Ausstellungen

Wiener Belvedere: Pathos statt Gemüt

„Ist das Biedermeier?“, fragt das Wiener Belvedere noch bis zum 12. Februar, will elegant provozieren, den Mief aus der typisch Wiener Beschaulichkeit jagen. Und zeigt aus seinem reichen Fundus Porträts, Landschaften, Genrebilder und auch Möbel von Künstlern, die zwischen 1830 und 1860 in den Ländern der Donaumonarchie wirkten. 

Von Annegret Erhard
09.12.2016

Der Stachel sitzt tief. Biedermeier meint einen kleingeistigen schwäbischen Dorfschullehrer, beschrieben in den schlichten Versen eines dilettierenden Juristen. Rasant und nachhaltig bahnte sich um 1900 der milde abwertende Begriff den Weg in die Köpfe und den Jargon der Kulturbeflissenen. Bis heute bezieht er sich auf die Produktion der bildenden und der angewandten Kunst zwischen Wiener Kongress und Märzrevolution. Vorrang im bürgerlichen Lebensstil hatte die Privatsphäre. Familie und Freunde, Genügsamkeit, das kleine traute Glück wurden gepflegt. So konnte man – freilich recht verzagt – die Restaurationsbestrebungen der Herrschenden ausblenden, die mit allen Mitteln die bis zur Französischen Revolution etablierten Machtverhältnisse wiederherstellen wollten.

 

„Ist das Biedermeier?“, fragt das Wiener Belvedere nun, will elegant provozieren, den Mief aus der typisch Wiener Beschaulichkeit jagen. Und zeigt aus seinem reichen Fundus Werke von Künstlern, die zwischen 1830 und 1860 in den Ländern der Donaumonarchie wirkten. Das funktioniert gut, weil man auf Spitzengemälde des grandiosen Ferdinand Georg Waldmüller zurückgreifen kann, dessen Position zwischen Ideal und Wirklichkeit durch geniale Lichtregie, suggestive Perspektiven und innovative Bildfindungen in einen feinsinnigen und anspielungsreichen Realismus mündete. Er bietet neben originell aufgefassten Landschaften feinstes Genre und unterläuft konsequent, oft mit einem Anflug von Ironie, das geschwätzige Klischee. Mit Friedrich von Amerlings Porträts präsentiert sich das aufstrebende Bürgertum in Zeiten der Industrialisierung und Firmengründungen; Prestige und Ausdruck verbindet er virtuos mit Frische und Charakterzeichnung.  

Wie wenig Biederkeit, wie viel Kritik in den Bildern des Vormärz (der viel zutreffendere Begriff für die Zeit der Neuordnung Europas, des Pauperismus und des schwelenden Aufbegehrens) erkennbar ist, belegen vor allem die späteren, um 1850 entstandenen Werke, in denen längst auf Frohsinn und Gemütsruhe zugunsten des Verweises auf den ambivalenten gesellschaftlichen Zustand verzichtet wird. Die Ungarn erzählen mit Pathos von Nationalstolz und Autonomie, die Italiener wie Domenico Induno und Francesco Hayez träumen von der Befreiung Italiens. 

 

Nein, das ist kein Biedermeier, das heißt nur noch so. Es ist die Kunst einer komplexen, alles andere als gemütvollen Epoche – lebhaft, teilnahmsvoll, pathetisch. Genauso unscharf werden die den klassizistischen Formen abgerungenen Biedermeiermöbel als Erfindung des Bürgertums eingeordnet. Es waren aber Hof und Adel, denen, wie die Schau deutlich macht, das handwerklich hervorragende Raffinement einer Einrichtung mit schlichtem Erscheinungsbild gefiel. Das war luftig, hell, auch ein bisschen radikal. Erst später ahmten die Bürger, wie eh und je, den höfischen Stil nach. Und schon wurde auch diesen Interieurs der inadäquate Begriff übergestülpt.

Der Versuch dieser Ausstellung, sich aus den Zwängen einer als abwertend empfundenen Position zu befreien, gelingt nicht zuletzt im Katalog. Er enthält gescheite Essays zur fälligen Relativierung einer allzu bequemen Kategorisierung. 

ABBILDUNG GANZ OBEN

Ferdinand Georg Waldmüller, „Am Fronleichnamsmorgen“, 1857, Öl auf Holz, 56 x 82 cm, Leihgabe des Vereins der Freunde der Österreichischen Galerie Belvedere (Foto: Belvedere, Wien)

AUSSTELLUNG

„Ist das Biedermeier? Amerling, Waldmüller und mehr“, Wien, Unteres Belvedere, bis 12. Februar 2017

 

Dieser Beitrag erschien in

WELTKUNST Nr. 122/2016

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