannes oder aber ihres Zeitgenossen Frans Hals zugerechnet wurde – die Geschichtsschreiber wären schlichtweg nicht auf die Idee gekommen, dass es von einer Frau stammen könnte. Erst in den späten 1960er-Jahren entdeckte die feministische Kunstgeschichte in den USA die Verdienste von Künstlerinnen wieder. Linda Nochlin zeigte in ihrem Aufsatz „Why Have There Been No Great Women Artists?“ die Hindernisse auf, die ihr Schaffen fast unmöglich machten: fehlender Zugang zur Ausbildung, familiäre Bürden, die bekannten patriarchalen Vorstellungen.

Die Ausstellung „Women Artists 1550– 1950“, die sie 1976 gemeinsam mit Ann Sutherland Harris kuratierte, präsentierte eine erste Auswahl weiblicher Positionen. Damit war das Feld für Tiefenbohrungen aufbereitet, die bis heute anhalten. Ausstellungen der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit – Maria Sibylla Merian im Städel Museum, Clara Peeters im Prado, Wautier im MAS, Joan Carlile in der Tate, Élisabeth Vigée-Lebrun im Metropolitan Museum – beweisen: Die alten Meisterinnen stehen offenbar hoch im Kurs. Davon zeugt auch eine Initiative in den Uffizien, wo der (noch) amtierende Direktor Eike Schmidt im Vorjahr einen dezidierten Schwerpunkt auf die Malerei von Frauen ankündigte. So zeigte man im Vorjahr eine Schau von Plautilla Nelli, einer Nonne, von der in jüngster Zeit einige neue Werke entdeckt wurden. Und seit März läuft dort eine Ausstellung von Elisabetta Sirani. Auch Ankäufe und Schenkungen – etwa in der Tate Gallery oder im Metropolitan Museum – erweitern den Blick auf die altmeisterliche Malerei.

Alte Meisterinnen auf dem Markt

Man kann davon ausgehen, dass noch genügend weitere Künstlerinnen der Neuaufbereitung ihres Werks harren. Der Kunstmarkt folgt dieser Tendenz – mit einem respektvollen Abstand. Denn noch immer muss man keine Millionen ausgeben, um eine Sammlung alter Meisterinnen aufzubauen. Doch wer weiß, wie lange das so bleibt? Den spektakulärsten Preissprung in diesem Feld verzeichnete in den vergangenen Jahren Wautier: Ihr Porträt des Jesuiten Martino Martini erlebte 2016 bei Koller Auktionen in Zürich eine enorme Preisrallye, die erst bei 366000 Euro stoppte – dem fast 58-Fachen des unteren Schätzwerts von rund 6400 Euro.

Karoline Weser, Altmeisterexpertin bei Koller, erklärt dazu: „Das Ergebnis bei uns hängt auch mit der Persönlichkeit des Porträtierten zusammen, eines jesuitischen Missionars, der eine ganz wichtige Funktion hatte. Das spielte eine Rolle und löste auch eine neue Sicht auf die Künstlerpersönlichkeit Wautier aus.“ Der Rekord für die Flämin wurde ein gutes Jahr später noch getoppt, als Christie’s ein Damenporträt für 386 000 Euro versteigerte. „Das bei uns verkaufte Bild hat sicher einen Trend gesetzt, gemeinsam mit der angekündigten Ausstellung in Antwerpen“, meint Weser. „Wenn Künstlerinnen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt werden, steigert das natürlich die Nachfrage. Zuletzt sahen wir das bei der Schau von Clara Peeters im Prado: Wir hatten danach ein Werk in einer Auktion, das sehr gut verkauft wurde, viel besser noch als vor einigen Jahren.“ Der Blick auf Künstlerinnen scheint sich zu schärfen. Weser: „Ich glaube, dass in einem halben Jahr das Bewusstsein für die flämischen Malerinnen größer sein wird. Ich sehe, dass es da eine Entwicklung gibt.“

Service

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst Nr. 144 / 2018

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