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Entwicklung ist das oberste Prinzip

Cao Fei hat als erste chinesische Künstlerin ein BMW Art Car gestaltet. Mit ihrem Konzept für das Art Car #18 aus Videokunst und Augmented Reality schafft die Multimediakünstlerin eine visuelle Zeitreise ins 21. Jahrhundert. Anlässlich der Weltpremiere in Peking im Minsheng Art Museum sprach Irmgard Berner mit ihr in ihrem Studio.

Von Irmgard Berner
14.06.2017

Weltkunst: Frau Cao Fei, Sie arbeiten mit Virtual und Augmented Reality. Da lag fast die Vermutung nahe, dass Ihr BMW Art Car gar kein reales Auto sein könnte, sondern ein virtuelles. Der Wagen muss aber im November in Macao Rennen fahren. Wie verbinden Sie diese Welten? 
Cao Fei: Bei der Erscheinung des Autos geht es tatsächlich um die Zukunft. Ich wollte eine Oberfläche, die das Auto zum Verschwinden bringt – als Dunkelheit. Ohne Reflexe, ohne Spiegelung, sodass man nur noch seinen Schatten sieht. Dazu habe ich eine App entwickelt, mit der sich der Betrachter dem Rennwagen nähern und auf seinem Bildschirm in die virtuelle Welt des Rennwagens eintauchen kann. Das Auto ist in mattem Karbonschwarz gehalten, wie es für das Chassis verwendet wird. So kann er in der 3D-Animation verschwinden. Seine Textur erinnert mich ein wenig an alte chinesische Schlafmatten … 

Weltkunst: … so verbindet sich Altes mit Hightech. Das Auto aber verwandelt sich, man sieht bunte Lichtlinien im Raum schwirren, die sich verändern, sobald man sich selbst bewegt. Was bedeuten sie?
Cao Fei: Licht bedeutet für mich Gedanken. Da die Geschwindigkeit von Gedanken nicht messbar ist, thematisiert das Art Car die Grenzen des menschlichen Denkens. Technologien der Virtual Reality sind schon heute Teil unseres Lebens. Wir befinden uns in einem neuen Zeitalter, in dem Objekte unmittelbar gedanklich gesteuert werden können, wie bei unbemannten Einsätzen und künstlicher Intelligenz. Da frage ich mich, welche Haltung dahinter steckt und welcher Art der Schlüssel für dieses neue Zeitalter ist.

Was sich anhört wie ein Werbeslogan, ist ein Zitat von Deng Xiaoping

Weltkunst: Ihre Arbeiten spiegeln zugleich die Geschwindigkeit des Wandels in China wider. In ihrem Art Car Video sieht man einen Mönch in Großaufnahme. Er sitzt und darunter steht die Textzeile: „Development is the absolute principle“. Das klingt wie ein Werbeslogan. 
Cao Fei: Diesen Slogan hat der chinesische Führer Deng Xiaoping ausgerufen. Er bedeutete: China braucht Reformen und muss sich öffnen. Als ich in den Achtzigerjahren in Süd-China aufgewachsen bin, fing seine Reformpolitik an. Wir lebten auf dem Campus der Kunstakademie in Guangzhou. Mein Vater Cao Chong’en ist ein realistischer Revolutionsbildhauer. Er macht politische Figuren für viele Orte in China. Sehr traditionell. Ich selber gehöre also zur zweiten Generation dieser Bildhauerfamilie. Als ich klein war, verstand ich nicht so ganz, was mein Vater macht. Auch wenn es großartige Skulpturen waren. Ich habe mir seine Arbeit dann sehr genau angesehen und begann ihn zu verstehen: dass er nämlich sein Werk innerhalb einer begrenzten Realität schaffen muss. Für mich ist mein Vater eine große Inspiration. Ich begann auch zu verstehen, warum ich mache, was ich gerade mache. 

Weltkunst: In einer Zeit, die vom Modernisierungsboom geprägt war, es gab Popkultur. War die Spannung in dieser hybriden, widersprüchlichen Kultur Guangzhous und dem noch sehr geschlossenen System der Kunstakademie, wo Sie auch studiert haben, nicht sehr groß? 
Cao Fei: Ich konnte den Aufbruch des jungen, modernen China sehr genau beobachten. Die Widersprüche zeichnen sich in der Entwicklung meines Werkes ab. Als ich vor zehn Jahren nach Peking kam, hatte ich bereits drei Jahrzehnte Erfahrung mit Chinas rasant wachsender Urbanisierung gesammelt. Dann wurde ich Zeugin der Transformation in Peking – vor und nach den Olympischen Spielen 2008. Die Städte im Norden haben schnell aufgeholt mit der Entwicklung im Süden. Der Urbanisierungsprozess in China ist ein fortdauerndes Thema. Aus diesem Narrativ schaffe ich mein Werk. Deshalb auch die Slogans. Ich arbeite mit den Chiffren unserer Zeit, der Werbung, Information, des Konsums. In meinen frühen Arbeiten nahm ich die Subkultur der Jugend, MTV, Hip-Hop, die Straße. Mit dieser Art von Video möchte ich eine Botschaft vermitteln. Damit das Publikum wirklich versteht, worüber ich spreche, nutze ich in dem Art Car Projekt eine App. Denn für mich ist diese Art der Kommunikation und Interaktion das Medium der Stunde. 

Weltkunst: Was bietet Ihnen Virtualität, was die Realität nicht hat?
Cao Fei: Ich möchte mich nicht nur auf die Virtualität fokussieren. Sie ist ein Ausdrucksmittel von vielen. Ich drücke mich auch durch Schreiben aus, im Film. Wir leben in einem Zeitalter der rasanten technologischen Entwicklung, deren Auswirkungen wir mitbedenken und ergründen müssen. Mich selbst interessiert die Realität mehr und das, was sie uns bringt. Die Virtualität aber verändert die Realität – wir müssen verstehen, warum. Ich nutze zum Beispiel Instagram, muss aber durch Firewalls, um zu meinem Account zu gelangen. Das heißt wir werden zuerst Teil von etwas, bevor wir überhaupt verstehen, wie es funktioniert. Als ich den Film „Haze and Fog“ (2013) gemacht habe, war ich Hausfrau, weil meine Kinder noch ganz klein waren, ich machte Yoga. Ich weiß also, wie das wirklich ist. Und thematisiere das in dem Film.

Weltkunst: In China gibt es diese großen Erzählungen, die Nationalopern, die zurück gehen bis in frühe Epochen. Die Ästhetik Ihres Art Car Videos zeigt Anklänge daran in Tanzeinlagen, aber auch durch schnelle Schnitte und futuristische Architekturen. Man sieht den Mönch aus der großartigen Natur in eine künstliche Welt reisen. Wie sehen Sie Ihre künftige Arbeit?
Cao Fei: Nach dem Art Car Projekt, für das ich zwei Jahre intensiv gearbeitet habe, werde ich verstärkt in die historische Recherche gehen – nicht der antiken Geschichte Chinas, sondern der vor fünfzig, sechzig Jahren, als China 1949 gegründet wurde. Ich werde versuchen, einen neuen Ansatzpunkt für meine Kunst zu finden. Viele chinesische Historiker müssen für ihre Forschung zu den Relikten des Altertums gehen. Diese Art Forschung möchte ich aufgreifen, um Inspiration zu finden. Zudem sind gerade jetzt Architekturen als Symbole für die Stadtentwicklung sehr wichtig. So spielt etwa in meiner Arbeit „RMB City“ der CCTV-Tower eine wichtige Rolle. Tatsächlich arbeite ich sehr eng mit Architekten und Stadtentwicklungsexperten, wir diskutieren meine Kunstprojekte. Die rasante ökonomische Entwicklung in Asien bietet für Architekten in Hongkong und China einen sehr fruchtbaren Boden. Ihre visuelle Ausdruckskraft inspiriert mich. Ich hoffe sehr, dass ich all das in meinem künftigen Werk kombinieren kann: das Moderne, das Zeitgenössische und die zukünftigen Perspektiven.

Cao Fei, Multimediakünstlerin, 1978 geboren, wuchs in Guangzhou in Südchina auf und besuchte dort die Kunstakademie. Seit 2007 lebt sie in Peking. International bekannt wurde Cao Fei mit Videoarbeiten wie „RMB-City“ (2007), für das sie auf „Second Life“ eine utopische Stadt entwarf, in der sie mit dem Avatar China Tracy auf Partnersuche geht. Mit Ausstellungen war sie in der Tate Modern und bei der Venedig Biennale vertreten, 2016 widmete ihr das MoMA PS1 eine Museumsretrospektive. Ihr Thema sind die gesellschaftlichen Umbrüche in China. Dabei überlagern sich Realität und Fiktion, Geschichte und Gegenwart. In ihren Arbeiten verknüpft Cao Fei Performances, Film, Animation, Internet und Virtual-Reality-Welten, kombiniert Einflüsse der globalen Post-Popkultur mit traditionellem Tanz und Elementen der Peking-Oper.

Service

Abbildung ganz oben

BMW Art Car #18 von Cao Fei: Augmented Reality Still (Detail). BMW Art Car basierend auf dem BMW M6 GT3. (Abb.: BMW AG und Cao Fei Studio)

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