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Kapstadt: Ein Silo für die Kunst

Das südafrikanische Kapstadt hat malerische Ecken und eine landschaftlich reizvolle Umgebung. Seine neueste Attraktion ist das MOCAA, Afrikas erstes Museum für zeitgenössische afrikanische Kunst, gegründet vom deutschen Sammler Jochen Zeitz

Von Christiane Meixner
18.12.2017

Kapstadt, das war bislang die V&A Waterfront mit ihren knapp 100000 Besuchern – pro Tag zur Hochsaison. Ein Teil des Hafens wurde Anfang der Neunzigerjahre zur Flaniermeile mit Restaurants und Geschäften, und bis heute zählt das Areal zu den beliebtesten touristischen Zielen – auch weil es dort bis spätabends sicher ist. Nun gibt es hier seit wenigen Monaten mit dem MOCAA eine neue Attraktion. Und selbst wer dem leichten Disney-Ambiente der Waterfront nichts abgewinnen kann, der sollte seinen Aufenthalt in Kapstadt um einen Tag verlängern, bevor er zu den malerischen Stränden des Landes wie Boulders Beach mit seiner Pinguinkolonie oder ins Landesinnere zur Garden Route oder Safari aufbricht. Denn das Zeitz Museum of Contemporary Art Africa ist nicht nur die größte, sondern auch die erste Institution für moderne Kunst der gesamten Region.

Jochen Zeitz bringt die Kunst nach Kapstadt

Finanziert hat das Museum Jochen Zeitz, einst CEO der Sportmarke Puma und dort so erfolgreich, dass er sich heute leisten kann, was ihm wichtig ist. Eine ökologisch wirtschaftende Farm in Kenia zum Beispiel. Und ein Museum, das die Kunst des Kontinents dorthin bringt, wo sie seiner Meinung nach hingehört – zurück ins eigene Land. Zeitz, der Millionär, und Mark Coetzee, der Kurator – gemeinsam reisten sie zu den wichtigen globalen Kunstevents. Für ein Duo mit solcher Sammelpower reihten sich die Länderpavillons der Biennale von Venedig wie Boutiquen aneinander: 2013 erwarb Zeitz gleich die gesamte Installation im Pavillon von Angola, der mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet worden war. Über ein Jahrzehnt waren die beiden auf Einkaufstour, inzwischen besitzt der Ex-Manager aus Mannheim über tausend Arbeiten, die er dem MOCAA auf Lebenszeit ausleiht. Genaue Summen für seine Erwerbungen kann oder will er nicht nennen. Und doch ist Zeitz nicht einfach ein mächtiger Sammler, der seine Muskeln auf dem internationalen Kunstparkett spielen lässt.

Er hat eine Aufgabe. Keine Mission, wohlgemerkt: Mit solchen Begriffen hängt man sofort in der Sprachfalle. Es klingt nach Missionierung und ist eine riskante Assoziation auf einem Kontinent, den die Europäer bis weit in das 20.Jahrhundert für ihre Interessen kolonialisiert haben. So gab es anfangs auch kritische Stimmen, als publik wurde, dass ein Weißer in Kapstadt ein neues Museum für zeitgenössische afrikanische Kunst plant. Doch Zeitz macht in nahezu jedem Gespräch über das MOCAA klar, dass er sich irgendwann aus dem Projekt herausziehen will. Noch übernimmt er die Betriebskosten und finanziert ein breites pädagogisches Programm unter anderem für junge Kuratoren aus Südafrika. Zeitz als Alleinunterhalter des Museums ist allerdings ein Programm auf Zeit. Er sieht sich als Motor, der ein Projekt vorantreibt und Dialoge ermöglicht. So lange, bis andere aus Überzeugung mitmachen. Der südafrikanische Künstler Roger Ballen etwa hat mit einer Spende die Abteilung für Fotografie unterstützt.

„Afrika braucht sein eigenes Narrativ, denn Afrika hat seine eigene Geschichte.“

Als echten Sammler sieht sich Zeitz nicht. Die inhaltliche Auswahl habe er dem aus Südafrika stammenden Kurator Mark Coetzee überlassen. Deshalb sei es auch sinnlos, ihn nach seinem bevorzugten Künstler, gar einem Lieblingswerk zu fragen. Er wisse gar nicht, was er alles besitze, sondern trage zusammen, was wichtig für den Kontinent sei: „Afrika braucht sein eigenes Narrativ, denn Afrika hat seine eigene Geschichte.“ Kritisch sieht er dagegen die Arbeit von Museen, die gobal sammeln: „Jeder Teil der Welt sollte seine Institutionen haben, um den eigenen Dialog zu führen und die Wahrnehmung anderer auf ihn zu schärfen.“ In Kapstadt gibt es nun also diese Institution. Eingezogen ist sie in eines der spektakulärsten Gebäude am Ort, das allein schon für sich eine Reise rechtfertigt. Seit 1920 steht der monumentale Getreidespeicher am Hafen. Eine funktionale, knapp sechzig Meter hohe Architektur mit 42 Betonröhren, in denen jahrzehntelang Mais zum Export gelagert wurde. Mit dem Ende der Apartheid 1991 schloss das Silo.

Was mit dem weithin sichtbaren Zeichen für die Ausbeutung von Mensch und Land geschehen sollte, war lange unklar. Zeitz wiederum hat sich intensiv umgeschaut, in Städten wie Johannesburg und Nairobi. Manches war ihm zu unsicher, anderes touristisch nicht genug erschlossen. Das MOCAA ist ein ambitioniertes Projekt: Es soll jährlich rund eine Million Besucher anziehen – Touristen wie Einheimische. Letztere zahlen mittwochs keinen Eintritt, Jugendliche haben immer freien Zugang. Als Mäzen sieht Zeitz sich dennoch nicht, das Wort findet er „altmodisch“. Eher als Entrepreneur. Der Mehrwert, den er aus seinem Engagement gewinnt, ist allerdings zum großen Teil ideeller Natur. Das Silo heißt jetzt „The Silo“, es kombiniert ein atemberaubendes Museumsfoyer mit 60 rechts wie links gestapelten Ausstellungshallen in diversen Größen und einem Skulpturengarten auf dem gläsernen Dach.

Wie das Silo zum Museum wurde

Über dem Museum erhebt sich das gleichnamige Designhotel mit 28 luxuriösen Zimmern. Optisch zusammengehalten werden die beiden Funktionen des Gebäudes dank ihres sensiblen Umbaus durch das britische Architekturbüro von Thomas Heatherwick. Er nennt den Umbau des Silos, eine „der größten Herausforderungen“ seiner Karriere. Was vor allem mit dem Bauwerk zu tun hat: Da es komplett aus Röhren bestand, musste der Freiraum für das Foyer in mühsamer Kleinarbeit aus dem Beton geschnitten werden. Die Silhouette folgt der Form eines Maiskorns, das Heatherwick auf dem Boden des Silos fand. Gläserne Aufzüge führen ebenso wie neue, spiralförmige Treppen in die Ausstellungsräume. Der Architekt ließ aber auch historische Details wie die alten Schütten oder die vielen Spuren in und auf dem Beton stehen. So erzählt das Haus auch von der eigenen Geschichte.

Die für die Kunst zur Verfügung stehende Gesamtfläche erstreckt sich auf 6000 Quadratmeter, doch das reicht längst nicht für alle Exponate der Sammlung. Gemälde, Skulpturen und Fotografie sind darunter, doch wenn man durch die erste Präsentation seit Eröffnung des MOCAA geht, überwiegen fotografische Arbeiten. Etwa von AthiPatra Ruga, der 2015 mit dem „Standard Bank Young Artist Award for Performance“ ausgezeichnet wurde, einem wichtigen Preis für junge Künstler in Südafrika. Ruga setzt sich selbst ins Bild, verbirgt den Körper allerdings meist hinter einer Wolke aus bunten Ballons. Die Bilder von Kudzanai Chiurai, Jahrgang 1981, glänzen metallisch und inszenieren Situationen, in denen es um Gewalt, Anpassung und Unterwerfung geht. Mohau Modisakeng, der aus Soweto stammt und aktuell in Kapstadt lebt, schuf das eindringliche Porträt eines Bewaffneten, auf dessen Gewehrlauf eine weiße, von hellem Staub umwölkte Taube landet. Cyrus Kabiru, der als führender Vertreter des sogenannten Afrofuturismus gilt, setzt sich selbst mit auffälligem Augenschmuck in Szene. Seine Abzüge hängen auch im Entree des Hotels und sollen so die Bereiche fließend miteinander verbinden.

Junge Neuentdeckungen und alte Bekannte

Für räumliche Situationen sorgt eine Künstlerin wie Nandipha Mntambo, die gegerbte Kuhhäute umformt und von der Decke hängen lässt, sodass sie wie leere Kleider wirken. Es gibt die widerständige Installation „The Red List“ von Kendell Geers, wo rote Backsteine an roten Fäden hängen, durch die man sich nur mit Mühe bewegen kann. Wer sie in Schwingungen versetzt, handelt sich mitunter blaue Flecken ein. Zwischen den Protagonisten einer jungen, vielfach provokanten Bildsprache tauchen jene Vertreter Afrikas auf, die schon lange international unterwegs sind. Die südafrikanische Malerin Marlene Dumas gehört ebenso dazu wie die Ägypterin Ghada Amer oder der schwermütige Geschichtenerzähler William Kentridge mit seiner Panoramaprojektion „More Sweetly Play the Dance“, die schattenhafte Figuren über die Wände prozessieren lässt. Ob das ein Totentanz, eine politische Demonstration oder ein Treck von Flüchtlingen ist, lässt der renommierte Künstler, Jahrgang 1955, offen.

Steigt das MOCAA zum nächsten MoMA auf?

Ihr Gegenstück findet die Arbeit in einer Videoinstallation des aus London stammenden Isaac Julien. 1983 drehte der Künstler mit „Who Killed Colin Roach?“ einen Dokumentarfilm über einen jungen schwarzen Briten, der von der Polizei festgenommen wurde und unter mysteriösen Umständen starb. „Ten Thousand Waves“ im MOCAA thematisiert den Tod von 23 Chinesen, die illegal nach Großbritannien eingereist waren. Auch das gehört zur Sammlung Zeitz – dass sie den Fokus auf Künstler richtet, die globale Themen verhandeln und dennoch auf unterschiedliche Art mit dem afrikanischen Kontinent verbunden sind. Ob sich das MOCAA in den kommenden Jahren in die Liga jener Museen – vom MoMA in New York über das Pariser Centre Pompidou bis hin zum Guggenheim in Bilbao – einreiht, die Zeitz und seinen Mitstreitern vorschwebt, wird sich zeigen. Nicht alles kann das Haus aufnehmen: Die lebendige Street-Art-Szene etwa spielt sich im Zentrum von Kapstadt ab, wo sich gigantische Porträts südafrikanischer Politiker wie Nelson Mandela über mehrstöckige Fassaden ziehen und in den Seitenstraßen illegale Graffitis gesprüht werden, die man längst mit Scouts besichtigen kann. Aber die Voraussetzungen sind gegeben, und angesichts der sieben Etagen voll Kunst und den Graffitis draußen stellt sich eigentlich bloß die Frage: Kann ein Tag dafür überhaupt reichen?

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MoCAA, Silo District, Waterfront, Kapstadt

 

Dieser Beitrag erschien in

WELTKUNST Nr. 138 / 2017

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