Ausstellungen

Was, wenn es noch da wäre?

Der „Der Turm der blauen Pferde“ von Franz Marc gilt seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen, im Berliner Haus am Waldsee begeben sich zeitgenössische Künstler derzeit auf Spurensuche. Zudem findet am 3. Juni ein hochkarätig besetztes Symposium statt, bevor die Ausstellung am 5. Juni schließt

Von Laura Storfner
18.04.2017

Die weiße Wand im Hauptsaal der Ausstellung ist leer. Nur zwei silberne Dübel ragen in den Raum hinein. Leicht könnten sie Franz Marcs „Turm der blauen Pferde“ tragen, wäre das Gemälde nicht seit über 70 Jahren verschollen. 1913 hielt der Expressionist und Mitbegründer der Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ vier seiner Wappentiere auf der Leinwand fest: Wie das berühmte blaue Pferd, das mittlerweile im Münchner Lenbachhaus hängt, neigen auch sie die Köpfe, während ihre Körper kristallin leuchten. Drei Jahre später fiel Marc bei Verdun und erlebte nicht mehr mit, dass die Berliner Nationalgalerie sein Gemälde ankaufte und die Nationalsozialisten es später in München als „entartete Kunst“ diffamierten. Das hielt Hermann Göring jedoch nicht davon ab, sich das Bild für seine Privatsammlung zu sichern. Gesichtet wurde es nach Kriegsende zum letzten Mal in einer Villa in Zehlendorf, dem heutigen Haus am Waldsee.

 Christian Jankowski schafft nun genau dort, wo sich die Spur verliert, eine Leerstelle – die er selbst fiktional füllt: Für die Gruppenschau, in der sich Gegenwartskünstler zeitgleich in Berlin und in der Graphischen Sammlung in München dem verschwundenen Bild widmen, entwirft Konzeptkünstler Jankowski ein Paralleluniversum.

Jankowskis Paralleluniversum

In seiner Welt sind die Staatlichen Museen zu Berlin noch immer in Besitz von Marcs Gemälde. Bürokratische Abläufe schreibt er zu absurdem Theater um: Auf die offizielle Anfrage, das Bild als Leihgabe ausstellen zu dürfen, folgen routinierte Versicherungsanträge in Millionenhöhe und Montagearbeiten. Mit Briefen und einer Videoarbeit dokumentiert Jankowski das Spiel, auf das sich die Institutionen eingelassen haben. Vor der Kamera wirken die Spediteure, die mit ihren weißen Handschuhen eine unsichtbare Leinwand übervorsichtig durch die Räume hieven, wie Pantomimen. Jankowski führt so die mächtige Präsenz vor, die das Werk hat, eben weil es verschwunden ist. Gleichzeitig markiert er den Platz für die Lücke, die es in der Kunstgeschichte hinterlassen hat. Rémy Markowitsch geht es um die Macht der zirkulierenden Gerüchte, die das Bild in seiner Abwesenheit zum Mythos gemacht haben. Man erzählt sich, das Gemälde sei als Beutekunst ins Ausland geschafft worden oder liege in einem Zürcher Schließfach. In seiner Videoinstallation lässt er die vier blauen Pferde sprechen, fiktionalisiert nicht das Bild als Objekt, sondern dessen Hauptfiguren. Angelehnt an die Texte in Marcs Tagebüchern und Briefen, tratschen und wiehern sie, während Aufnahmen des Malers und Ansichten des Gemäldes im Wechsel an die Wände projiziert werden. Martin Assig erteilt den Pferden für seine Gemäldeserie ebenfalls das Wort: In Sprechblasen über ihren Köpfen „haucht“, „murmelt“ und „nuschelt“ es. Wird sich hier das Geheimnis um den Verbleib des Bildes zugeflüstert?

Es hätte auch anders kommen können

Das Schweigen, das nicht nur Raubkunst betrifft, sondern symptomatisch für die Vergangenheitsbewältigung einer ganzen Generation steht, beschäftigt Johanna Diehl. Als Ausgangspunkt dienen ihr die 73 Tagebücher ihrer Großmutter, in denen man kein Wort über den Krieg findet. Statt der Seiten ordnet Diehl monochrome Tafeln an der Wand, die farblich die Bucheinbände zitieren und trüber wirken als Marcs expressionistische Palette. Norbert Bisky hielt sich dagegen eins zu eins an Marcs Vorlage. Der Maler hat das Gemälde kopiert und anschließend zerstört: Erst warf er es aus dem Atelierfenster, dann schoss er mit einer Pistole darauf, zündete es an und zog es durch den Dreck. Nun lehnt eine gebrochene, verkohlte Leinwand neben der Tür, ein plakatives Symbol für den Umgang der Nationalsozialisten mit avantgardistischer Kunst und den Menschen. Verlässt man das Haus und wirft noch einen Blick zurück, leuchtet Tobias Rehbergers Schriftzug „Something else is possible“ an der Fassade auf. Nach all den Szenarien, die im Ausstellungsraum durchgespielt wurden, wirbt er für eine Realität, die vollkommen anderes hätte verlaufen können.

Am letzten Ausstellungswochenende veranstaltet das Haus am Waldsee das hochkarätig besetzte Symposium Zum Schicksal und Verbleib des Gemäldes „Der Turm der blauen Pferde“ (1913) von Franz Marc. 

Service

ABBILDUNG GANZ OBEN

Christian Jankowski, Leihgabe, 2017, Performance, Installation, verschiedene Medien und Materialien (Foto: Fotografien Hamburger Bahnhof: Roman März)

AUSSTELLUNG

„Vermisst: Der Turm der blauen Pferde von Franz Marc“, Haus am Waldsee, Berlin, und Staatliche Graphische Sammlung, München, bis 5. Juni

 

DIESER BEITRAG ERSCHIEN IN

WELTKUNST Nr. 128/2017

Symposium

Zum Schicksal und Verbleib des Gemäldes „Der Turm der blauen Pferde“ (1913) von Franz Marc

Samstag, 3. Juni, 14:00 bis 21:30 Uhr

Beiträge u.a. von Stefan Koldehoff, Katja Blomberg und Walter Grasskamp

Programm und Anmeldung

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